Inside Wall Street Nur gut für den Markt
20.01.2010, 15:51 UhrDas Wohl und Weh der Börse hat mit der realen Situation in den USA nichts mehr zu tun. Ein mögliches Aus für die Gesundheitsreform, eine Enttäuschung für die US-Bürger, hat zu einer Rally geführt.

Der Republikaner Scott Brown sichert sich den Sitz des verstorbenen Ted Kennedy im Senat.
(Foto: REUTERS)
Rekordboni mitten in Krisenzeiten, Kreditstopp trotz Steuerhilfe - es ist längst klar, dass sich die Wall Street von der Main Street verabschiedet hat, sprich: Das Wohl und Weh der Börse hat mit der realen Situation in den USA nichts mehr zu tun. Das zeigt sich auch in dieser Woche: Ein mögliches Aus für die Gesundheitsreform, eine Enttäuschung für die US-Bürger, hat zu einer Rally geführt.
Am Dienstag haben die rund 4,5 Millionen wahlberechtigten Bürger von Massachusetts mehrheitlich den Republikaner Scott Brown als neuen Senator gewählt. Er tritt nun das Erbe des legendären Ted Kennedy an. Kennedy hatte mehr als 40 Jahre seinen Staat in Washington vertreten, war eine Ikone der Liberalen, ein Kämpfer für Bürgerrechte - und starb im August an einem Gehirntumor.
Der Sieg von Brown gegen die demokratische Kandidatin Martha Coakley hatte sich erst in den letzten Tagen abgezeichnet und ist eine politische Sensation. Denn seit Jahrzehnten mussten die Demokraten in Massachusetts um kein politisches Amt bangen. Der Staat hat seit 1972 keinen Republikaner in die Hauptstadt geschickt, der Gouverneur ist Demokrat, und auch im Parlament in Boston sitzen ausschließlich Demokraten. Barack Obama hat Massachusetts vor etwas mehr als einem Jahr mit einem Vorsprung von fast 25 Prozent gewonnen.
Umso schockierender jetzt der Wahlsieg von Brown, der auf einer Welle der Antipathie gegen die Gesundheitsreform ritt. Ausgerechnet der designierte Nachfolger von Ted Kennedy, seinerseits der größte Kämpfer für ein solides Gesundheitssystem mit Versicherungsschutz für alle Bürger, erklärte sich "stolz darauf, die 41. Stimme zu sein" - die Stimme im Senat, mit der die Republikaner die Sperrminorität ausbauen und die Reformen der Regierung Obama zerstören können.
Viele andere Projekte gefährdet
Ein Drama ist das nicht nur für Präsident Obama, für den die Gesundheitsreform ein Kernpunkt seiner Politik ist. Wirklich schlimm wäre es ein Ende der Reformbemühungen für zig Millionen Amerikaner ohne Versicherung. Toll wäre es hingegen für die Versicherungskonzerne, die zuletzt nur vor einem Angst hatten: dass die Bundesstaaten eigene Versicherungspolicen anbieten könnten, die den bisher hoch profitträchtigen kommerziellen Markt untergraben hätten.
Das dürfte dank der Gegenstimme des republikanischen Senators aus Massachusetts nicht passieren, was die Aktien der Krankenversicherer schon am Dienstag um rund fünf Prozent klettern ließ. Die Pharmazeuten, etwa Merck und Pfizer, kletterten um rund drei Prozent. Am Mittwoch gibt es leichte Gewinnmitnahmen, der weitere Trend für die Branchen ist allerdings klar: es geht nach oben.
Doch der Gesundheitssektor ist nicht der einzige, der von einem Wahlsieg von Scott Brown profitieren dürfte. Außer der Gesundheitsreform dürften nämlich noch viele andere Projekte der Regierung im Sande verlaufen, unter anderem eine Reform der Finanzmärkte und des Bankensektors - auch hier sind künftig weitere Gewinne zu erwarten.
Grundsätzlich zeichnet sich ab, dass den Demokraten trotz ihrer immer noch klaren Senatsmehrheit ohne eine gewisse Unterstützung aus dem gegnerischen Lager die Hände gebunden sind. Das heißt: In Washington könnte bis zu den nächsten Wahlen im November Stillstand herrschen. Bitter für die Bürger und Steuerzahler, aber gut für die Wall Street, wie amerikanische Analysten beteuern. Denn für die Märkte läuft es zurzeit nicht schlecht, jede neue Initiative aus der Hauptstadt wird daher als Gefahr angesehen.
Quelle: ntv.de