"Sehr besorgniserregend" Dax fällt in den Feierabend
23.11.2011, 18:00 Uhr
"Das Ergebnis der heutigen Auktion spiegelt das äußerst nervöse Marktumfeld."
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Nervosität der Schuldenkrise erreicht den Kern der Eurozone: Die unerwartet schwache Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen scheint das Vertrauen in die größte Wirtschaftsmacht der Währungsunion zu erschüttern. Der Aktienmarkt reagiert mit starken Kursausschlägen. Nach einem bewegten Tag geht der deutsche Leitindex tief im Minus aus dem Handel.
Belastet von den Sorgen um die Weltkonjunktur und die Schuldenkrise hat der deutsche Aktienmarkt am Mittwoch zum achten Mal in Folge im Minus geschlossen. Angesichts eines ganzen Bündels an kursbewegenden Faktoren fiel den Anlegern die Orientierung lange Zeit schwer. Gewinne und Verluste wechselten sich im Tagesverlauf mehrmals ab, letztlich ging der Leitindex auf Tagestief und seinem niedrigsten Stand seit sieben Wochen aus dem Handel.

Wenn die Märkte erst einmal an Deutschland zweifeln, lässt sich die Anti-Eurobond-Position wohl kaum noch halten.
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Der Dax fiel um 1,44 Prozent auf 5457,77 Punkte. Seit dem Zwischenhoch Ende Oktober hat das Kursbarometer damit mehr als 15 Prozent verloren. Der MDax gab 1,25 Prozent auf 8105,78 Punkte ab. Der TecDax sank um 0,99 Prozent auf 636,25 Punkte.
Besonders die Schlussauktion hatte es noch einmal in sich: Nach dem sehr bewegten Handelsverlauf sackte der Dax parallel zu den Kursverlusten an der Wall Street immer weiter ab. Am späten Vormittag waren Staatsanleihen aus Deutschland bei einer Auktion . "Wenn sich selbst Deutschland nicht mehr darauf verlassen kann, seine Anleihen jederzeit loszuwerden, ", hatte ein Händler die Entwicklung kommentiert. Andere Beobachter sprachen schlicht von einem "Desaster". Im politischen Berlin bemühten sich Regierung und Opposition um Erklärungsversuche.
Trotz aller Aufregung gab es auch nüchterne Stimmen: Deutschland kann sich trotz der mauen Anleihen-Nachfrage aus Sicht der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter ohne Probleme am Kapitalmarkt mit frischem Geld versorgen. Deutschlands Fähigkeit, sich selbst zu refinanzieren, stehe außer Frage, beeilte sich EZB-Vizepräsident Vitor Constancio in einer ersten Reaktion zu betonen.
In der Eurozone blieb die Unsicherheit ungeachtet dessen sehr hoch: Nach Ansicht vieler Marktteilnehmer zeigt die enttäuschende Auktion zehnjähriger Staatsanleihen, dass nun erstmals auch Deutschland ins Visier der Finanzmärkte gerät. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnte unterdessen den für gemeinsame europäische Staatsanleihen erneut ab.
Abgesehen von der Schuldenproblematik standen vor allem Konjunkturdaten aus China, Europa und den USA im Vordergrund: Schwächesignale aus den Bereichen der chinesischen Industrieproduktion hatten am Morgen die Aussichten für die Weltkonjunktur getrübt. Frische Konjunkturdaten aus den USA lieferten dagegen am Nachmittag zunächst kein klares Bild.
Eine Mehrheit der Börsianer geht offenbar davon aus, dass die Konjunktur in der Eurozone in die Rezession stürzt. Dies bestätigte dem Finanzdienstleister Markit zufolge eine Umfrage unter Einkaufsmanagern, die den dritten Monat in Folge ein Schrumpfen der Wirtschaft signalisierte. Für zusätzlichen Missmut sorgten enttäuschende Konjunkturdaten aus China, was im Londoner Handel vor allem die Minenwerte drückte: Rio Tinto und BHP Billiton fielen 2,3 beziehungsweise 1,4 Prozent.
Die Konjunkturskepsis war auch in Deutschland zu spüren. Im Dax bremste sie einige Autowerte aus: So verloren VW und MAN jeweils mehr als 3 Prozent. Daimler verloren 2,3 Prozent. Händler verwiesen auf die Aussichten im für viele Autobauer besonders wichtigen Wachstumsmarkt China. MAN gaben 3,2 Prozent ab. HeidelbergCement büßten 3,7 Prozent ein.
Erneut standen die Finanzwerte auf den Verkaufszetteln der Investoren. Der Stoxx-Branchenindex fiel um 1,9 Prozent. Dabei zählten die italienischen und spanischen Geldhäuser mit Verlusten von 3 bis 6 Prozent zu den größten Verlierern. Im Dax fielen Allianz um 3,7 Prozent und waren damit das Schlusslicht. Deutsche Bank sanken um 2,2 Prozent.
Zusätzlich zur Aufregung um die deutschen Bonds mussten sich die Investoren auch um die künftigen Refinanzierungskosten Frankreichs sorgen: Die US-Ratingagentur Fitch sieht die Bestnote für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone in Gefahr, sollte sich die Schuldenkrise verschärfen. Schon am Montag hatte Moody's vor einer Herabstufung Frankreichs gewarnt. Dabei spielt auch die Schieflage der französisch-belgischen Bank eine Rolle. Medienberichten zufolge könnte die Rettung der Bank Frankreich mehr als gedacht kosten.
Am europäischen Rentenmarkt gerieten zudem die Staatsanleihen aus Belgien unter Druck. Sie brachen fast drei volle Punkte ein, was die Rendite weiter in Richtung auf 6 Prozent trieb. Renditen ab 7 Prozent - Italiens Anleihen haben am Mittwoch dieses Niveau mittlerweile wieder erreicht - gelten in der Staatsfinanzierung eigentlich als mittelfristig untragbar.
An der Dax-Spitze erholten sich die Aktien der Commerzbank etwas von ihrem Kurseinbruch vom Vortag. Das Plus von 1,74 Prozent auf 1,17 Euro wurde am Markt mit begründet. Der hatte am Vorabend bekräftigt, dass sein Haus die Anforderungen der europäischen Bankenaufsicht aus eigener Kraft erfüllen werde. Am Dienstag war die Aktie nach Spekulationen über einen deutlich höheren Kapitalbedarf um mehr als 15 Prozent auf ein Rekordtief von 1,15 Euro abgestürzt. Am Mittwoch waren die Commerzbank-Titel der stärkste Wert im Dax.
Auch ein weiterer Vortagesverlierer konnte zur Wochenmitte leicht aufholen: Die Papiere von Infineon reagierten positiv auf eine geplante Dividendenerhöhung. Sie legten um 1,34 Prozent zu. Schwach über den gesamten Handelsverlauf zeigten sich dagegen die Aktien der Deutschen Telekom, die wegen eines Rückschlags beim geplanten Verkauf der Tochter T-Mobile USA um 2,36 Prozent auf 8,739 Euro nachgaben. Der Chef der Regulierungsbehörde FCC zweifelt an den Vorteilen der Transaktion und beantragte daraufhin eine richterliche Anhörung. Zum Streit mit dem US-Justizministerium gestellt sich damit noch eine weitere Hürde.

Eine Bond-Auktion bewegt den Aktienmarkt: Früher hätte es das nicht gegeben (Archivbild).
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Unter den Technologiewerten im TecDax profitierten Centrotherm mit plus 6,80 Prozent auf 9,42 Euro von einem positiven Analystenkommentar. WestLB-Expertin Katharina Cholewa empfiehlt das Papier nun zum Kauf und nannte ein Kursziel von 13,80 Euro. Der momentane Aktienkurs spiegele ein übermäßig pessimistisches Szenario wider. Zudem rechne sie mit guten Auftragseingängen im vierten Quartal.
Am deutschen Rentenmarkt stieg die durchschnittliche Rendite börsennotierter Bundeswertpapiere auf 1,67 (Vortag: 1,65) Prozent. Der Rentenindex Rex fiel um 0,15 Prozent auf 130,53 Punkte. Der Bund Future verlor 1,17 Prozent auf 135,65 Punkte.
"Das habe ich noch nicht erlebt"
Erstmals in der Schuldenkrise der Eurozone hat auch Deutschland bei einer Versteigerung von Staatsanleihen seine Grenzen aufgezeigt bekommen. Bei einer Auktion neuer Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren blieb die Bundesfinanzagentur auf etwa einem Drittel der Papiere sitzen. Bei einem Angebot im Volumen von 6,0 Mrd. Euro fanden nur Anleihen im Wert von 3,89 Mrd. Euro einen neuen Besitzer. Händler sprachen in ersten Reaktionen von einem erschreckend schwachen Ergebnis.

Spekulationen um einen zusätzlichen Kapitalbedarf bei der Commerzbank hatten die Aktien der zweitgrößten Bank Deutschlands am Dienstag tief ins Minus gestoßen.
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Analyst Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) bezeichnete die geringe Nachfrage als "sehr besorgniserregend". In der Versteigerung sah er sogar "ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Eurozone". Ähnlich äußerte sich auch Experte Johannes Rudolph vom Bankhaus HSBC Trinkaus: "Dass Deutschland einen so hohen Anteil einer Auktion nicht an den Markt bringen kann, habe ich noch nicht erlebt."
Die Bundesfinanzagentur versuchte sich nach der gefloppten Versteigerung in Schadensbegrenzung: "Das Ergebnis der heutigen Auktion spiegelt das äußerst nervöse Marktumfeld", sagte ein Sprecher. Ein solcher Erklärungsversuch ist nach einer Auktion von Staatsanleihen sehr ungewöhnlich. Der Sprecher versicherte außerdem, dass es kein Engpass bei der Refinanzierung für den Bundeshaushalt gebe.
Es gab aber auch Analystenstimmen, die vor einer Überbewertung der schwachen Nachfrage warnten. In der Vergangenheit habe es immer wieder Versteigerungen gegeben, bei denen die Finanzagentur nicht alle Anleihen absetzen konnte, sagte Michael Krautzberger vom US-Vermögensverwalter Blackrock. Außerdem würden die Banken als Abnehmer deutscher Anleihen derzeit bei Investitionen etwas kürzer treten. Das schwache Ergebnis der Versteigerung sei daher "weniger Maßstab für die Endnachfrage nach Bundesanleihen", sagte Krautzberger.
Dennoch reagierten die Finanzmärkte teilweise heftig auf die geringe Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen. Vor allem der Euro geriet mit der Veröffentlichung des Auktions-Ergebnisses kräftig unter Verkaufsdruck und rutschte deutlich unter die Marke von 1,34 US-Dollar auf ein Tagestief bei 1,3531 Dollar. Die Europäische Zentralbank hatte den Referenzkurs auf 1,3387 (1,3535) Dollar festgesetzt. Der Dollar kostete damit 0,7470 (0,7388) Euro.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/DJ/rts