Inside Wall Street Lynchjustiz per iPhone
11.08.2009, 19:04 UhrApple ist die Erfolgsmaschine der letzten zehn Jahre, und darüber täuschen auch gelegentliche schlechte Nachrichten nicht hinweg.

(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ob es Gerüchte um Krebs bei Steve Jobs sind oder der ewige Streit mit Microsoft oder, wie im aktuellen Fall, ein iPhone-Programm, das die zivile Ordnung in den USA gefährden könnte - letzteres sollte man allerdings überdenken.
Ein Grundstein des überwältigenden Erfolgs des iPhone ist bekanntlich, dass Software-Entwickler einfachen Zugang zu Code und Vertriebsplattform bekommen und auf diese Weise nicht nur ein paar hundert Apple-Programmierer neue Ideen umsetzen können, sonden hunderttausende in aller Welt. Von externen Entwicklern stammen einige der beliebtesten Anwendungen: Spiele, Organizer für´s Büro, Online-Banking und GPS-gesteuerte Programme wie etwa RunKeeper, das Jogger und Radfahrer beim Training begleitet.
Von externen Entwicklern stammen aber auch einige der schlechteren Ideen: "Shake the Baby", etwa, eine Anwendung, bei der Spieler ein Baby schütteln mussten und die mittlerweile auf Betreiben verschiedener sozialer Einrichtungen aus dem Laden entfernt wurde.
Aktueller Renner unter den schlechten Ideen ist "Offender Locator", ein Programm mit direktem Zugriff auf die staatlichen Datenbanken für Sexualverbrecher. Auf Knopfdruck zeigt es, ebenfalls GPS-gesteuert, alle registrierten Sexualverbrecher im Umkreis an, samt Adresse und Vergehen. Kaum freigeschaltet kletterte das Programm unter die Top Ten der verkauften Programme. Nach einem kurzfristigen Verkaufsstopp - Daten aus Kalifornien mussten aus rechtlichen Gründen entfernt werden - notiert es zurzeit wieder auf Platz acht der Verkaufscharts.
Die Behörden sind darüber besorgt. Ausgerechnet in einem Land, in dem das Volk sehr emotionsgesteuert mit komplexen Sachverhalten umgeht - man beachte nur die aktuelle Diskussion um die Gesundheitsreform, in der Präsident Obama als Hitler dargestellt und vom "Todes-Gremium" gesprochen wird, das künftig Alte und Behinderte euthanasieren würde! - ausgerechnet in einem solchen Land sei es gefährlich, manche Informationen allzu leicht zugänglich zu machen.
Wer will kann zwar bereits seit Jahren per Internet auf die offiziellen Datenbanken für Sexualstraftäter zugreifen. Die Daten aber per iPhone mobil zu machen und 20 Millionen Kunden direkt in die Hand zu geben, könnte zu übereilten Racheakten führen. Solche gab es bereits: Im Bundesstaat Maine wurden etwa 2006 zwei längst rehabilitierte Männer erschossen, nachdem ein selbst erkorener Rächer die entsprechenden Adressen aus dem Netz gezogen hatte.
Besonders tragisch: Einer der beiden stand auf der Liste, weil er als 19-Jähriger wegen einvernehmlichem Sex mit seiner 15-jährigen Freundin verurteilt worden war. Solche Fälle gibt es in den ganzen USA zuhauf. Wendy Whitaker aus Georgia wird etwa ihr Leben lang registriert sein, weil sie als 17-jährige beim Oralsex mit ihrem Freund erwischt wurde - der stand gerade drei Wochen vor seinem 16. Geburtstag und war daher minderjährig.
In der offiziellen Datenbank steht im Vermerk zu Wendy Whitaker der Verweis auf "Sodomie", denn zur Tatzeit im Jahr 1996 wurde Oralsex bei den Behörden im Südstaat noch mit Sex mit Tieren gleichgestellt. Whitaker darf bis heute nicht in der Nähe von Schulen, Kindergärten, Parks und Büchereien wohnen und wird ihren Ruf wohl ihr ganzes Leben lang nicht bereinigen können.
Vor Gewaltakten hat sie keine Angst, andere aber schon. Mit recht: Unter "Sexualstraftäter" stellen sich die meisten Menschen nun einmal Schwerverbrecher vor, die Kinder vergewaltigt und Frauen gequält haben. Dass indes auch Flitzer auf der Liste stehen und in manchen Staaten öffentliches Pinkeln eine Sexualstraftat darstellt, wissen die wenigsten.
Amerika hat oft gezeigt, dass es einem großen Teil der Bevölkerung in ihrem Zorn nicht um Details geht. Die Umstände einer oft Jahrzehnte zurückliegenden Tat interessieren die wenigsten, und das umstrittene iPhone-Programm erklärt sie auch gar nicht erst. Es könnte also durchaus sein, dass wütende User zur Selbstjustiz greifen - Apple hätte dann seine Hände mit im Spiel. Das Unternehmen sollte diese Problematik überdenken und "Offender Locator" umgehend aus dem Angebot nehmen.
Quelle: ntv.de