Löscher setzt Prioritäten Siemens hakt Probleme ab
30.04.2008, 07:50 UhrDer Elektrokonzern Siemens hat nach einem massiven Gewinneinbruch im zweiten Quartal sein Ergebnisziel für dieses Geschäftsjahr gekappt. Hintergrund sind massive Probleme bei Großprojekten, über die Siemens bereits im März informiert hatte, und die nunmehr als abgehakt gelten. Bemerkenswert: Noch vor der Verkündung der offiziellen Zahlen räumte das Management bei der Halbjahres-Pressekonferenz eine halbe Stunde für Fragen der Anwesenden zu den Themen Compliance und Aufarbeitung der Schmiergeldaffäre ein.
Siemens-Chef Peter Löscher betonte, dass er bei Antritt seines Amtes im Mai 2007 niemals erwartet hätte, dass die Dimension der Affäre so groß sein würde. "Ganz klar hatte ich dieses Ausmaß und die Breite nicht vor Augen, als ich meine Verantwortung übernommen habe", sagte Löscher in München.
Am Vortag hatte Siemens nach einer Aufsichtsratssitzung bekannt gegeben, dass die mit internen Ermittlungen beauftragte US-Kanzlei Debevoise & Plimpton in fast allen untersuchten Geschäftsbereichen und in zahlreichen Ländern Belege für Verstöße gegen Gesetze und Vorschriften aufgedeckt habe (siehe link).
Wie der für Korruptionsbekämpfung und Rechtsfragen zuständige Siemens-Vorstand Peter Solmssen erklärte, stellt sich Siemens auf lange Verhandlungen mit der US-Börsenaufsicht SEC ein. "Wir gehen davon aus, dass sich diese Gespräche über viele Monate erstrecken werden." Bei der Hauptversammlung im Januar hatte Löscher von einem Durchbruch bei den Verhandlungen gesprochen. Solmssen erklärte nun, die Stimmung bei der SEC habe sich geändert, das sei positiv. "Es sind Gespräche, ich will sie nicht charakterisieren."
Siemens sucht die Schuldigen
Grundsätzlich zeigte Solmssen sich aber zuversichtlich für die Verhandlungen. "Unser Verhalten wird sich lohnen." Aus den USA droht Siemens in dem Korruptionsskandal die größte Gefahr. Neben möglichen Milliarden-Strafen könnte der Konzern auch von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.
Der Konzern will Schadenersatzansprüche gegen frühere Vorstandsmitglieder prüfen. "Wir haben immer betont: Wer einen Schaden zu Lasten des Unternehmens verursacht hat, der muss mit Konsequenzen rechnen. Dazu gehört auch, dass wir gegebenenfalls Schadenersatzansprüche geltend machen", sagte Solmssen dazu. Diese Prüfungen seien noch nicht abgeschlossen.
Zuletzt wuchs in dem Schmiergeld-Skandal der Druck auf die frühere Führungsspitze um den ehemaligen Konzern-Chef Heinrich von Pierer gewachsen. Frühestens am Mittwoch wollte auch die Staatsanwaltschaft München entscheiden, ob sie Ermittlungen gegen Pierer einleitet.
Gewinneinbruch, aber gute Auftragslage
Das Ergebnis der Bereiche ging von Januar bis März um ein Drittel von 1,78 Mrd. Euro im Vorjahr auf 1,2 Mrd. Euro zurück. Beim operativen Gewinn schnitt Siemens damit immer noch besser ab als Experten erwartet hatten. Die Belastungen aus unrentablen Projekten fielen mit 857 Mio. Euro geringer aus als Siemens im März bei seiner Gewinnwarnung in Aussicht gestellt hatte.
Unter dem Strich fiel das Minus deutlich größer aus: der Konzern verdiente nur noch 412 Mio. nach 1,259 Mrd. Euro vor Jahresfrist. Der Umsatz stieg um 2,0 Prozent auf 18,1 Mrd. Euro. Trotz der hohen Zuwächse von 15 Prozent auf 23,4 Mrd. Euro beim Auftragseingang rechnet Siemens-Chef Peter Löscher im laufenden Geschäftsjahr (bis Ende September) nun mit stagnierenden Gewinnen im operativen Geschäft. An den Renditezielen für 2010 hält Siemens fest. Der Umsatz soll weiterhin doppelt so schnell wie die Weltwirtschaft zulegen.
Händler zeigten sich in einer ersten Reaktion zufrieden. Die Auftragseingänge sähen "gigantisch aus", so ein Händler: "Es gibt keine Abschwächung in der Konjunktur - das ist die Botschaft". Vor diesem Hintergrund sei aber nicht klar, warum der Umsatz im zweiten Quartal unter Erwartung gelegen habe.
Probleme bei Großprojekten abgehakt
Bereits im März hatte Siemens über die Schwierigkeiten bei der Abwicklung von Großaufträgen im Kraftwerksbau, im Bahn- sowie im IT-Geschäft berichtet und sich von seinen ursprünglichen Gewinnerwartungen verabschiedet. Eine konkrete Prognose hatte der Siemens-Chef dabei allerdings nicht abgegeben.
Die Überprüfung der Großprojekten, die im zweiten Quartal das große Loch gerissen haben, ist nunmehr weitgehend abgeschlossen. Über die vermeldeten 857 Mio. Euro hinaus erwartet der Konzern nur noch geringe Belastungen. "Wir haben nun unsere Projektanalyse im konventionellen Kraftwerksgeschäft abgeschlossen und konnten uns alles in allem ein klares Bild über die Risiken machen", erklärte Löscher.
Ursprünglich war Siemens davon ausgegangen, dass das Ergebnis der Bereiche in diesem Geschäftsjahr noch einmal doppelt so schnell wächst wie der Umsatz. 2006/07 kam Siemens bei einem Umsatz von 72,5 Mrd. Euro auf ein Ergebnis der Bereiche von 6,5 Mrd. Euro.
Quelle: ntv.de