Pendler weichen aus GDL feiert Streikerfolg
12.10.2007, 06:22 UhrMit einem bundesweiten Streik der Lokführer und dem Ausfall tausender Züge hat der Tarifkonflikt bei der Bahn am Freitag einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die Gewerkschaft GDL bezeichnete den Ausstand als "vollen Erfolg", 85 Prozent des Nahverkehrs seien zum Erliegen gekommen. Dagegen erklärte die Bahn, zwei Drittel ihrer Züge seien gefahren. Die Fahrgäste reagierten zum Teil mit Verständnis, zum Teil verärgert. Auf Kritik stieß der Streik auch aus dem Grund, weil die Tarifparteien sich bereits auf neue Verhandlungen am Montag verständigt hatten.
Die GDL hatte zum zweiten Mal das Fahrpersonal zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen, diesmal von 2.00 bis 24.00 Uhr. Am Freitag voriger Woche bestreikte sie drei Stunden lang den Nahverkehr, nachdem das Arbeitsgericht Chemnitz nur Stunden zuvor Streiks im Fern- und Güterverkehr verboten hatte. Die Bahn verzichtete auf einen Notfahrplan. Nach Angaben des Bahnpersonalvorstands Karl-Friedrich Rausch fiel jeder zweite Regionalzug aus, wobei der Osten stärker als der Westen Deutschlands betroffen war. Gewerkschaftschef Manfred Schell sagte in Frankfurt: "Die Bahn hat heute nichts im Griff."
Die Auswirkungen des Streiks sind regional sehr unterschiedlich. Im Raum Leipzig/Halle kam der Verkehr am Morgen vollständig zum Erliegen. Auch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern waren massiv betroffen: Auf etlichen Bahnlinien ging nach Angaben der Bahn überhaupt nichts mehr. In Berlin versuchte die S-Bahn, einen 20-Minuten-Takt aufrecht zu halten. Wegen überfüllter Busse und U-Bahnen mussten die Berliner Verkehrsbetriebe aber zeitweise Fahrgäste an Haltestellen stehen lassen. "Wir sind an unsere Grenzen gestoßen", sagte BVG-Sprecherin Petra Reetz. Zwischenfälle habe es nicht gegeben: "Die Leute waren relaxed."
In Nordrhein-Westfalen brach der Regionalverkehr am Nachmittag weitgehend zusammen. "Viel geht nicht mehr", sagte ein Sprecher der Bahn. Es führen nur noch ein Drittel der S-Bahnen und weniger als die Hälfte der Regionalbahnen. Baden-Württemberg war einer der Schwerpunkte des Arbeitskampfes, wie ein Bahnsprecher sagte. Im Regionalverkehr sei es zu starken Beeinträchtigungen gekommen, ebenso bei der S-Bahn im Großraum Stuttgart. "München hat es besonders heftig getroffen", sagte ein Bahnsprecher. "Manche Bahnhöfe waren heute Morgen fast menschenleer."
Im Norden blieb das befürchtete Chaos im Bahnverkehr nach Unternehmensangaben aus. Etwa zwei Drittel der S-Bahnen auf den Hauptstrecken in Hamburg hätten fahren können. Im Fernverkehr habe es kaum Störungen gegeben. Allerdings seien rund 50 Prozent der Züge im Regionalverkehr in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen ausgefallen.
Schlappe vor Gericht
Das Arbeitsgericht Berlin hat unterdessen am Freitagnachmittag einen Antrag der GDL zurückgewiesen, mit dem sie verhindern wollte, dass streikbereite Arbeitnehmer zu Notdienstarbeiten herangezogen werden können. "Die Zurückweisung beruht darauf, dass das Arbeitsgericht die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Dringlichkeit nicht gesehen hat", teilte das Gericht mit. Die Lokfürhergewerkschaft kündigte Berufung an.
Die GDL habe den gleichen Antrag auf einstweilige Verfügung nämlich zuvor beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main gestellt, dort aber zurückgenommen. Deswegen ist die Dringlichkeit für den jetzt beim Arbeitsgericht Berlin gestellten Antrag nicht anerkannt worden. Die GDL erklärte, das Gericht habe das grundgesetzlich verankerte Recht der Koalitionsfreiheit konterkariert. Die Gewerkschaft sei der Auffassung, dass die Beschäftigten weiterhin die Arbeitsleistung während eines Arbeitskampfes verweigern dürften.
Die Bahn vertritt den Standpunkt, Bahnmitarbeiter zu Notdiensten heranziehen zu können, um eine Grundversorgung sicherzustellen. Dies sei am Freitag während des Streiks im Regionalverkehr in etwa 80 Fällen geschehen, sagte Bahn-Tarifexperte Werner Bayreuther. Bei rund 1600 Lokführern im Ausstand sei dies eine geringe Zahl.
Umsteigen auf das Auto
Viele Pendler hatten sich auf den Streik bei der Bahn eingestellt und stiegen aufs Auto um. Auf Bahnhöfen in Großstädten wie Frankfurt am Main, Berlin, Stuttgart oder Hamburg war die Situation am Morgen deshalb relativ entspannt. "Republikweit ist die Zahl der Reisenden in den großen Bahnhöfen signifikant geringer", sagte ein Bahnsprecher. Aber es gab auch Warteschlangen vor S-Bahnen.
Anders sah es auf den Straßen und Autobahnen in und um den Ballungszentren aus. Dort kam es wegen stark erhöhten Verkehrsaufkommens zu Staus. Die Lage wird auch dadurch erschwert, dass am Freitag der letzte Schultag vor Ferienbeginn in sechs Bundesländern sei: Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.
Die Bahn empfiehlt, sich über die Lage im Internet unter www.bahn.de/aktuell sowie über die kostenlose Service-Hotline 08000-996633 zu informieren. Die Bahn setzt auch zusätzlich 1000 Service-Mitarbeiter an den Bahnhöfen ein. Kunden aus dem Ausland können sich telefonisch bei der Service-Hotline 0049-1805-334444 informieren.
Die Bahn betonte, wegen der kurzfristigen Ankündigung des Streiks sei es nicht möglich gewesen, Ersatzfahrpläne aufzustellen. Man bemühe sich, verstärkt Beamte in den Schichten einzusetzen und einen Schienenersatzverkehr mit Bussen aufzubauen. Ein Teil der Nahverkehrszüge ist unterwegs, weil nicht alle Lokführer der GDL angehören und viele als Beamte nicht streiken dürfen.
Rausch hatte die GDL zum Abbruch ihres ganztägigen Streiks aufgefordert. "Ich appelliere an die Gewerkschaft, an die Kunden zu denken und die unsinnigen Streiks zu beenden. Jede Stunde hilft hier", sagte der für den Personenverkehr zuständige Rausch. Der Nah- und Regionalverkehr der Bahn war am Morgen in vielen Landesteilen fast zum Stillstand gekommen. Ein größeres Chaos blieb aber aus, weil viele Pendler auf andere Verkehrsmittel umstiegen.
GDL wartet auf "vernünftiges Angebot"
Schell forderte die Bahn auf, am Montag ein "vernünftiges Angebot" vorzulegen. Dann gebe es gute Chancen, dass es zu keinen weiteren Streiks komme, sagte er. Wenn das Angebot auf dem Vorschlag der Moderatoren Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler basieren würde, wäre es ein gutes Ergebnis, sagte Schell. "Und dann werden wir verhandeln." Dann könne es sein, dass bis zum 31. Oktober keinen Arbeitskampf mehr geführt, sondern an einem Ergebnis gearbeitet werde. Für eine Beendigung des Streiks sieht der GDL-Chef "gute Chancen, wenn der Arbeitgeber nicht wieder ein krummes Spiel spielt". Im Falle eines nicht ausreichenden Bahn-Angebotes wird die GDL laut Schell am Mittwoch den Arbeitskampf wieder aufnehmen. Am Wochenende sowie am Montag und Dienstag werde nicht gestreikt.
Dass die Gewerkschaft nach dem Berliner Spitzengespräch den Streik nicht abgesagt hat, begründete Schell zum einen damit, dass 200 Ortsgruppen und Streikleitungen nicht kurzfristig hätten informiert werden können. Zum anderen kritisierte er: "Es geht darum, dass die Bahn ein Ultimatum, das wir bis Dienstag gesetzt haben, nutzlos hat verstreichen lassen. Und wir sind es leid, mit uns Kasperle spielen zu lassen."
Schells Stellvertreter Claus Weselsky betonte dagegen, eine Absage wäre "kein logistisches Problem gewesen". Der bis Mitternacht ausgerufene Ausstand finde statt, weil noch kein verbessertes Angebot der Bahn vorliege.
Erheblicher Schaden
Die Streiks bringen der Bahn bis zu 25 Millionen Euro pro Tag an Schaden. Das sagte die Verkehrsexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, gegenüber n-tv. Der Güterverkehr transportiere erhebliche Wirtschaftsleistungen. "Wenn bestimmte Güter nicht zu ihrem Bestimmungsort geliefert werden können, verursache das natürlich auch sehr schnell volkswirtschaftliche Kosten, äußerte Kemfert weiter. Gerade der Bereich der Metallverarbeitung sei darauf angewiesen, dass die Güter 'just in time' über die Bahn transportiert werden.
Quelle: ntv.de