Bilanzskandale in USA? Dax verunsichert
30.01.2002, 20:15 UhrAußer Spesen nichts gewesen - so lässt sich das Geschehen bei den deutschen Standardwerten am Mittwoch wohl am besten beschreiben. Spekulationen über unsaubere Bilanzierungsmethoden einiger US-Konzerne warfen einen dunklen Schatten auf den Dax. Immerhin, am Nachmittag gab es einen Lichtblick und der kam ebenfalls aus den USA - das US-Bruttoinlandsprodukt ist im vierten Quartal überraschend gestiegen. Der Dax schloss dennoch mit 0,6 Prozent bei 5.052 Punkten im Minus, zuvor waren die Standardwerte allerdings zeitweise sogar unter die 5.000er-Marke gefallen.
Wie das US-Handelsministerium am Nachmittag bekannt gab, ist das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal überraschend um 0,2 Prozent gestiegen, nachdem es im dritten Quartal noch um 1,3 Prozent gefallen war. Analysten hatten mit einem weiteren Rückgang des BIP um ein Prozent gerechnet.
Nach dem Debakel um den zahlungsunfähigen US-Energiehändler Enron hatte es am Dienstag in den USA Spekulationen über mögliche Bilanz-Unregelmäßigkeiten bei dem US-Industriekonglomerat Tyco gegeben. Marktgerüchte über eine mögliche Kreditabstufung ließen zudem den Aktienkurs des US-Telekomanbieters Worldcom auf den tiefsten Stand seit über sieben Jahren fallen. Spekulationen über die Zahlungsunfähigkeit des Konzerns sorgten für zusätzlichen Druck. Bereits am Montag hatte der Telekomkonzern Global Crossing Gläubigerschutz beantragt. Fast folgerichtig setzten die US-Aktienmärkte ihren Tiefflug von Dienstag fort.
So viel Unsicherheit um so große Unternehmen verkrafte der Markt momentan einfach nicht, so ein Händler. Zudem stecke den Anlegern immer noch die Enron-Pleite in den Knochen. Die Anleger stünden den Rechnungslegungs-Standards der US-Unternehmen zunehmend kritisch gegenüber. Die Zinsentscheidung in den USA spielte keine Rolle mehr: Sie kam erst nach Börsenschluss.
Wenig Erfreuliches gab es auch von der deutschen Konjunkturseite, denn nun ist es offiziell. Die Bundesregierung rechnet für das Jahr 2002 nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,75 Prozent. Bislang war sie noch von einem Wachstum von 1,25 Prozent ausgegangen. Düstere Nachrichten dann auch noch aus Brüssel: Die EU-Kommission hat den Finanzministern eine Frühwarnung an Deutschland und Portugal wegen zu hoher Staatsdefizite empfohlen. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland soll nach Informationen der Tageszeitung "Die Welt" im Januar auf rund 4,3 Millionen gestiegen sein. Nach Ansicht von Volkswirten wäre dies keine Überraschung. Seit 1996 habe es in Deutschland in jedem Winter mehr als vier Millionen Arbeitslose gegeben, so Thomas Hueck von der HypoVereinsbank.
Unternehmensnachrichten waren einmal mehr Mangelware. Die Dax-Unternehmen melden sich erst am Donnerstag, wenn die Deutsche Bank, MLP, Linde und Epcos Zahlen vorlegen, wieder zu Wort.
Die Deutsche Bank stand aber auch am Mittwoch bereits im Blickpunkt der Anleger. Das Kreditinstitut gab im Anschluss an eine Aufsichtsratssitzung bekannt, dass man sich mit sofortiger Wirkung von Vorstandsmitglied Thomas Fischer trennen werde. Den Posten des Chief Operating Officers werde in Zukunft Hermann-Josef Lamberti übernehmen. Der Vorstand der Bank werde auf fünf von zuvor acht Mitgliedern reduziert. Zudem sagte Aufsichtsratsmitglied Gerald Herrmann der Agentur Reuters, dass sich der designierte Vorstandschef Josef Ackermann "unmissverständlich" für den Unternehmenssitz Frankfurt ausgesprochen habe. Die Deutsche-Bank-Aktie fiel 3,5 Prozent auf 70,70 Euro.
Händler führten die Abschläge allerdings nicht nur auf die Neuordnung der Bank zurück, sondern vielmehr auf Sorgen der Anleger, dass mögliche Insolvenzen von US-Konzernen auch die deutschen Kreditinstitute belasten könnten. Die Commerzbank-Aktie notierte ebenfalls im Minus, sie fiel 1,7 Prozent auf 19,28 Euro, für die HypoVereinsbank ging es 0,8 Prozent auf 35,40 Euro nach unten.
Unter Druck stand lange Zeit auch die Deutsche Telekom, die zum Schluss jedoch mit einem kleinen Gewinn von 0,2 Prozent bei 16,72 Euro aus dem Handel ging. Am Dienstag war in der Presse spekuliert worden, dass das Bundeskartellamt die geplante Übernahme des Telekom-Kabelnetzes durch den US-Konzern Liberty Media verbieten werde. Sollte der Deal tatsächlich platzen, könne es für die Telekom schwierig werden, den geplanten Schuldenabbau einzuhalten, so ein Händler. Am Mittwochabend verdichteten sich die Gerüchte, offizielle Stellungnahmen waren jedoch von den Beteiligten nicht zu erhalten. Das Bundeskartellamt kündigte für Donnerstag eine Pressekonferenz zum Stand des Verfahrens an.
Der Energieversorger E.ON kann nach eigenen Angaben seinen Erlös aus dem Verkauf der Veba Oel an BP nach Veräußerungen des Upstreamgeschäftes der Tochter auf 3,3 von zuvor 2,8 Milliarden Euro erhöhen. In Abstimmung mit der Mineralölgesellschaft BP verkauft Veba Oel seine Explorations- und Förderaktivitäten (Upstream) für 2,4 Mrd. Euro an Petro-Canada, teilte E.ON am Mittwoch mit. Die E.ON-Aktie schloss mit 0,5 Prozent bei 58,23 Euro im Minus.
Die im Mdax notierte Aktie von ProSiebenSat.1 fiel am Nachmittag über 4,8 Prozent auf 4,73 Euro, nachdem der Axel-Springer-Verlag angekündigt hatte, sich von seinen 11,5 Prozent an ProSieben zu trennen. Springer wird nach eigenen Angaben die Option für den Rückverkauf seiner Anteile an ProSiebenSat.1 an die Kirch-Gruppe ausüben. Demnach muss die hoch verschuldete Kirch-Gruppe, die die restlichen Anteile an ProSiebenSat.1 hält, die Springer-Beteiligung an der Senderfamilie für rund 770 Mio. Euro zurückkaufen. Der Kaufpreis sei aber erst innerhalb von drei Monaten fällig, teilte Springer mit. Inzwischen eskaliert der Disput: Die Kirch-Gruppe teilte mit, sie halte die Ausübung der Verkaufsoption für unwirksam. Springer konterte: juristische Schritte von Kirch hätten vor Gericht kaum Bestand.
Quelle: ntv.de