Marktberichte

Inside Wall Street Analysten verschlafen die Müll-Rally

Die Rally der letzten fünf Monate, die an den amerikanischen Börsen für die dicksten Kursgewinne seit Jahrzehnten gesorgt hat, ist auf dem Parkett so bejubelt wie umstritten.

Wer im Frühjahr den Experten vertraut hat, der hat an der Rally nicht teilgenommen.

Wer im Frühjahr den Experten vertraut hat, der hat an der Rally nicht teilgenommen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

So schön die grünen Pfeile sind, keiner kann so recht erklären, warum sich der Markt derart von fundamentalen Problemen in Konjunktur und Unternehmen entfernt hat.

Keiner kann es erklären, und keiner konnte es vorhersehen. Die Marktexperten von Bloomberg haben sich die Empfehlungen der großen Analystenhäuser seit dem Tiefstand im März vorgenommen und erkannt: Wer im Frühjahr den Experten vertraut hat, der hat an der Rally nicht teilgenommen. Im Gegenteil: Wer 10.000 Dollar entsprechend der Analysten angelegt hat, der hätte heute nicht nur seinen Einsatz verloren, sondern noch dazu 6000 Dollar Schulden, um falsch platzierte Leerverkäufe einzudecken.

Ähnliche Empfehlungen

Bei gut einem Dutzend Analysten, darunter Citigroup und Bank of America, lasen sich die Empfehlungen im März ähnlich: Man riet zu amerikanischen Pharma-Aktien und europäischen Energie-Unternehmen und warnte dringend vor Finanzwerten und Einzelhändlern. Diese hätten – und hatten auch – mit schlechten Quartalszahlen zu kämpfen, was die Aktien nicht davon abhielt, die Rally der letzten Monate anzuführen. Dass die am stärksten vom Bärenmarkt des Vorjahres getroffenen Aktien am schnellsten klettern und die größten Gewinne einfahren würden, konnten sich die Experten nicht vorstellen.

"Analysten sind viel zu eng an Fundamentaldaten gebunden", meint der Fondmanager Romain Boscher in einem Interview in US-Medien. Das wiederum dürfte der unsinnigste Vorwurf aller Zeiten sein. Denn der Branche musste man jahrelang genau das Gegenteil vorwerfen: Dass sich Analysten weniger um Fundamentaldaten als um reine Spekulation kümmerten. Dass sie jetzt nackte Zahlen und Bilanzen zur Erstellunge ihrer Einkaufslisten heranziehen, ist eigentlich lobenswert.

Hochriskante Zockerei

So liegt das Problem auch gar nicht an den sonst viel und zurecht gescholtenen Experten. Dass sie eine rein technische Rally nicht vorhersagen konnten, lag vielmehr daran, dass es die jüngsten Kursgewinne in einem vernünftigen Umfeld gar nicht hätte geben dürfen. Es gab sie lediglich aufgrund hochriskanter Zockerei, über die jede Menge Geld zurück in die Aktienmärkte floss. Geld, das jederzeit abgezogen werden kann, wenn Investoren glauben, einen Gipfel erreicht zu haben.

Analysten haben allerdings nicht nur im allgemeinen Trend falsch gelegen, sondern auch mit einzelnen Empfehlungen. Mehr als die Hälfte der Unternehmen hat im März etwa empfohlen, die Aktie von American Express zu verkaufen oder sogar zu shorten, und dafür Visa ins Portfolio zu nehmen. Letztere hat seither um rund 50 Prozent zugelegt, während sich American Express im Wert verdreifacht hat.

Ob diese Kursgewinne gerechtfertigt sind, wird sich wohl erst auf lange Sicht zeigen. Andrew Lapthorne, Marktstratege bei Societe Generale, glaubt nicht daran. "Vor allem Müll-Aktien haben sich gut entwickelt", sagt er. "Und Analysten tun sich eben schwer damit, Müll zu empfehlen." Das sollten sie auch weiterhin unterlassen – selbst auf die Gefahr hin, weitere unerklärliche Kursexplosionen zu verschlafen.

Quelle: ntv.de

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