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Super-Tarifjahr steht an Jetzt wird durchverhandelt

Deutschland steht in einem Super-Tarifjahr. 2007 wird für mehr als neun Millionen Arbeitnehmer über Löhne und Gehälter verhandelt. In der chemischen Industrie haben die Gespräche schon begonnen, das Baugewerbe geht in gut zwei Wochen an den Start, und die Metaller laufen sich auch schon warm. Danach sind unter anderem die Druckindustrie, der Groß- und Einzelhandel und das Ernährungsgewerbe an der Reihe.

Angesichts der guten Konjunktur sind die Erwartungen bei den Beschäftigten so hoch wie lange nicht. Nach den mageren Einkommenserhöhungen der Vorjahre wollen die Arbeitnehmer nun endlich ein großes Stück vom Kuchen abbekommen. "2007 muss zum Jahr der Lohnerhöhungen für alle werden", sagt ver.di-Chef Frank Bsirske. Damit zeichnen sich konfliktreiche Auseinandersetzungen ab.

Die ersten Forderungen der Gewerkschaften liegen auf dem Tisch. Die IG BCE will für die rund 550.000 Beschäftigten der chemischen Industrie eine "reale Einkommensverbesserung" durchsetzen, was auf einen Zuwachs von 6 bis 6,5 Prozent hinausläuft. Das Baugewerbe, das nach fast zehn Jahren Talfahrt dank des Auftragsbooms 2006 wieder etwas festeren Boden unter den Füßen hat, verlangt 5,5 Prozent mehr Geld für die rund 700.000 Beschäftigten. "Die Arbeitnehmer haben Anspruch auf ihren gerechten Anteil am Aufschwung in der Bauwirtschaft", sagt der IG-BAU-Vorsitzende Klaus Wiesehügel. In der Metall- und Elektroindustrie, wo viele Unternehmen kaum noch mit dem Abarbeiten der Aufträge hinterherkommen, zeichnet sich eine Forderung zwischen 6 und 7 Prozent für die 3,4 Millionen Beschäftigten ab.

"Die höheren Forderungen reflektieren die exzellente wirtschaftliche Situation", sagt der Tarifexperte des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts, Reinhard Bispinck. 2006 ist die deutsche Wirtschaft mit 2,5 Prozent so stark gewachsen wie seit dem Boomjahr 2000 nicht mehr. Bei den Unternehmen sind die Gewinne kräftig gestiegen - und dies nicht nur bei den Dax-Unternehmen, sondern auch im Mittelstand. Gleichzeitig haben die Beschäftigten laut WSI-Tarifarchiv auch 2006 Reallohnverluste von fast einem Prozent hinnehmen müssen. Die Bruttoverdienste pro Arbeitnehmer seien nur um 0,8 Prozent gestiegen, gleichzeitig lag die Jahresteuerung bei 1,7 Prozent. "Die Verteilungsbilanz der vergangenen Jahre für die Beschäftigten war dramatisch schlecht, deshalb gibt es einen gewissen Nachholbedarf", stellt Bispinck fest.

Gleichzeitig sind die Aussichten für 2007 besser als zunächst erwartet: Die Bundesregierung rechnet inzwischen mit einem Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent und einem Rückgang der Arbeitslosenzahl um fast eine halbe Million. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) geht sogar von einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund zwei Prozent aus. Die Bremswirkung der Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent auf die Wirtschaft fällt damit geringer aus als befürchtet, gleichzeitig haben die Verbraucher wegen der höheren Steuer, steigenden Sozialbeiträgen und des Wegfalls von Vergünstigungen weniger Geld im Portemonnaie. Deshalb fordern nicht nur zahlreiche Ökonomen, sondern auch Politiker ordentliche Lohnerhöhungen, um die immer noch schwache Binnennachfrage zu stabilisieren.

Die Arbeitgeber warnen dagegen davor, den Kurs der Lohnmäßigung zu verlassen. "Unsere preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten ist gestiegen, aber wenn wir die wieder aufs Spiel setzen, geht das Elend von vorne los", warnt der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser. Die Kosten für die Unternehmen dürften nicht zu stark steigen. Den Metall-Arbeitgebern schwebt ein zweigeteilter Abschluss vor - mit einer möglichst niedrigen Prozentzahl und einem einmaligen Konjunkturbonus. Dies stößt bei der IG Metall allerdings auf wenig Gegenliebe. "Wenn die Arbeitgeber von Bonus sprechen, wollen sie das Tor für einen Malus öffnen", befürchtet etwa der Frankfurter Bezirksleiter Armin Schild und meint damit, dass die Arbeitgeber in schlechteren Zeiten Lohnabschläge verlangen könnten. Ziel der Gewerkschaft sei es, eine dauerhafte Tariferhöhung durchzusetzen. Einmalzahlungen dürften am Ende nur "die Petersilie obendrauf" sein.

Bevor die Metaller Mitte März in den Bezirken die Verhandlungen beginnen, könnte die chemische Industrie in gewohnt geräuschloser Weise schon einen Abschluss geschafft haben und damit eine erste Orientierungsmarke setzen. Dabei steht eines jetzt schon fest: die Entgelterhöhung wird sicher um einiges über der letzten von 2,7 Prozent liegen. "Eine bessere wirtschaftliche Konjunktur, allemal in der Chemiebranche, muss sich natürlich auch im Tarifabschluss zeigen", machte IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt klar. Die Bauwirtschaft hat bis Ende März Zeit, zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen. Gibt es bis dahin keine Einigung, wird ein Schlichter eingeschaltet. Scheitert auch die Schlichtung, sind Streiks möglich. In der Metall- und Elektroindustrie endet die Friedenspflicht am 28. April, danach kann die Gewerkschaft zu Warnstreiks aufrufen.

(Angela Schiller, dpa)

Quelle: ntv.de

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