Zentralbanken kämpfen Europa vs Rezession
06.11.2008, 13:56 UhrDie Zentralbanken Europas stemmen sich mit weiteren kräftigen Zinssenkungen gegen einen Konjunktureinbruch. Die Bank von England überraschte mit einem spektakulären Schritt und kappte ihren Leitzins um gleich eineinhalb Prozentpunkte auf drei Prozent - das niedrigste Niveau seit 1954. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizer Nationalbank reduzierten ihre Schlüsselzinsen für die heimische Finanzwirtschaft je um 50 Basispunkte auf 3,25 beziehungsweise zwei Prozent. In Kopenhagen legte die dänische Zentralbank mit einem Abschlag von ebenfalls 50 Basispunkten auf fünf Prozent nach und in Prag sorgten die tschechischen Währungshüter mit einem überraschend deutlichen Abwärtsschritt um 75 Basispunkte auf 2,75 Prozent für Gesprächsstoff.
Die Notenbanken folgten damit der US-amerikanischen Federal Reserve und wichtigen asiatischen Zentralbanken, die in den vergangenen Tagen ebenfalls ihre Zinsen gesenkt hatten, um die Folgen der globalen Finanzkrise abzufedern. Experten rechnen mit weiteren Zinssenkungen in aller Welt, um eine Rezession wenn auch nicht zu verhindern, so doch wenigstens zu mildern.
Ungewöhnliche Konferenz
In Frankfurt ließ EZB-Präsident Jean-Claude Trichet die Bereitschaft zu einer weiteren Lockerung der Geldpolitik durchblicken. "Ich schließe nicht aus, dass wir die Zinsen weiter senken könnten." Der Preisdruck - noch im Sommer wichtigster Anlass zur Sorge für die Währungshüter und Grund für eine Zinserhöhung im Juli - werde in den kommenden Monaten weiter nachlassen. Im nächsten Jahr könne sogar Preisstabilität erreicht werden, sagte Trichet.
Zunächst war Trichet kaum auf Wachstumsrisiken eingegangen. 80 Prozent der Redezeit nahm die Beschreibung der Inflationsentwicklung in Anspruch, wobei die Zinssenkung mit den gesunkenen Inflationsgefahren begründet wurde und nicht mit dem Erfordernis aufgrund der sich stark abschwächenden wirtschaftlichen Aktivität im Euroraum. Der EZB-Chef ging erst auf Nachfrage von Journalisten nochmals etwas deutlicher auf die angespannte Liquiditätslage der Banken untereinander eingegangen.
Die immer unübersehbareren Folgen der Finanzkrise für die Wirtschaft bereiten den Notenbankern immer noch Kopfzerbrechen, räumte der Zentralbanker ein. So habe die Krise die Kreditvergabe der Banken an die Unternehmen bereits gedämpft, sagte Trichet. "Die Zunahme der Turbulenzen an den Finanzmärkten wird die weltweite Nachfrage und auch die Nachfrage in der Euro-Zone wahrscheinlich für einen ziemlich ausgeprägten Zeitraum dämpfen."
Trichet berichtete, dass die Währungshüter auch darüber diskutiert hätten, die Zinsen sogar um 75 Basispunkte zu kappen, so kräftig wie noch nie in der zehnjährigen Geschichte von EZB und Währungsunion. Ein noch größerer Schritt war nach den Worten Trichets kein Thema. Die EZB hatte Anfang Oktober bereits gemeinsam mit der Fed in Washington, der britischen Notenbank und anderen wichtigen Zentralbanken den Leitzins überraschend gekappt. Dieser Aktion, die an den Kapitalmärkten allerdings weitgehend verpufft war, schlossen sich bis heute Zentralbanken in vielen Industrie- und Schwellenländern an.
Drastischer Zinsschritt in London
In London zeichnete die Bank von England ein extrem düsteres Szenario für die britische Konjunktur. Die Schweiz steht nach Einschätzung der dortigen Nationalbank an der Schwelle zur Rezession. Die Eidgenossenschaft leide massiv unter der globalen Konjunktureintrübung, hieß es.
Gleiches gilt für Großbritannien: Das Land ist mit seinem Finanzzentrum London sogar weit stärker als viele Staaten Kontinentaleuropas von der Banken- und Immobilienkrise betroffen. Die Häuserpreise fielen zuletzt drastisch, und der Servicesektor schrumpft im Rekordtempo. Erst für 2010 sehen Ökonomen wieder Licht am Ende des Tunnels. "Der Notenbank war klar, dass das Zinsniveau zu hoch war", sagte Amit Kara von der Schweizer Großbank UBS.
Die im Vergleich zur Bank von England recht moderate Zinssenkung der EZB sorgte für Enttäuschung bei Investoren. Der deutsche Börsenleitindex Dax verlor zeitweise sieben Prozent, auch der Euro musste Federn lassen. Viele Experten und die deutschen Bankenverbände lobten die EZB. "Die Erwartungen, dass die EZB jetzt der Bank von England hinterher rennt, waren wohl etwas übertrieben. Das Positive ist, dass sie ihr Pulver trocken hält und bei neuen Verwerfungen noch reagieren kann. In dieser Lage ist die Fed ja nun nicht mehr unbedingt", sagte Glenn Marci von der DZ Bank. In den USA steht der Leitzins aktuell nur noch bei einem Prozent, weitere Abwärtsschritte noch vor Weihnachten sind auch dort nicht ausgeschlossen.
Quelle: ntv.de