Massive Verluste Wall Street bricht ein
17.09.2008, 22:43 UhrAngesichts weiterer spektakulärer Umwälzungen in der Finanzbranche sind die US-Börsen zur Wochenmitte erneut massiv auf Talfahrt gegangen. Der Ausverkauf bei Finanzwerten beschleunigte sich teils drastisch. Investoren flüchteten in vermeintlich sichere Anlagen wie Gold, andere Edelmetalle und festverzinsliche Anlagen.
Der Goldpreis verzeichnete den höchsten je an einem Tag erreichten Anstieg. Der Preis für eine Feinunze kletterte im elektronischen Handel am Abend um bis zu 11,6 Prozent auf 870,90 Dollar. Auch Roh öl verteuerte sich nach zuletzt deutlichen Abschlägen wieder deutlich. Die Rentenm ärkte tendierten klar fester.
Der Dow-Jones-Index verlor 4,06 Prozent auf 10.610 Punkte. Der S&P-500-Index brach um 4,71 Prozent auf 1156 Punkte ein. Der NASDAQ-Index stürzte am stärksten ab mit einem Minus von 4,94 Prozent auf 2099 Punkte.
Beobachtern zufolge bestimmte extreme Nervosität den Handelsverlauf. Belastet wurde die Stimmung darüber hinaus durch schlechte Konjunkturdaten. Das historische Eingreifen der US-Notenbank beim angeschlagenen US-Versicherungsriesen AIG konnte den Anlegern die Ängste nicht nehmen. Nun geraten auch die zwei letzten unabhängigen US-Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley immer tiefer in den Abwärtssog an der Börse.
Die US-Regierung hatte AIG einen Notfallkredit in Höhe von 85 Mrd. Dollar zugesagt. Dennoch stürzte die Aktie des Versicherers erneut um 45 Prozent ab. "Jeder hat Angst, wer der nächste ist", sagte John O'Brien, Vizepräsident von MKM Partners. "Derzeit sehen wir einen Domino-Effekt", erklärte Peter Cardillo von Avalon Partners. Sorgen machten sich die Händler besonders um Morgan Stanley. Trotz der vorgezogenen Bekanntgabe überraschend guter Quartalszahlen am Vortag gingen die Papiere der Investmentbank nach einem zwischenzeitlich tieferen Sturz mit minus 24 Prozent aus dem Handel.
Morgan Stanley erzielte im abgelaufenen Geschäftsquartal einen Überschuss von 1,4 Mrd. Dollar, nur acht Prozent unter dem Vorjahr. Das war ein im Branchenvergleich relativ geringer Rückgang. Im Strudel der Finanzkrise gingen die guten Zahlen jedoch völlig unter - in der Spitze büßte die Aktie über 40 Prozent ein. Der fast totale Verlust ihres Börsenwerts hatte zum Wochenanfang bereits der US-Investmentbank Lehman Brothers mit das Genick gebrochen. Das, was mit der Morgan Stanley-Aktie passiere, sei angesichts der überraschend guten Zahlen beunruhigend, erklärte Peter Boockvar von Miller Tabak & Co.
Bankensektor im Sog
Die negative Stimmung zog auch die Titel von Branchenprimus Goldman Sachs nach unten, deren Aktie am Abend rund 13 Prozent tiefer stand. Papiere der Citibank brachen im Dow fast elf Prozent ein. Zwischenzeitlich hatten sie den tiefsten Stand seit 1996 erreicht. Wachovia büsste 20 Prozent ein.
Die Titel von Washington Mutual verloren rund 13 Prozent. Einem Bericht der "New York Post" zufolge sondiert die US-Bankenaufsicht den Markt nach Kaufinteressenten für die angeschlagenen US-Sparkasse.
Experte O'Brien befürchtet, dass durch die anhaltende Krise im Finanzsektor auch alle anderen Branchen belastet werden. "Wenn es kurzfristig kein Geld gibt, um das tägliche Geschäft zu unterstützen, dann kann die gesamte Wirtschaft nicht so funktionieren wie sie das eigentlich sollte", warnte er.
"Jeder Investor wird jetzt jede Investition auf der ganzen Welt infrage stellen", befürchtet John Schloegel von Capital Cities Asset Management. "Sie werden alles verkaufen, was irgendeine Form von Risiko beinhaltet." Sein Kollege Angel Mata von Stifel Nicolaus Capital warnt vor einer Verunsicherung der Konsumenten. "Schwappt das ganze jetzt auf die Konsumenten über? Gibt es morgen einen Sturm auf die Banken?", fragte er.
Kommt das Schlimmste noch?
Nach Einschätzung der Ratingagentur Standard & Poors (S&P) müssen Finanzinstitutionen weltweit bis Jahresende mit weiteren, erheblichen Abschreibungen und Kreditausfällen rechnen. Verantwortlich dafür seinen die Turbulenzen auf dem Kapitalmarkt sowie immer größere Ausfälle in Folgen der US-Immobilienkrise, schreibt die Ratingagentur in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht. "Es könnte der schwierigste Test für den ramponierten weltweiten Finanzsektor werden", warnte S&P-Kredit-Analyst Scott Bugie.
Im vergangenen Jahr hätten sich die Institute viel Geld beschafft, um die Verluste auszugleichen, schrieb Bugie. Nun seien die meisten Möglichkeiten ausgeschöpft und die Banken hätten es schwerer, sich neues Kapital zu beschaffen. Zudem habe der Druck auf die Branche durch die Pleite der Investmentbank Lehman Brothers weiter zugenommen.
Wackelkandidat in London
Sorgen bereitete den Märkten auch die Halifax Bank of Scotland (HBOS), die wegen der Finanzkrise in Nöten steckt. Nun wird eine Fusion mit dem britischen Finanzkonzern Lloyds erwogen. HBOS bestätigte Gespräche in einem fortgeschrittenen Stadium. Die HBOS-Aktien brachen zeitweise um über 50 Prozent ein. "Der Markt geht durch eine Kneipp-Kur mit Wechselbädern und jetzt landet mit HBOS bereits die nächste Bank auf dem Operationstisch", sagte ein Börsianer.
Kurzlebige Hoffnung
Am Dienstagabend hatte die außergewöhnliche Rettungsaktion der US-Notenbank für den Versicherungsriesen AIG noch die US-Börsen ins Plus drehen lassen und Hoffnungen auf eine Entspannung an den Märkten geweckt. Die Federal Reserve hatte mit einem Notkredit von 85 Mrd. Dollar die AIG vor dem Zusammenbruch gerettet. Im Gegenzug übernimmt sie die Kontrolle bei dem größten US-Versicherer. Die AIG war wegen Milliardenverlusten im Zuge der Kreditkrise in akute Kapitalnot geraten. Ihre Pleite hätte das internationale Finanzsystem erschüttern können.
Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers will die britische Großbank Barclays Kernbereiche der US-Investmentbank für gut 1,2 Mrd. Euro übernehmen. Dazu gehören auch das nordamerikanische Investmentbanking- und Kapitalmarktgeschäft sowie mehrere kleinere Abteilungen, wie die Bank am Mittwoch in London mitteilte. Insgesamt arbeiten rund 10 000 Menschen in den verschiedenen Bereichen.
Auch neue Konjunkturdaten trugen zum Pessimismus bei. Das Defizit in der US-Leistungsbilanz hat sich im zweiten Quartal 2008 überraschend stark ausgeweitet. Auch die US-Wohnbaubeginne gingen aufs Jahr hochgerechnet im August weiter zurück.
SanDisk weit im Plus
Neben den Finanzwerten lagen auch Technologieaktien im Schnitt weit im roten Bereich. Titel von Nortel Networks (minus 49 Prozent) etwa stürzten nach einer Umsatzwarnung ab.
Außerhalb der Finanzwerte hat der Speichermedienhersteller SanDisk ein Übernahmeangebot von Samsung in Höhe von 5,85 Mrd. Dollar oder 26 Dollar pro Aktie abgelehnt, da das Unternehmen dadurch unterbewertet sei. Die Papiere schlossen 39,1 Prozent im Plus.
Quelle: ntv.de