Bahn-Tarifdrama Nun ein Fall für Tiefensee
20.12.2007, 13:50 UhrNach dem Abbruch der Tarifverhandlungen bei der Bahn will Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee persönlich auf eine Wiederaufnahme der Gespräche hinwirken. Er wolle sich "in allernächster Zeit" mit Bahnchef Hartmut Mehdorn und dem Vorsitzenden der Lokführergewerkschaft GDL, Manfred Schell, treffen, sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend. Tiefensee kritisierte "ausdrücklich", dass der vereinbarte Zeitrahmen für die Verhandlungen bis 31. Januar nicht ausgeschöpft worden sei.
Der Tarifkonflikt habe mit der Drohung von "im Prinzip unbefristeten Streiks" die vorletzte Stufe der Eskalation erreicht. Wenn die GDL tatsächlich einen völlig eigenständigen Tarifvertrag durchsetzen wolle, sei ein langer und harter Arbeitskampf zu befürchten. Dies könne nur mit Deeskalation, Kompromissbereitschaft und Geduld verhindert werden. Tiefensee fügte hinzu, es habe sich gezeigt, dass die Tarifparteien "nicht oder fast nicht in der Lage sind, eine Lösung herbeizuführen". Deshalb müsse möglicherweise auch eine Schlichtung ins Auge gefasst werden.
Unterdessen müssen sich Millionen Pendler und Reisende nach dem Jahreswechsel auf neue Bahnstreiks einstellen. Die Lokführer-Gewerkschaft GDL kündigte ab dem 7. Januar einen bundesweiten Arbeitskampf im Fern- und Nahverkehr sowie beim Gütertransport an. Sollte die Bahn neue Angebote machen, werde die GDL nicht mehr automatisch ihre Streiks unterbrechen, sagte Gewerkschaftschef Manfred Schell in Frankfurt/Main. Der Arbeitskampf werde erst beendet, wenn "wir felsenfest davon überzeugt sind, dass wir auch einem richtigen Weg sind".
Die Bahn zog als Reaktion auf den Abbruch der Tarifverhandlungen durch die GDL alle Angebote für Tariferhöhungen zurück und forderte ein geordnetes Schlichtungsverfahren unter Einbeziehung der übrigen Bahn-Gewerkschaften. Dies lehnte die GDL umgehend ab.
Wie lange die Streiks dauern sollen, ließ Schell offen. "Die Bahn kann uns jederzeit entgegenkommen und vieles verhindern", unterstrich er. Der bisher längste Streik hatte im November auch den Güterverkehr stark beeinträchtigt und dafür gesorgt, dass in einzelnen Werken die Auto-Produktion lahmgelegt wurde. Der Großteil der Autobauer blieb jedoch verschont, weil die Bahn eine Notversorgung sicher gestellt hatte. Auch der Einzelhandel musste keine größeren Lieferengpässe hinnehmen.
Keiner will schuld sein
Die GDL hatte die Verhandlungen mit der Bahn am Mittwoch abgebrochen. Schell warf der Konzernführung vor, sie führe "Scheinverhandlungen". Die Bahn sei von ihren Zusagen für einen eigenständigen Lokführer-Tarifvertrag wieder abgewichen. Angesichts der Vielzahl ungeklärter Fragen betrachte die GDL die Verhandlungen daher als gescheitert und werde sich nicht länger an der Nase herumführen lassen. "Deshalb gilt künftig: Während der Verhandlungen kein Abbruch des Arbeitskampfes."
Laut Schell hat die Bahn entgegen Abmachungen noch vor Abschluss eines Vertrages mit der GDL eine gesonderte Kooperationsvereinbarung mit den anderen Bahn-Gewerkschaften Transnet und GDBA verlangt. Dies hätte zur Folge, dass die GDL anschließend nicht mehr für die Lokführer eigenständig über Löhne und Arbeitszeit verhandeln könnte, sagte Schell. Das sei nicht hinnehmbar. Außerdem stelle die Bahn in Frage, dass auch Rangierlokführer zur Berufsgruppe der Lokführer gehörten.
Bahn gibt sich überrascht
Bahn-Vorstand Suckale betonte in Berlin, die Konzernspitze sei vom Abbruch der Verhandlungen völlig überrascht worden und sehe sich nun "gezwungen, alle bisher gemachten Angebote und Zugeständnisse zurückzuziehen". Bahnchef Hartmut Mehdorn habe sich vergeblich telefonisch um eine Rückkehr der GDL an den Verhandlungstisch bemüht. Sie verwies darauf, dass die Bahn eine Lohnerhöhung um acht Prozent angeboten habe, die sich unter Einbeziehung der Bezahlung von Mehrarbeit auf bis zu 13 Prozent belaufe. Diese Angebote seien nun ebenso hinfällig wie die in Aussicht gestellte Einmalzahlung von 800 Euro, die Lokführer noch vor dem Jahresende erhalten sollten.
Die größere Bahn-Gewerkschaft Transnet, die ebenfalls Lokführer vertritt, warf der GDL vor, den Tarifkonflikt für eine Ausweitung der Macht zu missbrauchen.
Der Konflikt zwischen Bahn und Lokführern dauert schon seit neun Monaten an. Anfang Dezember waren sich beide Seiten nach wochenlangen Streikaktionen nähergekommen. Damals hatten sich Bahn und GDL auf eine Neuordnung der Tarifverträge verständigt.
So sollte es unter einem für alle Mitarbeiter gültigen Basistarifvertrag künftig sechs Funktionstarifverträge für unterschiedliche Berufsgruppen geben. Nach diesem Modell könnte die GDL den Funktionstarifvertrag für die Gruppe der Lokführer aushandeln.
Quelle: ntv.de