Unparteiisch im Gasstreit EU schickt Beobachter
07.01.2009, 20:35 UhrDie USA haben die Blockade der Gas-Lieferungen von Russland über die Ukraine nach Europa kritisiert. Die Versorgung für "verwundbare Menschen" mitten im Winter zu kappen, "das ist für uns nicht hinnehmbar", sagte der stellvertretende Sprecher des US- Außenministeriums, Robert Wood, in Washington. Er rief Moskau und Kiew auf, eine "transparente" Vereinbarung zur Beilegung des Disputs zu treffen.
Im Streit um die russischen Gaslieferungen hat sich die Regierung in Kiew mit der Europäischen Kommission auf die sofortige Entsendung von EU-Beobachtern in die Ukraine geeinigt. Wie die ukrainische Regierung erklärte, wurde die Einigung in einem Telefonat zwischen Regierungschefin Julia Timoschenko und EU-Kommissionspräsident Jos Manuel Barroso erzielt. Timoschenko sicherte Barroso demnach zu, den Transit von russischem Erdgas durch die Ukraine nach Europa zu gewährleisten.
In einer weiteren Erklärung hieß es, Timoschenko habe auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert. Diese habe den Vorschlag der EU zur Stationierung von Beobachtern an der russisch-ukrainischen Grenze unterstützt. Die Beobachter sollen prüfen, wieviel russisches Gas durch die Pipelines strömt.
Das russische Energieunternehmen Gazprom bestätigte unterdessen offiziell, seine Gaslieferungen nach Europa über die Ukraine am Mittwoch vollständig gestoppt zu haben. Grund dafür sei die Behinderung des Transits durch Kiew. Das Unternehmen kündigte zugleich an, seine Gaslieferungen durch Weißrussland und die Türkei zu erhöhen und andere Gasreserven für Europa zu erschließen.
Zuvor hatte Russlands Regierungschef Wladimir Putin seine harte Haltung im Gasstreit bekräftigt. Russland werde seine Gaslieferungen nach Europa über die Ukraine nur bei Stationierung internationaler Beobachter wieder aufnehmen, hieß es. Der staatliche russische Energiekonzern Gazprom werde erst wieder liefern, wenn ein Mechanismus zur Kontrolle unter Beteiligung internationaler Beobachter gefunden sei, sagte Putin in Moskau nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax.
Hektische Verhandlungen
Putin bestätigte damit entsprechende Angaben des tschechischen Regierungschefs Mirek Topolanek, dessen Land zur Zeit die Ratspräsident der EU innehat. Die Ukraine nutze ihre Lage als Transitland, um die europäischen Gasverbraucher als "Geiseln" zu nehmen, warf Putins Pressesprecher Dmitri Peskow dem Nachbarland vor. Die Ukraine sei "entschlossen", die Energiesicherheit in Europa zu gefährden. Russland wirft der Ukraine vor, sie habe die Pipelines geschlossen und so die Weiterleitung russischen Gases nach Europa zu verhindern. Nach Angaben der Ukraine dagegen pumpt Russland seit Mittwochmorgen kein Gas mehr in die Pipelines.
Deutschlands größter Gasimporteur Eon Ruhrgas und das ostdeutsche Unternehmen Verbundnetz Gas AG (VNG) beziehen seit Mittwoch kein Erdgas mehr aus den Pipelines durch die Ukraine.
Die Ukraine-Route ist dicht
Am Morgen hatten die staatliche ukrainische Gasgesellschaft Naftogaz und der russische Gasmonopolist Gazprom übereinstimmend mitgeteilt, dass die Lieferungen von russischem Erdgas über die Ukraine nach Europa komplett gestoppt worden sind.
"Über den Transit Ukraine fließt kein Gas mehr", bestätigte ein Eon-Ruhrgas-Firmensprecher. Über die Ukraine werden normalerweise rund 80 Prozent des russischen Gases nach Deutschland gebracht, der Rest läuft über Weißrussland und Polen bis Frankfurt/Oder. Die dortige Pipeline sei von den Problemen nicht betroffen, dort laufe der Betrieb störungsfrei, betonte der Eon-Ruhrgas-Sprecher.
Versorgung in Deutschland gesichert
An der wichtigsten Grenzstation des Unternehmens im bayerischen Waidhaus nahe der tschechischen Grenze komme "dramatisch weniger" Gas an. Die Versorgung der Bevölkerung sei dennoch nach wie vor gesichert. Eon-Ruhrgas greift dazu auf die Lieferungen über Weißrussland, seine Gasspeicher und andere Lieferländer wie Norwegen zurück. Auch VNG verwies auf die Lieferungen über die Pipeline durch Weißrussland und Polen. Gazprom ist Hauptlieferant der VNG.
Anders als am Dienstag befürchtet, ist in Waidhaus, wo sonst das über die Ukraine gelieferte Gas ankommt, der Gasdruck nicht komplett auf Null gesunken. "Gazprom lenkt offenbar Gas über andere Routen nach Waidhaus um", sagte der Firmensprecher.
Umleitung via Weißrussland
Der russische Erdgasriese Gazprom leitet angesichts des Streits mit der Ukraine nach Angaben von Wingas inzwischen mehr Gas durch Weißrussland und Polen nach Deutschland. "Wir bekommen jetzt mehr russisches Erdgas an der deutsch-polnischen Grenze", sagte der Geschäftsführer des deutsch-russischen Gashandelsgesellschaft Wingas, Gerhard König.
Wingas, ein Gemeinschaftsunternehmen von Gazprom und der BASF-Tochter Wintershall, beziehe den weitaus größeren Teil seines russischen Erdgases über die sogenannte Jamal-Europa-Pipeline durch Weißrussland und Polen.
Gewaltige Erdgas-Speicher
Wingas besitze darüber hinaus in Norddeutschland den größten Erdgasspeicher Westeuropas, in dem ein Viertel des Jahresbedarfes der Kunden als Vorrat gehalten werde. Der Speicher sei gut gefüllt.
"Die Wohnzimmer bleiben warm", sagte König. Die Versorgungssicherheit Europas mit Erdgas könne durch den Bau der Ostseepipeline Nordstream weiter erhöht werden. "Ihre Realisierung verringert das Transitrisiko nachhaltig", sagte König.
Warme Worte von RWE
Der deutsche Energiekonzern RWE sieht trotz des kompletten russischen Gas-Lieferstopps weiterhin keine Auswirkungen für die Verbraucher in Deutschland. "Kein RWE-Kunde muss frieren. Deutschlands Wohnzimmer bleiben warm", sagte ein Sprecher. Dank großer Reserven und einer Vielzahl von Lieferländern sei Deutschland in einer komfortablen Position. Die gut gefüllten Speicher könnten fast ein Viertel des Jahresbedarfs von Industrie und Privatkunden decken.
Auch in Tschechien müsse niemand frieren, sagte der Sprecher. Zwar komme in das Nachbarland seit der Nacht zu Mittwoch kein Gas aus Russland mehr an. Durch den erhöhten Transport von Erdgas aus Norwegen und die Öffnung von Speichern sei die Lage auch dort entspannt. Die RWE-Tochter Transgas ist der größte Energieversorger in Tschechien.
Technisch weit schwieriger sei es in weniger zentral gelegenen Ländern Südosteuropas, russische Lieferungen zu ersetzen, erklärte der RWE-Sprecher. Hier gebe es kaum Ausweichrouten und Alternativ-Pipelines, um Erdgas etwa aus Norwegen anzuzapfen.
R ückenwind für die Ostsee-Route
Der Gasstreit werde die Unterstützung für die Ostsee-Pipeline zwischen Russland und Deutschland stärken, sagte der russische Regierungschef Putin in St. Petersburg. "Unsere europäischen Partner haben jetzt begriffen, dass dieses Projekt nötig ist und schnell realisiert werden muss."
Putin hatte sich zuvor mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder getroffen, dem Chef des Betreiber-Konsortiums der Pipeline, Nordstream. Baltische Staaten protestieren aus Umweltschutzgründen gegen den Bau der Transportleitung.
Wien sorgt vor
Die Versorgung Österreichs mit Erdgas ist vorerst gesichert. Das sagte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der österreichischen Energie-Control GmbH (E-Control) und der OMV. "Die Versorgung der privaten Haushalte ist für die nächsten drei Monate gesichert", sagte Mitterlehner.
Für den Industrie- und Gewerbebereich kündigte der Minister ein Maßnahmenpaket zur "intelligenten Steuerung des Gaskonsums" an. Dies beinhalte den Umstieg der Energieproduktion von Kraftwerken auf Erdöl sowie die Steuerung des Erdgasbezugs von Großkunden nach Bedarfsanpassungen. Diese Maßnahmen würden ergriffen, wenn es bis zum 12. Januar keine Lösung im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine gibt.
Italien abgeschnitten
Auch Italien hat am Mittwoch erstmals kein Gas mehr über die russischen Pipelines erhalten. Dies gab ein Sprecher des italienischen Energie-Konzerns Eni bekannt. Der Minister für Wirtschaftsentwicklung Claudio Scajola hatte zuvor angekündigt, ein Notstandskomitee zur Energiekrise einzuberufen.
Italien deckt den Großteils seines Bedarfs an Erdgas mit Lieferungen aus Algerien (33,2 Prozent) und Russland (30,9 Prozent). Weitere Bezugsländer sind unter anderem Libyen (12,5 Prozent), Niederlande (10,9 Prozent) und Norwegen (7,8 Prozent).
Gasstreit drückt Versorger-Aktien
Der andauernde Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine hat Händlern zufolge die Aktien der beiden deutschen Energiekonzerne Eon und RWE belastet. Zwar dürfte sich die Auseinandersetzung nicht unmittelbar auf die Geschäfte der beiden Unternehmen auswirken, "aber es ist ein Problem für die Stimmung", sagte ein Händler.
Einem weiteren Börsianer zufolge fürchten einige Investoren, dass insbesondere Eon durch die Tochter Ruhrgas bei anhaltend kaltem Wetter doch noch von dem Streit betroffen sein könnte. "Das ist alles schwer einzuschätzen", sagte ein dritter Marktteilnehmer.
Nach Einschätzung von Equinet-Analyst Michael Schäfer ist die Abhängigkeit von Eon von russischem Erdgas allerdings begrenzt, und der Konzern habe genügend Gas eingelagert. Für RWE spiele das Gasgeschäft eine geringere Rolle als für Eon, erklärte er.
Quelle: ntv.de