Ricke und Zumwinkel im Visier Fahnder bei der Telekom
29.05.2008, 14:27 UhrIn der Telekom-Bespitzelungsaffäre gerät die frühere Spitze von Europas größtem Telekomkonzern ins Visier der Behörden. Gut zwei Wochen nach einer Strafanzeige der Deutschen Telekom hat die die Bonner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Dabei ließ sie auch die Telekom-Zentrale in Bonn durchsuchen. Im Fokus der Ermittler stehen der frühere Konzernchef Kai-Uwe Ricke und der Ex- Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Zumwinkel. Beide seien Gegenstand der Ermittlungen, sagte Oberstaatsanwalt Fred Apostel. Bislang unbestätigten Informationen zufolge richten sich die Ermittlungen gegen sechs weitere Personen.
Nach Angaben von Apostel sind weder aktuelle Vorstandsmitglieder noch der Vorstandsvorsitzende Ren Obermann im Visier der Ermittler. Nach seinen Worten geht es um den Vorwurf der missbräuchlichen Verwendung von Daten und der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Das Ermittlungsteam umfasse zurzeit 50 Leute, darunter Spezialisten des Bundeskriminalamtes. "Wir ermitteln relativ umfassend, dazu gehören auch Vernehmungen", sagte Apostel. Bei der Durchsuchung seien ihnen alle Räume der Entscheidungsträger zugänglich gemacht worden.
Telekom-Sprecher Philipp Schindera sagte, dass angesichts der Schwere der Vorwürfe von einer Einleitung eines Ermittlungsverfahrens auszugehen war. "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir an einer lückenlosen Aufklärung interessiert sind." Am Mittwochabend hatte der Aufsichtsrat der Telekom über die Affäre beraten und Obermann den Rücken gestärkt. Auch der Bund als Großaktionär stellte sich demonstrativ vor Obermann. Der Vorstandsvorsitzende habe entschiedene Maßnahmen eingeleitet, allen Vorwürfen nachzugehen und sie aufzuklären, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. "Er hat unsere volle Unterstützung dabei."
Brisantes Erbe
Unterdessen gerät Obermann wegen des Umgangs mit der Affäre selbst unter Druck. Die umstrittenen Bespitzelungsaktionen fielen nach bisherigen Informationen in die Amtszeit von Obermanns Vorgänger Kai-Uwe Ricke, der von Obermann im November 2006 abgelöst wurde.
Ein erster Fall war nach Telekom-Darstellung bereits im Sommer 2007 ans Licht gekommen, allerdings ohne dass die Telekom darüber bereits damals Betroffene und Öffentlichkeit informierte. "Die Telekom hat die Redaktion damals nicht informiert", sagte ein Telekom-Sprecher der "Süddeutschen Zeitung". Schindera erklärte dies im ARD-Morgenmagazin mit der schwierigen Lage des Konzerns in der fraglichen Zeit: "Der Punkt damals war für uns, dass wir in einer Zeit, wo wir beispielsweise auch einen Streik hatten, wo das Unternehmen vor der Zerreißprobe war, davon Abstand genommen haben, diesen Einzelfall an die Öffentlichkeit zu bringen."
Rabiate Maulwurfsuche
Das Unternehmen informierte den betroffenen Redakteur erst vor einigen Tagen, nachdem weitere Bespitzelungsfälle aufgetaucht waren. Es soll sich um den Journalisten Reinhard Kowalewsky vom Magazin "Capital" gehandelt haben. Dieser hatte 2005 und 2006 wiederholt über Interna aus Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen berichtet.
Die Sicherheitsleute der Telekom hätten vermutet, dass die Journalisten ihre Informationen vom Chef des Konzernbetriebsrats, Wilhelm Wegner, erhalten hätten. Wegner gehört dem Aufsichtsrat an. Der Fall "Capital" wurde bei der Telekom im Sommer 2007 durch einen internen Hinweis bekannt. Obermann hatte daraufhin den Chef der Sicherheitsabteilung entlassen und die Konzernsicherheit umgekrempelt.
"Ein Abgrund von ..."
Der Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses Gruner+Jahr, Bernd Kundrun, reagierte mit heftiger Kritik an die Adresse der Telekom: "Das Haus Gruner+Jahr mit seinen Publikationen "Capital" und "Financial Times Deutschland" ist nach heutigem Kenntnisstand Angriffspunkt von Aktionen der Deutschen Telekom gewesen, die ich bisher in unserem Lande nicht für möglich gehalten hätte", sagte Kundrun.
Nach Informationen der "FTD" soll die Telekom bereits 2000 einen Spitzelauftrag erteilt haben, der an die Berliner Control Risks Group (CRG), eine international tätige Unternehmensberatung für Krisenmanagement und Ermittlungen, gegangen sei. Diesen Auftrag habe ein Mitarbeiter vergeben, der später zum Leiter der Telekom-Konzernsicherheit aufgestiegen sei.
Unklar ist nach Angaben der Zeitung aber, in wessen Auftrag er gehandelt habe. Vorstandschef war zu diesem Zeitpunkt Ron Sommer. "Wir haben dazu nichts in unseren Unterlagen gefunden", zitiert das Blatt CRG-Geschäftsführer Jürgen Stephan. Control Risks habe interne Untersuchungen eingeleitet. Nach weiteren Angaben des Blattes suchte eine von Ex-Geheimdienstlern gegründete Berliner Wirtschaftsdetektei Desa nach einem Leck bei der Telekom. Im Visier habe dabei unter anderem ein Reporter der "FTD" gestanden. Ein Konzernsprecher sagte, der Fall sei dem Unternehmen nicht bekannt.
Stasi-Methoden bei der Telekom?
Der betroffene "FTD"-Journalist, Tasso Enzweiler, erklärte im Interview mit n-tv die Hintergründe: "Die FTD ist 2000 auf den Markt gekommen und hatte damals noch einen stark investigativen Charakter. (...) Insofern lag es nahe, dass man in Gesprächen mit Managern durchaus versucht hat, Entwicklungen, die noch im entstehen waren, relativ früh rauszufinden, also Planzahlen oder wichtige Projekte, die der Konzern vorhatte. Es ist halt das übliche Verfahren auch von anderen Journalisten bei Wirtschafts- und Nachrichtenmagazinen, um exklusive Informationen zu bekommen."
Zu der Bespitzelung durch die Telekom sagte Enzweiler: "Ich war natürlich wirklich erschrocken, weil ich das in der Form so nicht erwartet hätte." Der Journalist wollte sich nicht festlegen, ob auch in anderen deutschen Unternehmen solche Bespitzelungen vorkommen: "Das kann ich nicht beurteilen. Ich würde allerdings sagen, dass generell bei den Unternehmen erst einmal eine Unschuldsvermutung gelten sollte."
Wie die "FTD" weiter berichtete, sollen die Methoden weit über das für die Jahre 2005 und 2006 bereits bekannte Auswerten von Telefonverbindungen hinausgegangen sein. Die privaten Fahnder versuchten danach sogar, mit versteckter Kamera Hinweise auf die Kontaktperson des Reporters zu finden.
Dies lege nahe, dass die Telekom jahrelang ein Spitzelsystem gegen Journalisten und ihre Spitzenkräfte unterhalten habe, resümierte das Blatt. Die Telekom hatte am Wochenende eingestanden, dass der Konzern 2005 und 2006 Telefon-Verbindungsdaten missbräuchlich genutzt habe. Vor rund zwei Wochen hatte die Telekom nach Angaben von Vorstandschef Ren Obermann Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Zuvor hatte "Der Spiegel" die Affäre ans Licht gebracht.
Quelle: ntv.de