Marktberichte

Inside Wall Street Keine Zeit zum stillen Gedenken

Sieben Jahre ist es her, dass fast 3000 Menschen in den Terrorangriffen auf das New Yorker World Trade Center ums Leben kamen. Am Donnerstag gedachten die Amerikaner der Opfer, auch an der Wall Street: Da hatte der Tag mit einer Schweigeminute begonnen. Danach jedoch gab es ausreichend Gesprächsstoff.

Denn zum Innehalten bleibt Tradern am siebten Jahrestag der Attacken keine Zeit. Zwar haben viele auf dem Parkett an "9/11" Freunde verloren, doch die Gedenkfeiern verfolgen sie allerhöchstens aus dem Augenwinkel. Ganz ehrlich: Allzuviel hat man sich auch nicht einfallen lassen. In einer mühsamen Zeremonie wurden die Namen aller Opfer verlesen - das macht man jedes Jahr und es dauert Stunden. Der frühere New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani trug ein Gedicht vor, und die Präsidentschaftskonkurrenten Barack Obama und John McCain besuchten Ground Zero gemeinsam mit Bill Clinton.

Dazu gab es Dudelsackeblase, was immer traurig klingt und auch gut zur allgemeinen Stimmung an der New York Stock Exchange gepasst hätte. Dort gibt es auch abgesehen vom Terror-Jahrestag einiges zu betrauern. Den Untergang von Lehman Brothers etwa. Die Investmentbank verliert erneut 35 Prozent und hat nun in dieser Woche drei Viertel ihre Marktwertes eingebüßt. Das Haus soll nun verkauft werden, über Rettungsaktionen der Regierung kursieren Gerüchte.

Es wird verstaatlicht

Damit kann man auch gleich den Untergang der freien Marktwirtschaft in den USA beklagen. Denn nachdem die Regierung bereits bei Fannie Mae, Freddie Mac und Indymac eingesprungen ist, nachdem sie auch bei der Übernahme von Bear Stearns durch JP Morgan Chase Risiken auf sich nahm, sieht man jetzt offensichtlich überhaupt keine Grenzen mehr. Die Regierung kauft und verstaatlicht alles und jeden, der sich im Hypothekenstrudel verzockt hat.

Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen: Während Lehman Brothers in den letzten zwölf Monaten 91 Prozent an Börsenwert verloren hat, sind Washington Mutual 95 Prozent abhanden gekommen. Auch hier könnte ein Eingriff aus Washington nötig werden.

Und längst sind auch andere Branchen auf den Geschmack gekommen. General Motors und Ford fordern 50 Milliarden Dollar an Niedrigzins-Krediten, um neue Technologien und energieeffizientere Motoren entwickeln zu können. Dass der Staat die Entwicklung finanzieren soll und die Unternehmen nachher die Gewinne einstreichen, ist unverschämt - und doch ist es durchaus wahrscheinlich, dass Washington erneut eingreift.

Dramatische Folgen

Die zunehmende Verstaatlichung von Pleite-Kandidaten hat dramatische Folgen für die US-Konjunktur: Das Defizit wächst, der Dollar dürfte seine Erholungsrallye der letzten paar Wochen bald beenden. Die Fed steht der Entwicklung der US-Währung unterdessen völlig machtlos gegenüber: Man kann zur Zeit wegen des schwachen Wachstums die Zinsen nicht anheben, wegen hoher Inflation kann man sie auch nicht senken - und so müssen Ben Bernanke und Co. den Kräften des Marktes freien Lauf lassen.

Als wäre das alles nicht schlimm genug, verfolgt die Wall Street mit "Ike" den nächsten Hurrikan, der die Golfküste bedroht. Fast noch mehr Besorgnis erregend ist aber, dass selbst die größte Gefahr für die dortige Öl-Produktion den Ölpreis nicht stabilisieren kann. Zu sehr ist die Nachfrage nach dem schwarzen Gold gesunken; die Wall Street hat Angst vor einer massiven globalen konjunkturellen Abkühlung.

All das haben Anleger am Donnerstag im Kopf. Für ein stilles Gedenken an die Opfer des Terrors bleibt da wenig Zeit. Folgerichtig gab es an der New York Stock Exchange auch nur eine Schweigeminute; früher waren es einmal vier, die an die jeweiligen Angriffe auf beide Türme und deren Einsturz erinnerten.

Quelle: ntv.de

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