Auch Kummerkinder im Plus Wall Street richtungslos
15.08.2002, 22:20 UhrTrotz durchwachsener Nachrichten aus Konjunktur und Wirtschaft eröffneten die US-Börsen am Donnerstag im Plus. Im weiteren Verlauf mischte sich aber zunehmend Unsicherheit unter die Börsianer, die Indizes schleppten sich orientierungslos durch den Tag. Der Dow Jones Index lag mit 0,9 Prozent bei 8.818 Zählern im Plus, der technologielastige Nasdaq Composite legte 0,8 Prozent auf 1.345 Punkte zu.
Die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe in den USA ist in der Woche zum 10. August überraschend stark gestiegen. Wie das US-Arbeitsministerium mitteilte, seien 388.000 Anträge gezählt worden, nach 382.000 Anträgen in der Vorwoche. Volkswirte hatten mit einem Rückgang auf 378.000 Anträge gerechnet.
Besser nehmen sich da die Daten zur US-Industrieproduktion aus. Wie die US-Notenbank mitteilte, ist die Produktion im Juli entgegen der Erwartungen der Analysten gestiegen. Der Gesamtausstoß der Fabriken, Bergwerke und Energieversorger in den USA habe sich zum Vormonat saisonbereinigt um 0,2 Prozent erhöht, hieß es. Im Juni war ein revidiertes Plus von 0,7 Prozent erzielt worden. Analysten hatten einen Rückgang von 0,1 Prozent erwartet. Die Kapazitätsauslastung kletterte im Juli auf 76,1 Prozent. Das ist der höchste Stand seit August 2001.
Auch wenn die Konjunkturdaten noch kein einheitliches Bild zeichnen, dringen vereinzelt Stimmen durch, die ein Anziehen der US-Wirtschaft zu sehen glauben. So hat US-Finanzminister Paul O'Neill seine Einschätzung bekräftigt, dass sich das Wachstum der US-Wirtschaft im dritten Quartal verbessern und im Gesamtjahr auf drei bis 3,5 Prozent steigen werde. Die Regierung habe bereits entscheidende Schritte getan, um die Konjunkturaussichten zu verbessern, sagte O'Neill in Anspielung auf die Steuersenkungen des vergangenen Jahres und das Paket zur Stimulierung der Konjunktur vom Jahresanfang.
Die Aussagen des Finanzministers dürften Wasser auf die Mühlen des Conference Boards gießen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut hatte am Vortag kund getan, dass es kein erneutes Abgleiten der US-Wirtschaft in eine Rezession erwartet. Falls nicht unerwartet ein externer Schock für die Verbraucherpreisentwicklung oder die nationale Sicherheit auftrete, sei eine erneute Rezession praktisch unmöglich, erklärte Chefvolkswirtin Gail D. Fosler. Damit stellte sich die Ökonomin gegen die Meinung der US-Notenbank Fed, die zuvor Konjunktursorgen eingeräumt hatte.
Auf der Unternehmensseite bereitete UAL, der Mutterkonzern der zweitgrößten US-Fluglinie United Airlines, Kummer. UAL bereitet sich nach eigenen Angaben auf einen möglichen Insolvenzantrag nach Kapitel Elf des US-Konkursrechts vor. Aber noch ist es ja nicht soweit, und so stieg die Aktie nach zwischenzeitlich massiven Verlusten um 11,4 Prozent auf 2,73 Dollar. Marktexperten sehen in der Meldung vom Mittwochabend im Übrigen einen Warnschuss an die US-Regierung, doch bitteschön etwas für die Rettung der Fluglinie zu unternehmen.
In Mitleidenschaft gezogen wurden dagegen einige kleinere Regionalfluggesellschaften, die vor allem Zubringerflüge zu den großen Drehkreuzen von United durchführen. Die Aktie von SkyWest Airlines verlor 9,5 Prozent auf 14,25 Dollar, das Papier von Atlantic Coast Airlines stürzte 15,6 Prozent auf 11,60 Dollar ab.
Wenig Erfreuliches kommt auch vom weltgrößten Medienkonzern AOL Time Warner. Hier bahnt sich eine Miniatur-Version der Enronitis an. Der Konzern hat nun eingeräumt, in der Bilanz seiner Internet-Tochter AOL wahrscheinlich 40 Millionen Dollar widerrechtlich als Einnahmen verbucht zu haben. Zuvor hatten Vorstandschef Richard Parsons und Finanzchef Wayne Pace die Geschäftsergebnisse nach neuem Recht eidesstattlich bestätigt, die möglicherweise falschen Umsatzbuchungen aber ausgenommen. Die Offenheit der Konzernchefs zahlte sich offenbar aus, die Anleger verziehen die Fehlbuchungen und ließen die Aktie um 7,3 Prozent auf 11,86 Dollar steigen.
Kein Halten mehr gab es für die Aktie des Biotechnologiekonzerns Cryolife. Der Kurs war bereits am Mittwoch um 42 Prozent eingebrochen, ehe der Handel ausgesetzt wurde. Das Unternehmen stellt künstliches menschliches Gewebe für Transplantationen her. Im November vergangenen Jahres war es bei einem Kniepatienten zu einem Todesfall gekommen. Offenbar war das Implantat von Cryolife mit Keimen verseucht. Die US-Gesundheitsbehörde hatte daraufhin am Mittwoch angewiesen, dass alle Gewebe, die nach Anfang Oktober 2001 hergestellt wurden, sofort aus dem Verkehr zu ziehen und zu vernichten sind. Nach Handelsaufnahme brach die Aktie am Donnerstag um weitere 63 Prozent auf 2,03 Dollar ein.
Nachbörslich legte der zweitgrößte Computerbauer der Welt, Dell, seine Quartalszahlen vor. Der Gewinn je Aktie ist auf 19 Cent gestiegen und lag damit genau im Rahmen der Erwartungen. Im laufenden Quartal will Dell trotz des schwachen Branchenumfelds weiter wachsen. Die Aktie ging mit 27,14 Dollar nahezu unverändert aus dem Handel. Auch nachbörslich tat sich nicht mehr all zu viel.
Quelle: ntv.de