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Am Wochenende rollt alles Bahn-Streik macht Pause

Atempause im Bahn-Tarifkonflikt: Nach dem bisher längsten Streik bei der Deutschen Bahn soll der Reiseverkehr auf der Schiene am Wochenende und am Montag wieder planmäßig rollen. Ohne eine Verständigung auf Verhandlungen zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft GDL könnte der Konflikt aber schon am Dienstag in einen unbefristeten Arbeitskampf münden.

Die Lokführer-Gewerkschaft GDL erwägt bereits ab der kommenden Woche unbefristete Streiks im Personennah- und Fernverkehr sowie im Güterverkehr. Sollte sich die Deutsche Bahn über das Wochenende nicht bewegen und ihr Angebot nicht nachbessern, werde man darüber Anfang kommender Woche entscheiden, sagte der stellvertretende GDL- Vorsitzende Günther Kinscher. "Es wird uns nichts anderes übrig bleiben, wenn dieser Bahn-Vorstand sich nicht bewegt." Der jetzige Streik wird in der Nacht zum Sonnabend beendet. Bis einschließlich Montag werde die GDL nicht zu neuen Streiks aufrufen, sagte der andere GDL-Vize Claus Weselsky.

Neue Tarifgespräche zeichneten sich zunächst nicht ab. Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass am Wochenende Bewegung in die Sache kommen könnte. Der GDL-Vorsitzende Manfred Schell und Bahn-Personalchefin Margret Suckale treffen am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Anne Will" aufeinander, allerdings gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass sich der Tarifzoff vor laufender Kamera löst.

Ostdeutschland besonders betroffen

Am dritten Streiktag habe sich die Lage im Güterverkehr "dramatisch zugespitzt", berichtete die Bahn am Freitag. Vor allem in Ostdeutschland habe der massivste Arbeitskampf in der Geschichte des Unternehmens den Schienenverkehr weitgehend lahmgelegt. Die Bahn erwartet nach Ende des 62-stündigen Ausstands am Samstag um 2.00 Uhr eine planmäßige Wiederaufnahme des Personenverkehrs. Im Güterverkehr sollen am Wochenende Staus abgebaut werden.

Wie am Vortag fiel auch am Freitag ein großer Teil der S- und Regionalbahnen in den Ballungszentren aus. Die Kunden hatten sich vorbereitet. Chaos auf den Bahnhöfen blieb weitgehend aus. Besonders stark waren weiterhin die ostdeutschen Länder betroffen. An dem Streik wurden nach GDL-Angaben seit Streikbeginn am Mittwochmittag insgesamt mehr als 6.830 Schichten von Lokführern und Zugbegleitern bestreikt.

Im Güterverkehr sind in Ostdeutschland "nur noch die ganz wichtigen Versorgungszüge gefahren", sagte ein Bahn-Sprecher. Im Westen habe wie am Vortag eine Grundversorgung aufrechterhalten werden können. Bei der Wirtschaft hinterließ der Streik wesentlich weniger tiefe Spuren, als zuvor von Experten befürchtet. Sorgen bereitete allerdings die Drohung mit unbefristeten Streiks.

Die Automobil- und die Stahlindustrie berichteten von einigen Beeinträchtigungen. Ein Teil der Transporte wurde auf die Straße verlagert. Automobilzulieferer in Sachsen-Anhalt bekamen Probleme, weil Teilelieferungen ausblieben. Im Brüsseler Audi-Werk liegt bis Montag die Produktion lahm, weil Züge mit Karosserieteilen ausblieben. In einigen Elektrostahlwerken im Osten droht nach Verbandsangaben ein Produktionsstopp. In den Häfen stauten sich einige Container. Große Probleme gab es meist aber nicht. Im Hamburger Hafen muss am Wochenende nach Streikschluss nachgearbeitet werden.

Tarifparteien weiter unversöhnlich

Eine Einigung der Parteien schien am Freitag immer noch in weiter Ferne. Ein Einknicken gegenüber den Forderungen der GDL würde nach Überzeugung der Deutschen Bahn langfristigen Schaden anrichten. Der Sprecher für den Bereich Personenverkehr der Bahn, Gunnar Meyer, sagte in einem Fernsehinterview: "Das würde bedeuten, dass sich die Bahn vom Markt verabschieden kann. Das hätte Auswirkungen auf viele Arbeitsplätze aller Bahner, nicht nur der Lokführer." Es gehe darum, wie sich die Bahn langfristig am Markt behaupten könne. Dafür habe das Unternehmen lange Zeit gekämpft. "Und das lassen wir uns von einigen GDL-Funktionären nicht kaputt machen", betonte Meyer. Zum Vorschlag, die Lokführer in eine Servicegesellschaft auszugliedern, sagte der Sprecher: "Darüber wird nachgedacht. Es ist keine Entscheidung getroffen. Deswegen kann hier dazu noch nichts sagen." Die Lokführer wollen einen eigenen Tarifvertrag und höhere Einkommen von über 30 Prozent.

Die Lokführergewerkschaft GDL hält trotz der Kritik des Bahn-Aufsichtsrates an ihren Tarif-Forderungen fest. "Wir lassen uns von der Empfehlung des Aufsichtsrates nicht beeinflussen", hieß es in einer Mitteilung der Gewerkschaft. "Wir fordern weiterhin einen eigenständigen Tarifvertrag mit Entgelt- und Arbeitszeitverbesserungen." "Wir werden, wenn es nicht anders geht, am Ende des Tages auch unbefristet streiken", drohte Weselsky. Dies sei aber aktuell kein Thema, da sich die GDL nicht das Streikrecht vor Gericht wegen Unverhältnismäßigkeit aberkennen lassen wolle.

Von den Forderungen will der GSL-Vize nicht abrücken. "Der eigenständige Tarifvertrag ist zwanghaft, und zwar für uns zwingende Notwendigkeit, um aus dem Tarifkartell herauszukommen, das in den letzten zehn Jahren dazu geführt hat, dass unsere Lokomotivführer bei 1.500 Euro netto angekommen sind. Und das geht nur in einem eigenständigen Tarifvertrag. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass uns jemals irgendjemand hier 31 Prozent anbietet", so der GDL-Vize gegenüber n-tv. Zu erwarten sei jedoch, dass man zu Verhandlungen zusammenkommt und dass die Bahn ein Angebot mache, das mehr als 4,5 Prozent und 600 Euro beinhaltet. "Das hat sie bisher nicht getan, auch wenn sie das schön verpackt hat mit 2.000 Euro Einmalzahlung und zehn Prozent mehr Gehalt. Das sind Überstunden, das ist Mehrleistung, das ist für uns keine Verhandlungsgrundlage. Unsere Leute sind schon zu hoch belastet."

Bahnchef Hartmut Mehdorn hatte zuvor vom Aufsichtsrat Unterstützung für seinen harten Kurs im Tarifstreit mit der GDL bekommen. Nach einer Sondersitzung hatte das Gremium erklärt, es stütze die Position des Vorstandes, nicht auf die Forderung der GDL "nach Auflösung der Tarifeinheit einzugehen, auch wenn diese unentwegt weiter streiken sollte".

Der Schadenersatzklage der Bahn sieht die GDL gelassen entgegen. Die Klage sei unbegründet und substanzlos. "Das scheint das letzte Schießpulver zu sein, was dieses Management noch auf der Pfanne hat. Das sehen wir ganz locker und ganz gelassen", sagte GDL-Vize-Weselsky gegenüber n-tv. "Und deswegen werden wir uns damit nicht weiter auseinandersetzen." Die Bahn hatte mitgeteilt, die GDL auf fünf Mio. Euro Schadenersatz wegen eines Streiks im Juli zu verklagen. Die GDL habe mit dem eintägigen bundesweiten Streik im Regionalverkehr die Friedenspflicht gebrochen, sagte ein Bahn-Sprecher.

Streikkasse gefüllt

Der Arbeitskampf der Lokführer hat die Gewerkschaft nach Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bisher rund eine Mio. Euro gekostet. Allein der derzeitige 62- Stunden-Ausstand schlage mit rund 500.000 Euro zu Buche, sagte der Tarifexperte des arbeitgebernahen Instituts, Hagen Lesch. Weitere 500.000 Euro seien für die anderen Streikaktionen seit dem Ende der Friedenspflicht am 30. September angefallen.

Das IW gehe dabei von rund 60 Euro Streikgeld pro Tag und Lokführer aus, sagte Lesch. So komme das Institut auf die berechneten Gesamtkosten von rund einer Mio. Euro. Die GDL spreche dagegen von 45 Euro pro Tag und Lokführer, was entsprechend Gesamtkosten von 750.000 Euro bedeuten würde.

Im aktuellen Tarifkonflikt könnte die Gewerkschaft einen Arbeitskampf noch etwa bis Februar 2008 finanzieren, sagte Lesch. Eine in der Öffentlichkeit kursierende Zahl von 15 Mio. Euro, die die GDL angeblich in ihrer Streikkasse haben soll, sei vom Kölner Institut auf Plausibilität überprüft worden. "Die Zahl ist nicht abwegig", sagte Lesch. Sollten pro Tag rund 3000 Lokführer in den Ausstand treten, so würde das Geld in der Streikkasse nach IW- Berechnungen theoretisch für zwölf Wochen reichen. Die GDL äußert sich nicht zu ihrer Streikkasse. Es heißt lediglich, sie sei gut gefüllt und die Gewerkschaft könne einen längeren Streik durchhalten.

Gravierende Folgen

Der Streik der Lokführer im Güterverkehr hat nach Expertenansicht langfristig gravierende Folgen für das Verhältnis der Bahn zu ihren Kunden. "Der Imageverlust wiegt auf Dauer möglicherweise schwerer als die kurzfristigen wirtschaftlichen Schäden, die jetzt auftreten", sagte der Erfurter Professor für Eisenbahnwesen, Thomas Berndt. Dadurch könne sich der Arbeitskampf für die Lokführer als Bumerang erweisen. "Sie sägen an dem Ast, auf dem sie itzen."

Weihnachtsgeschäft bedroht?

Der Bahnstreik bedroht nach Angaben des Einzelhandels das Weihnachtsgeschäft. "Geschäfte berichten bereits über einen Kundenschwund", sagte Hubertus Pellengahr vom Branchenverband HDE. Betroffen seien viele Innenstädte, weil durch den Streik vielerorts auch der Nahverkehr lahm gelegt wird. Am stärksten beeinträchtigt würden die Geschäften in den großen Bahnhöfen. "Die Bahn hat viele Bahnhöfe zu Shopping-Centern mit Gleisanschluss umgebaut", sagte Pellengahr. "Für die Händler dort ist der Streik ein Desaster, zumal sie sehr hohe Mieten zahlen müssen." Wie groß der Schaden für die Branche ist, lasse sich aber nicht feststellen.

Leere Regale müssen die Kunden nach den Worten Pellengahrs trotz des Streiks im Güterverkehr nicht fürchten. "Der Lebensmittelhandel ist unabhängig von der Schiene." Hier erfolge der Transport ausschließlich per Lkw. Auch bei anderen Waren sei vorerst nicht mit Lücken im Sortiment zu rechnen. "Erst wenn der Streik 14 Tage ohne Unterbrechung andauert, kann es Probleme im Non-Food-Bereich geben, wenn Waren nicht mehr aus den Seehäfen abtransportiert werden können", sagte Pellengahr.

Für die Einzelhändler sind November und Dezember die mit Abstand wichtigsten Monate des Jahres. Hier erlösen sie ein Fünftel ihres Umsatzes. Die Branche ist diesmal besonders auf ein gutes Weihnachtsgeschäft angewiesen, weil die Erhöhung der Mehrwertsteuer große Löcher in die Kassen gerissen hat. Trotz guter Konjunktur setzte der Einzelhandel von Januar bis September 0,9 und preisbereinigt sogar 1,6 Prozent weniger um als vor einem Jahr. Mit einem starken Schlussspurt soll daraus im Gesamtjahr noch ein Plus von 0,5 Prozent werden. Preisbereinigt wäre dies immer noch ein Minus von 0,5 Prozent.

Quelle: ntv.de

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