Inside Wall Street Viel Lob, kein Tadel für Alan Greenspan
24.10.2013, 06:51 Uhr
Der inzwischen 87-jährige Alan Greenspan stand mehr als 18 Jahre an der Spitze der US-Notenbank.
(Foto: AP)
Der frühere Notenbankchef Alan Greenspan tourt mit seinem neuen Buch durch die US-Talkshows. Darin gibt er zum Besten, was seiner Meinung nach zur Finanzkrise geführt hat. Mit sich selbst ist er nachsichtig - und andere auch.
Locker sieht er aus, ein breites Lächeln, auf den tosenden Applaus reagiert er mit einem bescheidenem Winken: Alan Greenspan ist zu Gast in der "Daily Show", und auch auf allen anderen US-amerikanischen Fernsehsendern. Wochenlang diskutierte man zwischen New York und Washington darüber, wer im Januar die Nachfolge von Ben Bernanke antreten soll - da meldet sich sein Vorgänger plötzlich zu Wort.
Alan Greenspan hat ein fast 400-seitiges Buch geschrieben: "The Map and the Territory" erscheint dieser Tage, und auf seiner Buchtour durch etliche TV-Shows spricht er davon, wie er sich in den vergangenen Jahren auf die Suche nach Gründen für die Finanzkrise gemacht habe und zu welchen Ergebnissen er gekommen sei. Banken hätten zu viel Risiko auf sich genommen, sie hätten zu hoch gepokert, die Branche habe sich nicht in dem notwendigen Maße selbst reguliert. Eigentlich kann das Niemanden überraschen. Für Alan Greenspan sind die Einsichten neu, und von seinen Gastgebern im Fernsehen wird er für jeden Satz gelobt.
Eine Frage wird umgangen
Doch eine Frage wurde bislang nicht gestellt: Ist Alan Greenspan nicht selbst schuld an der Finanzkrise? Man geht den freundlich blickenden 87-Jährigen mit Samthandschuhen an. Vielleicht aus Respekt vor dem Alter, vielleicht vor seinem früheren Amt. Doch anstatt Respekt wäre vielmehr saftige Kritik angemessen. Denn niemand außerhalb der Banken und Brokerhäuser trägt mehr Schuld an der Entwicklung des US-amerikanischen Finanzsystems als Greenspan. Bisher musste er nur zugeben, dass er die Krise nicht vorhergesehen habe.
Das allein ist eigentlich schon ein Hammer: Greenspan saß der Federal Reserve vor, als sich in den USA die heftigste Immobilienblase der Geschichte entwickelte. Anstatt vor den rasant steigenden Preisen zu warnen, gab sich der Notenbanker stets zuversichtlich. Er spornte die US-Amerikaner sogar an, Kredite aufzunehmen und Häuser zu kaufen. In zahlreichen Auftritten sprach er sich speziell für Hypotheken aus, vor denen Verbraucherschützer warnen. Sogenannte "ARM"-Hypotheken, bei denen die Zinsen variabel gehalten werden, hielt Greenspan nicht gefährlich, sondern vielmehr für hilfreich. Denn bei steigenden Zinsen könnten Hausbesitzer ja refinanzieren, zumal mit einem höheren Häuserwert als bisher.
Das Konzept hätte durchaus funktioniert, wenn die Preise immer weiter gestiegen wären. Als die Blase aber platzte, war für Anleger mit variablen Zinsen das Spiel vorbei. Viele konnten nicht refinanzieren, weil ihre Hypothek teurer war als der Wert der Immobilie.
Risikobereitschaft der Banken unterschätzt
Greenspan verkaufte Hypotheken wohlgemerkt nicht selbst. Doch muss er sehr genau gewusst haben, dass Finanzanbieter wie etwa Countrywide Darlehen en masse ausgaben - auch an Kunden mit mangelhafter Kreditwürdigkeit. Greenspan wusste zweifellos, dass die Firmen auch Geringverdiener köderten und ihnen Hypotheken schönrechneten, die diese nie abzahlen konnten. Greenspan wusste auch, dass Finanzinstitute Hypotheken in gewaltige Investmentvehikel umpackten, die sie auf den globalen Finanzmärkten anboten.
In der Praxis sah er keinerlei Gefahr für die Märkte, wie er in zahlreichen Reden vor dem Kongress und anderen Institutionen immer wieder betonte. Erst 2008 gab Greenspan zu, das genau diese Praxis - der Verkauf von Hypotheken als Investmentprodukt - zu den Hauptursachen für die Krise zählte.
Er habe schlicht und einfach nicht erwartet, dass Banken hohe Risiken eingehen würden, mit denen sie ihre eigene Existenz gefährden könnten, gestand Greenspan etwas kleinlaut bei Jon Stewart, seinem Gastgeber in der "Daily Show". Da klingt er ganz wie Ayn Rand, die Schutzpatronin der Tea Party. Die umstrittene Autorin von "Atlas Shrugged" (dt.: "Atlas wirft die Welt ab") ist die aggressivste Vertreterin der libertaristischen These, dass sich die Märkte stets selbst kontrollieren würden und die Regierung möglichst wenig in Wirtschaftskreisläufe eingreifen sollte. Greenspan gehörte lange zu den Schülern und engsten Vertrauten von Ayn Rand, deren These spätestens durch die Finanzkrise als widerlegt gelten sollte.
Greenspan lehnte Regulierung ab
Dass die Banken und Brokerhäuser gewaltige Risiken auf sich nahmen, schiebt Greenspan in seinem Buch der New York Stock Exchange zu. Als diese 1970 befand, dass Broker nicht mehr private Partnerschaften sein müssten, sondern künftig als Unternehmen mit Fremdkapital arbeiten dürften, sei das Risiko aus dem Ruder gelaufen. Da ist natürlich Wahres dran: Seit der Umstellung spielten Broker nicht mehr mit eigenem Geld, sondern mit dem Geld von Investoren. Manager riskierten mehr, profitierten wenn es gut lief und hatten keine eigenen Verluste zu befürchten, wenn es nicht gut lief.
Diesem Trend hätte die Fed wohlgemerkt mit stärkerer Regulierung entgegentreten können. Doch ausgerechnet Greenspan - als Ayn-Rand-Schüler - war immer gegen jede Regulierung und glaubte im Ernst daran, dass die Mächte des Marktes Unternehmen steuern würden. Diese Ansicht ist bestenfalls naiv und es ist absolut unglaubwürdig, wenn Greenspan jetzt sagt, dass ihn das Versagen dieses selbstreinigenden Mechanismus überrascht habe.
Keine Frage: Alan Greenspan ist mit schuld an der Finanzkrise. Seine Fed-Politik hat die Krise ermöglicht, seine beruhigenden Auftritte haben sie angeheizt. Ob man den früheren Fed-Chef dafür zur Verantwortung ziehen kann, ist ungewiss – aber zumindest müsste man ihn nicht im US-Fernsehen als einen alten Experten mit einem neuen Buch feiern.
Quelle: ntv.de