Bank von England Großbritannien vor Rezession
22.10.2008, 07:38 UhrGroßbritannien steht nach Ansicht der Bank von England am Rande der ersten Rezession seit 16 Jahren. Finanzkrise und Kreditklemme hätten dramatische Auswirkungen auf Produktion und Nachfrage in der gesamten britischen Wirtschaft, sagte Notenbankgouverneur Mervyn King sagte am Dienstagabend in Leeds. "In der Tat ist es wahrscheinlich, dass die Wirtschaft in die Rezession abgleitet."
Auslöser sei die Bankenkrise, die erst durch das beherzte Eingreifen des Staates habe abgemildert werden können, sagte King. Seit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers Mitte September sei es zu einer "außerordentlichen, beinahe nicht vorstellbaren Reihe von Ergebnissen" gekommen, die erst mit der Rekapitalisierung der Banken in der vergangenen Woche mit Steuergeldern gestoppt worden sei. "Es ist schwierig, die Schwere und Bedeutung dieser Ereignisse im Einzelnen zu beurteilen. Aber noch nie seit dem Ersten Weltkrieg stand unser Bankensystem so nahe am Kollaps."
Die Eingriffe der europäischen Staaten und der USA sowie der Notenbanken in das Finanzsystem würden sich rückblickend wahrscheinlich als Wendepunkt der Krise erweisen, sagte King. Aber: "Wir sind noch weit entfernt vom Ende des Weges wieder zurück zur Stabilität."
Bereits am Dienstag hatte der britische Industrieverband CBI ein düsteres Bild der Wirtschaft gezeichnet. Die Unternehmen gingen nach CBI-Angaben davon aus, dass sie ihre Produktion in den kommenden Monaten so stark drosseln müssten wie seit 1980 nicht mehr - also vor fast drei Jahrzehnten. Am Freitag werden die Daten zur Wirtschaftsentwicklung im abgelaufenen dritten Quartal veröffentlicht. 42 von Reuters befragte Experten gehen davon aus, dass die britische Wirtschaft zwischen Juli und September erstmals seit Anfang der 90er Jahre geschrumpft ist.
Die Bank von England hatte am 8. Oktober gemeinsam mit anderen Notenbanken in einer beispiellosen Aktion die Zinsen gesenkt, um Schaden für die Weltwirtschaft wegen der Finanzkrise abzuwenden. Ebenso wie die US-Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank (EZB) pumpen die Londoner Währungshüter seit Wochen Milliarden in das Finanzsystem, um den Geldkreislauf am Laufen zu halten. Dieser stockt, weil sich die Banken nicht mehr trauen und sich gegenseitig kein Geld leihen. Zuletzt hatte sich die Lage leicht entspannt.
Aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht der Bank von England geht unterdessen hervor, dass die Entscheidung, die Zinsen im Oktober außerplanmäßig um 0,5 Prozentpunkte zu senken, einstimmig fiel. Und das, obwohl die Inflationsrate aktuell mit mehr als fünf Prozent deutlich über dem Ziel von Zentralbank und Regierung liegt. Die britische Notenbank entscheidet das nächste Mal turnusmäßig Anfang November über das Leitzinsniveau. Es liegt aktuell bei 4,5 Prozent.
King deutete am Mittwoch in einem im Internet veröffentlichten Interview mit der Yorkshire Post an, dass eine weitere Zinssenkung kurz bevorstehen könnte: "Was wir machen könnten ist, den Leitzins zu verändern, um einige der externen Schocks abzumildern." Dies sei vor allem deshalb möglich, weil die Inflation wegen der Wirtschaftsflaute schneller als erwartet wieder nachgeben werde. King versprach, die Geldpolitik der Bank von England werde dazu beitragen, binnen zwei Jahren die Inflationsrate wieder auf rund zwei Prozent zu drücken und das Wirtschaftswachstum zu beleben.
Quelle: ntv.de