Arbeitsrechtler analysieren Gute GDL-Chancen
01.11.2007, 09:33 UhrIm scheinbar endlosen Tarifstreit bei der Bahn haben am Freitag wieder die Richter das Wort: Sie müssen entscheiden, ob die Lokführer der Gewerkschaft GDL auch im Güter- und Fernverkehr streiken dürfen - und damit da, wo es der Bahn richtig wehtut. Kippt das sächsische Landesarbeitsgericht in Chemnitz das Streikverbot, will die GDL möglicherweise schon am Samstag den Güterverkehr lahmlegen. Während die Bahn vor gravierenden Schäden für die Volkswirtschaft warnt, schätzen Arbeitsrechtler die Chancen der GDL auf ein unbeschränktes Streikrecht als gut ein.
"Nach meinem Dafürhalten ist die jetzige Entscheidung nicht haltbar. Ich bin der Überzeugung, dass die Lokführer auch im Güter- und Fernverkehr streiken dürfen", sagt der Heidelberger Professor Thomas Lobinger. Da seien sich die Arbeitsrechtler durch die Republik relativ einig. Auch Lobingers Bonner Kollege Gregor Thüsing, der ein Gutachten für die GDL verfasst hat, vertritt diese Meinung.
Das von der Bahn immer wieder beschworene Prinzip der Tarifeinheit dürfte nach Einschätzung beider Professoren vor Gericht kaum eine Rolle spielen. Dass die Tarifeinheit in einem Betrieb verloren gehe und die Beschäftigten für gleiche Arbeit unterschiedliche Gehälter bekämen, sei nach überwiegender Sicht der Wissenschaft schlicht und ergreifend hinzunehmen, sagt Lobinger.
Zwar habe das Bundesarbeitsgericht sich bisher hinter die Tarifeinheit gestellt. "Es ist aber mittlerweile davon auszugehen, dass auch das Bundesarbeitsgericht diesen Grundsatz der Tarifeinheit bei der ersten sich bietenden Gelegenheit aufgeben wird, weil er eben mit der Koalitionsfreiheit nicht zu vereinbaren ist", sagte Lobinger. Die Koalitionsfreiheit sichert das Recht zur Bildung von Gewerkschaften. Auch Thüsing ist sich sicher: "Über das Prinzip der Tarifeinheit sind die letzten Schwanengesänge schon längst gesungen".
Kaum Ausweichmöglichkeiten
Größter Streitpunkt vor Gericht dürfte nach Einschätzung der Arbeitsrechtler die Frage sein, ob die Schäden eines Bahnstreiks für Dritte als unverhältnismäßig einzustufen sind. Schäden für Dritte und damit für die Volkswirtschaft gehörten aber zu einem Streik als Druckmittel dazu, sagte Lobinger. Was den Fall auch für die Wissenschaft spannend mache, sei die Tatsache, dass es sich bei der Bahn letztlich um einen Monopolisten handle.
Im Gegensatz zum Streik bei einem Auto-Zulieferer, wo Aufträge verloren gehen könnten und der Konkurrenzdruck die Härte des Arbeitskampfes bremse, gebe es bei der Bahn kaum Ausweichmöglichkeiten. Deshalb stelle sich tatsächlich die Frage, ob die allgemeinen Regeln mit ihrer totalen Freiheit auch hier angewendet werden sollten oder "ob man nicht angesichts dieser Monopolsituation bei der Bahn und ihrer immensen volkswirtschaftlichen Bedeutung eben doch noch mal über andere Grenzen nachdenken muss", sagte Lobinger.
Dennoch gehe er davon aus, dass das Streikverbot gekippt werde. Schließlich sei auch noch völlig unklar, in welchem Umfang die GDL streiken wolle. Ein Ausstand, der die Republik in ihren Grundfesten erschüttern würde, sei derzeit nicht absehbar. "Deswegen würde ich sagen: Im Zweifel für das Streikrecht", betonte Lobinger.
Zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt dagegen der Mainzer Staatsrechts-Professor Friedhelm Hufen in einem Gutachten für die Bahn. Er hält einen Streik der GDL für verfassungswidrig. Das eigentliche Streikziel eines eigenständigen Tarifvertrages bedrohe die Tarifautonomie, argumentierte er. Die eingesetzten Mittel seien unverhältnismäßig. Außerdem dürfe die Bahn Beschäftigte in gleicher Funktion nicht mit Blick auf ihre Gewerkschaftszugehörigkeit besser stellen.
Appell der Arbeitgeber
Unterdessen hat der Arbeitgeberverband die GDL davor gewarnt, die Streiks auch auf den Güterverkehr auszudehnen. "Solche Streiks haben einen hohen gesamtwirtschaftlichen Schaden zur Folge", erklärte der Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt. Die ständigen Streikandrohungen und Streikaktionen richteten bereits jetzt erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden an.
Die von der GDL geplante Einbeziehung des Güterverkehrs in die Arbeitsniederlegungen würde weite Teile der Wirtschaft beeinträchtigen. Dies stehe in keinem Verhältnis zu den Zielen der Gewerkschaft.
Quelle: ntv.de