Bernanke zweifelt in Atlanta US-Börsen schließen schwach
07.06.2011, 22:45 Uhr
Erste Stimmen aus Atlanta: Bernanke äußert sich zur Lage.
(Foto: REUTERS)
Die großen Börsenbarometer an der Wall Street deuten den fünften Handelstag in Folge nach unten. Die Kurse drehen nach einer Rede von Notenbank-Chef Bernanke kurz vor Börsenschluss ins Minus. Der oberste Währungshüter der USA meldet sich bei einer Rede in Atlanta zu Wort - und zweifelt an der Kraft der US-Konjunktur.
Die US-Aktienmärkte haben am Dienstag nach einer mehrtägigen Verlustserie zumindest zeitweise im Plus notiert. Allerdings gingen Börsenexperten von einem kurzweiligen Effekt nach den teils herben Kursabschlägen in der jüngeren Zeit aus. "Ich denke nicht, dass es mehr ist als ein Aufbäumen in einem anhaltenden Abwärtstrend", analysierte Peter Boockvar von Miller Tabak & Co. das Marktgeschehen. Die Indizes drehten nach einer Rede von Notenbank-Chef Ben Bernanke kurz vor Börsenschluss ins Minus. Bernanke sagte, die US-Konjunktur habe an Fahrt verloren.
Nach der Rede gingen die großen Börsenbarometer mit leichten Verlusten aus dem Handel. Der Dow-Jones-Index der Standardwerte schloss 0,2 Prozent tiefer auf 12.070 Punkten. Der breiter gefasste S&P-500 gab 0,1 Prozent auf 1284 Zähler ab. Der Composite-Index der Technologiebörse Nasdaq verlor einen Zähler auf 2701 Punkte. In Frankfurt hatte der Dax 0,3 Prozent im Plus bei 7103 Punkten geschlossen.
Bis zu Bernankes Rede bei einer Bankenkonferenz in Atlanta hatten die US-Märkte im Plus tendiert. Anleger griffen bei vielen Titeln zu, die nach den Kursabschlägen in der jüngsten Zeit günstig zu haben waren. Doch insgesamt herrschte wie schon an den Vortagen eine pessimistische Grundstimmung an der Wall Street, weil sich die Investoren nach wie vor Sorgen über die Lage der US-Wirtschaft machten.
Bernanke zerstreute diese nicht. "Das US-Wirtschaftswachstum scheint in diesem Jahr bislang ein bisschen langsamer als erwartet auszufallen", sagte der Notenbanker laut Redetext. Gleichzeitig gab er keine Hinweise, dass die Fed weitere geldpolitische Wachstumsanreize unternehmen könnte, um gegenzusteuern. Es sei aber nicht davon auszugehen, dass der jüngste Schwächeanfall sehr lange anhalten werde, sagte Bernanke. In der zweiten Jahreshälfte sei mit stärkerem Wachstum zu rechnen.
Angesichts des trüben Arbeitsmarkts hält Bernanke weiterhin eine lockere Geldpolitik für nötig. Zwar bewege sich die größte Volkswirtschaft in die richtige Richtung, sagte er. Der Fed-Chef äußerte sich bei einer Bankenkonferenz in Atlanta kurz vor New Yorker Börsenschluss. Die Anleger hatten sich davon Hinweise erhofft, ob es sich nur um einen temporären Konjunkturrückschlag handelt oder eine neue Krise entsteht.
Die US-Wirtschaft produziere nach wie vor weit unterhalb ihres Potenzials, betonte Bernanke. "In der Folge ist eine angepasste Geldpolitik weiter notwendig", erklärte der Fed-Chef. "Solange wir nicht eine anhaltende Periode stärkeren Jobwachstums sehen, können wir nicht annehmen, dass die Erholung wirklich Fuß gefasst hat."
In diesem Monat endet ein heftig umstrittenes geldpolitisches Manöver der Notenbank, bei dem die Federal Reserve für 600 Mrd. Dollar Staatsanleihen mit dem Ziel kauft, die Zinsen niedrig zu halten. Dadurch soll die Nachfrage angekurbelt werden. Kritiker wenden ein, dass dadurch aber zugleich der Dollar künstlich geschwächt und Rohstoffpreise nach oben getrieben werden. Der US-Leitzins bewegt sich derweil seit Dezember 2008 in einer Spanne zwischen 0,0 und 0,25 Prozent auf einem historischen Tief.
"Auch wenn er davon spricht, dass die Wirtschaft in der zweiten Hälfte wieder in Fahrt kommt, ist es doch ziemlich pessimistisch", sagte Richard Gilhooly von TD Securities. Giri Cherukuri von Oakbrook Investments sagte dagegen, die Äußerungen seien wohl als neutral einzustufen. "Ich denke, er will sich seine Möglichkeiten offen lassen."
Mit den Papieren der Bank of America zählte eine der in den vergangenen Tagen arg gebeutelte Bankaktien erneut zu den Verlierern. Die Titel gaben 1,7 Prozent ab. JP Morgan Chase legten dagegen 0,5 Prozent zu. Der KBW-Bankenindex ging mit Verlusten aus dem Handel, er verlor 0,2 Prozent.
Bei den Einzelwerten standen auch die Aktien von zwei Verpackungsmittelherstellern im Mittelpunkt des Handelsgeschehens. International Paper legte für seinen heimischen Rivalen Temple-Inland ein feindliches Übernahmegebot über 3,3 Mrd. Dollar vor. Die Anteilsscheine von Temple-Inland schossen gut 40 Prozent in die Höhe, die Aktien von International Paper stiegen um 0,4 Prozent.
Die Dividendenpapiere von General Electric (GE) notierten 0,1 Prozent im Plus. Zuvor hatte es in einem Medienbericht geheißen, dass GE und Capital One Financial für das Online-Bankengeschäft des niederländischen Finanzkonzerns ING rund 9 Mrd. Dollar geboten haben sollen.
An der Spitze des Leitindex Dow Jones legten Intel um 1,1 Prozent auf 22,06 Dollar zu. Die am Vortag bereits gegen den Trend stabilen Microsoft-Aktien verbesserten sich um 0,2 Prozent auf 24,06 Dollar. Der Softwarekonzern baut für seine Spielekonsole XBox 360 und die Gestensteuerung Kinect das Portfolio an Spieletiteln kräftig aus. Auf der Spielemesse E3 in Los Angeles stellte das Unternehmen eine ganze Palette neuer Titel vor.
Cisco Systems fielen dagegen am Indexende um 3 Prozent auf 15,50 Dollar. Boeing fielen um 0,5 Prozent auf 74,18 Dollar. Der Flugzeughersteller sieht sich durch angebliche Pläne des Konkurrenten Airbus für größere Triebwerke nicht unter Handlungsdruck gesetzt. Am Montag kursierten Presseberichte, wonach der britische Motorenbauer Rolls-Royce bereit sei, ein neues Triebwerk für das A350-Projekt der EADS-Tochter Airbus zu entwickeln. Damit reagieren die Briten auf das Drängen von Fluggesellschaften nach mehr Schubkraft, um längere Strecken mit mehr Gewicht fliegen zu können.
Aktien der Nyse Euronext verloren nach zwischenzeitlicher Aussetzung vom Handel 0,65 Prozent auf 35,27 Dollar. Die Deutsche Börse und der New Yorker Börsenbetreiber wollen ihren Aktionären den geplanten Zusammenschluss mit einer Sonderdividende versüßen. Die Anteilseigner der fusionierten Gesellschaft sollen eine einmalige Ausschüttung von 2 Euro je Aktie erhalten.
Abgesehen von diesen Impulsen blieb das Marktgeschehen weitgehend überschaubar. Das Handelsvolumen fiel insgesamt gering aus. Auch das könne bedeuten, dass die Erholung am Markt von kurzer Dauer sein dürfte, sagte Peter Kenny von Knight Equity Markets. Nach den jüngsten, enttäuschen Wirtschaftsdaten hätten sich viele Investoren vor der mit Spannung erwarteten Bernanke-Rede zurückgehalten, hieß es.
An der New York Stock Exchange wechselten rund 930 Mio. Aktien den Besitzer. 1684 Werte legten zu, 1297 gaben nach und 130 blieben unverändert. An der Nasdaq schlossen bei Umsätzen von 1,86 Mrd. Aktien 1440 im Plus, 1131 im Minus und 120 unverändert.
Der Kurs des Euro setzte seine Rally fort und markierte mit 1,4694 US-Dollar erneut einen Höchststand. Die richtungweisenden zehnjährigen US-Staatsanleihen zeigten sich bei erneut ruhigem, nachrichtenlosen Handel kaum verändert. Sie sanken um 1/32 Punkte auf 101 2/32 Punkte. Die Anleihen rentierten mit 3,0 Prozent.
Quelle: ntv.de, DJ/dpa/rts