Wirtschaftsforscher warnen Reformstopp kostet Wachstum
16.04.2008, 21:09 UhrFührende Wirtschaftsforscher warnen die Bundesregierung, vor der Wahl 2009 die Reformen zurückzudrehen und die Ausgabendisziplin aufzuweichen. Trotz der Finanzkrise sollte der Staat auf ein Konjunkturprogramm lieber verzichten, raten die Ökonomen in ihrem Frühjahrsgutachten. Andererseits sollte die Regierung aber auch nicht in die Krise hineinsparen. Von Mindestlöhnen raten die Institute strikt ab mit der Begründung, diese würden Arbeitsplätze kosten. Auch bei der außerordentlichen Rentenerhöhung sparen sie nicht mit Kritik.
Die acht Institute legen ihr Gutachten mit dem Titel "Folgen der US-Immobilienkrise belasten Konjunktur" am Donnerstag vor. Wegen der globalen Risiken blicken die Forscher eher skeptisch ins nächste Jahr und erwarten dann nur noch ein Wachstum von 1,4 Prozent. Dennoch könnte die Zahl der Arbeitslosen erstmals seit 1992 im Jahresschnitt unter die Drei-Millionen-Marke fallen.
Forscher lehnen Konjunkturprogramm ab
Ein Konjunkturprogramm halten die Fachleute schon deshalb für unangebracht, weil in Deutschland - anders als in den USA - eine Rezession wenig wahrscheinlich sei. Zudem sei die Finanzpolitik ohnehin expansiv ausgerichtet. Die Unternehmenssteuerreform, die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages und diverse Ausgabensteigerungen schöben das Wachstum um 0,5 Prozent an.
Bei einem Konjunkturprogramm bestehe die Gefahr, dass die Mehrausgaben im nächsten Aufschwung nicht wieder verringert würden und die Staatsverschuldung steige. Der Koalition werfen die Institute vor, in der Ausgabendisziplin nachzulassen. "Unter dem Eindruck gut gefüllter Kassen hat der Staat seine Ausgaben merklich stärker erhöht als zuvor, und es ist damit zu rechnen, dass sich diese Politik im kommenden Jahr fortsetzen wird." Auch in der Arbeitsmarktpolitik weiche die Regierung von ihrem Kurs ab. Beim Mindestlohn sind sich die Forscher weitgehend einig, dass die Folgen Arbeitsplatzverluste wären. Dabei spiele es keine Rolle, ob ein Mindestlohn flächendeckend oder differenziert nach Branchen gezahlt werde.
Kein gutes Haar lassen die Experten an der Rentenerhöhung in diesem Jahr um 1,1 und im kommenden Jahr um voraussichtlich zwei Prozent. Dazu hatte die Koalition den Riester-Faktor in der Rentenformel ausgesetzt, der den Anstieg um 0,6 Prozentpunkte gedämpft hätte. Die Probleme würden nur in die Zukunft verschoben, monieren die Ökonomen. Zudem würde der Beitragssatz ein Jahr später als geplant gesenkt. "Vor allem besteht aber die Gefahr, dass der Eingriff nicht wie geplant zurückgenommen wird, weil die Politik glaubt, den Rentnern niedrigere Anpassungen nicht zumuten zu können", warnen die acht Institute.
Besch äftigungslage und Konsumlaune verbessert
Auf der Konjunkturseite sehen die Forscher vor allem Risiken von der Finanzmarktkrise, deren Folgen noch nicht genau zu überschauen seien. Bisher habe sich die deutsche Wirtschaft aber robust gezeigt. Nach einem guten Start ins Jahr sei im Frühjahr dann - auch wegen der Finanzkrise - nur noch mit einer Stagnation zu rechnen. Für 2008 senkten die Experten ihre Prognose für den Anstieg des Bruttoinlandsproduktes auf 1,8 von 2,2 Prozent. Die Wachstumsrate für 2009 liege dann - nicht zuletzt wegen einer geringeren Zahl von Arbeitstagen - zwar unter der diesjährigen. Der Konjunkturverlauf deute aber eher nach oben. Dies zeige sich auch am Arbeitsmarkt. Dort könnte die Marke von drei Mio. Arbeitslosen unterschritten werden, auch wenn sich die Belebung insgesamt verlangsamen dürfte.
Neben der guten Beschäftigungslage werden den Forschern zufolge auch die jüngsten Tarifabschlüsse die Konsumlaune der Deutschen beleben. Die Experten erwarten, dass die privaten Haushalte dieses Jahr rund 0,8 Prozent mehr ausgeben, nachdem es 2007 noch ein Minus um 0,4 Prozent gegeben hatte. Den Verbrauchern bleibe auch deshalb mehr Geld in der Tasche, weil der Preisdruck allmählich nachlasse. Für dieses Jahr sagen die Institute ein Anziehen der Lebenshaltungskosten um 2,6 Prozent voraus, das sich 2009 auf 1,8 Prozent abschwächen dürfte. In der Euro-Zone liegt die Inflation derzeit auf Rekordhoch. Deshalb raten die Ökonomen der Europäischen Zentralbank, bis Ende 2009 ihren Leitzins von 4,0 Prozent nicht zu verändern.
Am Gutachten beteiligt sind das Kieler IfW, das Münchner Ifo-Institut, das IWH aus Halle, das RWI Essen, das gewerkschaftsnahe IMK aus Düsseldorf, das Züricher KOF sowie die beiden Wiener Institute Wifo und IHS.
Quelle: ntv.de