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Inside Wall Street Durchs Maisfeld nach Washington

Der Startschuss ist gefallen, das Rennen um das Weiße Haus hat begonnen. Im amerikanischen Bundesstaat Iowa entscheiden die Parteimitglieder, wer letztlich für die Republikaner und die Demokraten als Präsidentschaftskandidat antreten darf.

Iowa fällt in Amerika normalerweise nicht auf. Der Agrarstaat rangiert der Fläche nach auf Platz 26 unter den 50 Bundesstaaten, und in Bezug auf die Bevölkerungszahl auf Platz 30. Auch geographisch liegt der "Hawkeye State" mittendrin im sogenannten Heartland. Doch all diese Durchschnittlichkeit macht den Flecken alle vier Jahre interessant: In Iowa finden traditionell die ersten Vorwahlen statt, und weil Iowa in jeder Hinsicht durchschnittlich ist, hat das Resultat Signalwirkung von New York bis nach Kalifornien.

Wer in Iowa gewinnt, hat fünf Tage später in New Hampshire schon einmal gute Karten. Wer in beiden Staaten gut abschneidet, steht Anfang Februar beim "Super Tuesday" gut im Rennen - danach haben dann mehr als die Hälfte der Amerikaner eine erste Stimme abgegeben und die beiden großen Parteien entscheiden, wen sie ins Rennen um die Nachfolge von George W. Bush schicken wollen.

Amerika sieht also genau hin, wenn an diesem Donnerstag in Iowa die Stimmzettel ausgewertet werden. Es dürfte spannend werden, denn jüngste Umfragen zeichnen kein klares Bild: Bei den Demokraten liegen je nach Befragung die New Yorker Senatorin und ehemalige First Lady Hillary Clinton oder Illinois Senator Barack Obama knapp vor John Edwards, der vor vier Jahren an der Seite von John Kerry als Vize-Präsident kandidiert hatte.

Auf republikanischer Seite scheint der Prediger Mike Huckabee aus Arkansas einen hauchdünnen Vorsprung auf Mitt Romney, den ehemaligen Gouverneur von Massachussetts, zu haben, doch werden auch dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani und dem Polit-Urgestein John McCain Chancen zugesprochen. Im konservativen Iowa ist Giuliani allerdings chancenlos. Er konzentriert sich im Wahlkampf auf New Hampshire.

Unklar ist, ob außer den Vertretern der beiden großen Parteien noch jemand ins Rennen gehen wird. Es mehren sich die Zeichen für eine Kandidatur des New Yorker Bürgermeisters Michael Bloomberg, der als Unabhängiger nicht vor Februar oder März agieren muss und sich zurzeit entsprechend bedeckt hält. Bloomberg wäre ein Liebling der Wall Street, die sich ansonsten recht gleichmäßig hinter die Kandidaten gestellt hat. Hillary Clinton und Rudy Giuliani haben die meisten Freunde im Finanzdistrikt, doch auch der ehemalige Investmentbanker Mitt Romney konnte an der Wall Street Spenden sammeln.

Die offene Frage nach einer Kandidatur Bloombergs lässt einige Beobachter unken, dass Iowa vielleicht doch nicht mehr als ein großes Maisfeld sei. Dass in diesem Maisfeld die interessanteste Wahl seit Jahrzehnten beginnt, ist hingegen völlig klar. Erstmals seit 80 Jahren steht kein amtierender Präsident oder Vize-Präsident zur Wahl. Hauptthema im Wahlkampf war und ist damit: Change - Veränderung - Erneuerung. Die Amerikaner stehen vor dem Ende einer Ära und dürften Insidern zufolge in den nächsten Monaten eine ideologische Kehrtwende sehen, wie sie nur alle paar Generationen vorkommt.

Der Polit-Kolumnist des "Wall Street Journal", Jerry Seib, sieht die bevorstehenden Wahlen auf einer Ebene mit den Wahlen, die inmitten einer Wirtschaftskrise 1894 die Republikaner um Präsident McKinley an die Macht gebracht haben. Oder mit den Wahlen, die nach der großen Depression 1932 wieder den Demokraten um Franklin D. Roosevelt das Ruder in die Hand gaben. Und mit den Wahlen, die 1980 Ronald Reagan an die Macht brachten und die bis heute andauernde konservative Ära eingeleitet haben.

Für eine derart drastische Umkehr spricht, dass zurzeit weniger als 25 Prozent der Amerikaner ihr Land auf dem richtigen Weg sehen. Die Zufriedenheit mit der Politik des Präsidenten und der Legislative ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht - ein Umstand, der natürlich vor allem der Opposition in die Hände spielt, also den Demokraten.

Die werden von der Wall Street - bei aller Freundschaft - genau unter die Lupe genommen. Denn von der Steuerpolitik über den Kampf um eine staatliche Krankenversicherung bis hin zur Außenpolitik haben alle wichtigen Themen direkte Auswirkungen auf das Business in Amerika. Mal geht es im Wahlkampf um die Einwanderungspolitik und damit um den Nachschub an billigen Arbeitskräften, mal geht es um Handelspolitik und damit die Importe aus China und die Vor- und Nachteile von Protektionismus in manchen Branchen.

Während man an der Wall Street nun alle wichtigen Kandidaten im Auge behält, hat man sich von einer Tradition längst verabschiedet. Dass verstärkte Ausgaben der regierenden Partei im Wahljahr die Wirtschaft künstlich ankurbeln könnten, halten Experten zwischen New York und Washington für ausgeschlossen. Nachdem Bush und Co. fünf Jahre lang mit einer starken Wirtschaft gesegnet waren, haben sie den Zugang zu den aktuellen Problemen verloren. Außerdem ist der Regierung inmitten einer Immobilien- und Kreditkrise, zwischen Rezession und Inflation die Arme gebunden. Präsident Bush ist als "lahme Ente" längst abgeschrieben - die Zukunft gehört vielleicht dem Kandidaten, der sich am Donnerstag in Iowa die meisten Stimmen sichert.

Quelle: ntv.de

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