Inside Wall Street Warten auf die Katastrophe
16.10.2013, 03:38 Uhr
Gefährlicher haushaltspolitischer Stillstand in Washington.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Haushaltsstreit tobt in den USA - der Supermacht droht die Zahlungsunfähigkeit. Der Optimismus der Wall Street reflektiert nicht die Gefahr, die den Märkten von Washington aus droht.
Tick, tick, tick … auf dem Parkett der New Yorker Börse hört man förmlich wie die Zeit abläuft. Die Vereinigten Staaten von Amerika stehen Stunden vor der Zahlungsunfähigkeit. Wenn sich Republikaner und Demokraten im Senat nicht einigen, kann Washington am Donnerstag seine Schulden nicht mehr begleichen - es wäre das erste Mal seit der Nazizeit, dass eine westliche Nation in "default" käme.
An den Aktien- und Anleihenmärkten ist man sich des Risikos bewusst, und doch: Die Kurse reflektieren den absoluten Stillstand in Washington nicht. Die Anleihen reagieren nur minimal auf die Krise im Kapitol, während Dow und Co. nahe ihrer Allzeithochs handeln - unglaublich!
Die Schicksalswoche bisher: Am Montag feierte die Wall Street den dritten Tag in Folge mit satten Gewinnen, obwohl es keine Einigung gab. Am Dienstag ging es um ein paar magere Zehntel ins Minus. Am Mittwoch ... nun, das bleibt zunächst abzuwarten. Aber so tief können die Kurse gar nicht fallen, dass der Schaden reflektiert wäre, der Amerika und der globalen Wirtschaft in Falle eines Zahlungsausfalls entstehen würde.
Überkaufte US-Börsen
David Bianco, Stratege bei der Deutschen Bank, hat sich mit allen möglichen Szenarien der Schuldenkrise befasst. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 52 Prozent rechnet er damit, dass sich die Politiker in Washington bis Ablauf der Frist auf einen Kompromiss einigen, der die Schuldengrenze mindestens für ein sechs Monate und im besten Fall für ein Jahr anhebt – das scheint das Szenario zu sein, mit dem Anleger fest rechnen. Denn es ist das einzige Szenario, das eine gewisse Kursstabilität rechtfertigen würde. Und selbst das nur, wenn man die wirtschaftlichen Schäden des bereits zwei Wochen dauernden "Gouvernment Shutdown" und den ideellen Schaden ausklammert, der bereits entstanden ist. Die USA und der Dollar haben erneut an Vertrauen eingebüßt.
Sollte es zu einer Einigung kommen, rechnet Bianco mit einem Kurseinbruch von höchstens 4 Prozent - der dürfte auf die Tatsache zurückzuführen sein, dass die US-amerikanischen Börsen ohnehin überkauft sind. Denn einen Einbruch um 4 Prozent prophezeit Bianco selbst für den (mittlerweile ausgeschlossenen) Fall, dass es bis zum Dienstag zu einer Einigung gekommen wäre.
Sollte es erst nach dem Freitag zu einer Einigung kommen, aber bevor die Schuldengrenze erreicht ist - immerhin ist Donnerstag nur eine Schätzung von Finanzminister Jack Lew -, rechnet Bianco mit Kurseinbrüchen von 6 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit dafür betrage 12 Prozent. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 Prozent rechnet der Experte damit, dass die Schuldengrenze erreicht wird – das würde die Märkte 10 Prozent kosten. Selbst das wäre kein großer Schaden, bedenkt man, wo sie die Indizes zurzeit aufhalten.
Interessant ist ein Szenario, das Bianco "verboten" nennt und mit einer Wahrscheinlichkeit von 0 Prozent komplett und absolut ausschließt: dass die USA ihre Schulden tatsächlich für einige Tage nicht begleichen wird. Das wäre die Katastrophe, vor der die globalen Märkte Angst haben – der S&P 500 würde laut der Bianco-Studie um bis zu 45 Prozent einbrechen und einen historischen Crash erleben.
Republikaner von Tea Party stillgelegt
Warum Bianco diesem Szenario eine Wahrscheinlichkeit von 0 Prozent gibt, ist unklar. Kennt er die Politiker, die heutzutage Politik im Kapitol machen? Hat er die Republikaner beobachtet, die den Dienstag mit einem Gebet und einem gemeinsamen "Amazing Grace" begannen, nur um letztlich wieder an den gleichen Punkten zu scheitern? Angesichts der Problematik, dass die Republikaner von der Rechtsaußenfraktion der Tea Party seit Wochen erfolgreich stillgelegt sind, ist ganz und gar nicht auszuschließen, dass diese noch ein paar Tage lang weiter Druck machen. Moderate Republikaner trauen sich nicht zu wehren, denn sie fürchten, sich im nächsten Wahlkampf einem Kandidaten der Tea Party gegenüber zu finden - sie beugen sich dem Druck der Extremisten, und sie werden das wohl auch weiter tun. Es ist ein Kamikaze-Kurs, der die Republikaner bereits auf die niedrigsten Umfragewerte ihrer gesamten Geschichte gedrückt hat.
Den Optimismus der Wall Street in allen Ehren, er reflektiert nicht die Gefahr, die den Märkten von Washington aus droht. Dort muss in den nächsten Stunden ein radikaler Kurswechsel stattfinden, sonst droht der Crash.
Quelle: ntv.de