Per Saldo Ruhig Blut, bitte!
19.08.2011, 13:49 Uhr
Hinschauen mag nur, wer starke Nerven hat.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Kopflose Börse: Als wären die weltweiten Probleme nicht genug, reicht derzeit das kleinste Gerücht, um Milliarden zu pulverisieren. Kleinanleger wie Profis sind offensichtlich mit der Geschwindigkeit von Twitter & Co überfordert.
Schwarzer Sommer an der Börse. Seit Ende Juli brechen die Kurse kontinuierlich ein. Nicht, dass die Märkte nicht genügend Gründe hätten. Der US-Schuldenstreit, die Krisen in der südliche Euro-Peripherie, die Inflationssorgen auf beiden Seiten des Atlantiks, die Turbulenzen in Nordafrika, die Sorge um Japan. Auf dieser immer noch unvollständigen Liste wäre jeder dieser Punkte allein schon Anlass genug für große Sorge. Doch ein Großteil der Kurseinbrüche der vergangenen Tage geht auf ein Überangebot an Informationen und Gerüchten zurück, die nicht nur Otto Kleinanleger sondern auch den Börsen-Profi schlicht überfordern.
Da wird schneller auf den Verkaufsknopf gedrückt als nachgedacht. Und der sogenannte algorithmische Handel - Computerprogramme, die vollautomatisch in Windeseile Käufe oder Verkäufe ausführen - verstärkt diese Trends noch und überrumpelt damit die Anleger. "Auf Gerüchte wird derzeit sofort verkauft, danach erst überlegt", klagen die Broker. Doch auch sie können sich dem offensichtlich nicht mehr entziehen. Kaum jemand nimmt sich noch die Zeit, die Gerüchte und Spekulationen, die nicht mehr von Händler zu Händler, sondern via Twitter, Facebook & Co gestreut werden, zu überprüfen.
"Alles Müll"
Ein Opfer dieses fatalen Trends ist die französische Großbank Société Générale. Gerüchte über finanzielle Schwierigkeiten und eine mögliche Verstaatlichung bescherten dem Institut kürzlich an einem Handelstag einen Aktieneinbruch von fast 15 Prozent. "Alles Müll", schäumte Bankchef Frédéric Oudéa und forderte die französische Börsenaufsicht AMF zur Klärung der Marktgerüchte auf. Doch diese gestaltete sich schwierig.
Das Kuddelmuddel, das dabei ans Licht kam, las sich in Medienberichten wie folgt: Die britische "Mail on Sunday" hatte bereits am Abend vor dem Ausverkauf eine Falschmeldung eingeräumt, derzufolge Regierungskreise die Bank "am Rande des Abgrunds" wähnten. Doch während die Entschuldigung des Blattes weitgehend unbeachtet blieb, machte eben diese Falschmeldung in den einschlägigen Blogs und Chatrooms weiter die Runde. Einem weiteren Gerücht zufolge war die "Mail on Sunday" einer fiktiven Geschichte der französischen Zeitung "Le Monde" über den "Untergang des Euro" aufgesessen, was die Briten aber vehement abstritten. Doch dieses letzte Gerücht war offenbar wiederum von einer Reuters-Journalistin via Twitter in die Welt gesetzt worden und machte das Durcheinander perfekt.
Die Gerüchte sind zwar vorerst verstummt, doch die Aktie findet keinen Halt. Nach einer kurzen Erholung knickte der Titel gut eine Woche nach dem Einbruch erneut dramatisch ein. SocGen gilt derzeit als Verkörperung der Panik an den Börsen.
Herdentrieb stärker als Vernunft
Angesichts dieser Panikattacken rufen Analysten und Börsenexperten seit Tagen zur Ordnung auf, damit nicht noch mehr Millionen und Milliarden an Marktkapitalisierung grundlos pulverisiert werden – bislang jedoch ohne Erfolg. Die Angst, einen Trend zu verpassen und zu spät abzuspringen, ist stärker.
Sicherlich war die Börse schon immer von Psychologie getrieben und dem Herdentrieb können offenbar nur die wenigsten widerstehen. Einige dieser Auserwählten sind in der Vergangenheit zu Börsenlegenden geworden, wie George Soros oder Jim Rogers. Und auch jetzt werden sicherlich nicht wenige der sogenannten Contrarians - Investoren, die sich gegen den Markttrend stellen - von der allgemeinen Panik profitieren oder diese sogar durch gezielt gestreute Gerüchte verstärken.
Ebenso alt wie der Herdentrieb ist dabei die Erkenntnis, dass ein Informationsvorsprung an der Börse Gold wert sein kann. Die neue Geschwindigkeit, mit denen Informationen jetzt über Twitter, Facebook & Co verbreitet werden können, fordert jedoch mehr Sorgfalt bei der Prüfung des Wahrheitsgehaltes. Die Brüder Rothschild haben einst den Großteil ihres Vermögens mit dem Waterloo Napoleons gemacht, weil sie als erste in London von der Niederlage des Korsen wussten. Allein: Sie bekamen ihre Info via Taubenpost und hatten damit genug Zeit, ihre nächsten Schritte zu planen.
Quelle: ntv.de