Kolumnen

Inside Wall Street S&P empört sich

Die Spuren der Finanzkrise sind noch deutlich sichtbar.

Die Spuren der Finanzkrise sind noch deutlich sichtbar.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Fünf Jahre nach Beginn der Finanzkrise verklagt das US-Justizministerium Standard & Poor's wegen zweifelhafter Bonitätsnoten für Hypothekenpapiere. Die Ratingagentur ist empört und zeigt auf andere. Doch es geht darum, wer ein Interesse an der Beschönigung der Lage hatte.

Die Krise begann ganz bieder, mit dem Traum vom Eigenheim. Für Millionen von Amerikanern wurde er zum Alptraum, als 2008 die Immobilienblase platzte und zur Finanzkrise führte. Häuser verloren an Wert, Eigentümer konnten ihre Hypotheken nicht bezahlen und an der Wall Street lösten sich Milliarden-Investitionen in heiße Luft auf. Anleger wurden kalt erwischt. Sie hatten unzählige Hypotheken-Papiere für sicher gehalten – immerhin hatten die Ratingagenturen stets Bestnoten vergeben. Zu Unrecht, wie sich zeigte, und dafür muss zumindest eine Agentur nun büßen. Das amerikanische Justizministerium verklagt den Branchenprimus Standard & Poor´s und dessen Muttergesellschaft McGraw-Hill auf Schadenersatz in Milliardenhöhe – auch ein Schuldeingeständnis wird gefordert.

An der Klage der Regierung dürften sich die Staatsanwälte zahlreicher amerikanischer Bundesstaaten beteiligen. Gemeinsam wirft man Standard & Poor´s vor, das Unternehmen habe "wissentlich und in betrügerischer Absicht eine Tat erdacht und ausgeführt, um Investoren zu schaden". Zudem habe man immer wieder die eigene Arbeit als "objektiv, unabhängig und frei von Interessenskonflikten" dargestellt.

Es ist das erste Mal, dass eine Ratingagentur für falsche Einschätzungen von Wertpapieren zur Rechenschaft gezogen wird. Entsprechend einfach macht man es sich zunächst bei Standard & Poor´s. Das Unternehmen sieht weder faktisch noch legal eine Grundlage für die Klage und beruft sich auf die Meinungsfreiheit, die in der amerikanischen Verfassung verankert ist. Die Einschätzungen zu Wertpapieren wären "lediglich Meinungen" gewesen und keine bindenden Empfehlungen.

Standard & Poor´s führt an, dass immerhin auch die beiden anderen Agenturen – Moody´s und Fitch – bei den meisten Wertpapieren zur gleichen Einschätzung gekommen seien und Bestnoten vergeben hätten. Ob das Justizministerium auch gegen die beiden Konkurrenten vorgehen wird, ist derzeit nicht bekannt. Dass alle drei Agenturen für gewöhnlich dieselbe Note für ein Wertpapier vergeben haben, ist ebenso richtig wie die Tatsache, dass sie für ihre Bewertungen unterschiedliche Rechenmodelle anlegen.

Richtig ist aber auch, dass man sich von Emittenten für die Bewertung von komplizierten Investments bezahlen ließ – und zwar fürstlich. In den Jahren vor der Finanzkrise heimsten die Agenturen Rekordgewinne ein. Der Branchenprimus hat allein für die Einschätzungen von vierzig Wertpapieren, die in der aktuellen Klage genannt werden, Gebühren von rund 13 Millionen Dollar kassiert. Der offensichtliche Interessenskonflikt – Bestnoten gegen Bezahlung! – dürfte Standard & Poor´s vor Gericht zum Verhängnis werden.

Das Monster, das sie schufen

Auch aus internen Emails wird deutlich, dass Standard & Poor´s alles andere als eine ehrliche Meinung zu den unterschiedlichen Papieren abgab. "Die Ratingagenturen bauen jetzt ein noch größeres Monster auf: den CDO-Markt", schrieb 2006 ein Mitarbeiter intern mit Bezug auf den lax regulierten Handel mit den komplizierten "Colletaral Debt Obligations". Er schreibt weiter: "Hoffen wir, dass wir alle reich und im Ruhestand sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenfällt."

Emails wie diese – insgesamt liegen dem Justizministerium 20 Millionen Emails vor – scheinen zu belegen, dass man intern sehr wohl wusste, dass sich auf dem Hypothekenmarkt eine Blase bildete und das man aus reiner Gewinnsucht mitspielte. Standard & Poor´s, so die Klage, habe gewusst, dass die eigenen Bewertungen unrealistisch sind und dass man die wahren Risiken vieler Kredite nicht dargestellt hat.

Für das Unternehmen zeichnet sich derzeit vor allem eine Verteidigung ab: Man verweist auf die Fehler der anderen. Nicht nur die Konkurrenten, sondern auch der Offenmarktausschuss der Notenbank habe die Risiken im Immobilien- und Hypothekenmarkt unterschätzt. Tatsächlich hatte die Fed zu Beginn der Finanzkrise lange behauptet, die Risiken auf dem Immobilienmarkt seien "unter Kontrolle", doch unterscheidet sich die Urteilsfindung der Notenbank vor allem durch ein Detail von der Arbeit der Ratingagenturen: Die Fed ist in der Tat unabhängig und hat kein finanzielles Interesse an einer Fehleinschätzung der konjunkturellen Lage im Land. Standard & Poor´s hingegen hat ein klares Interesse an einer Beschönigung: Kunden zahlten für eine Bewertung ihrer Papiere, und mit angemessen schlechten Noten hätte das Unternehmen einen zeitweise lukrativen Geschäftszweig gekappt.

So sah das bereits ein Bundesrichter in einem Urteil 2009, in dem grundsätzlich entschieden wurde, dass sich Standard & Poor´s wohl nicht auf die Meinungsfreiheit berufen könne, sondern Vorwürfe des Betrugs oder zumindest der Nachlässigkeit glaubhaft abwehren müsse.

Für Standard & Poor´s steht mit dem Prozess, der in einem Bundesgericht in Los Angeles eingereicht wurde, einiges auf dem Spiel. Der angestrebte Schadenersatz in Milliardenhöhe würde den gesamten Jahresgewinn der Muttergesellschaft auslöschen. Ein gefordertes Schuldeingeständnis könnte zudem unzählige strafrechtliche Klagen von Anlegern nach sich ziehen. Entsprechend panisch reagierten Anleger an der Wall Street: Als die Nachricht über den Prozess auf dem New Yorker Parkett die Runde machte, brachen die Aktien der Ratingagenturen um mehr als 10 Prozent ein.

Quelle: ntv.de

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