Angst vor der Krise Zinsschritt in Seoul
27.10.2008, 06:31 UhrSüdkorea stemmt sich mit aller Macht gegen die Gefahr eines schweren Konjunktureinbruchs: Die Zentralbank in Seoul hat auf die andauernden Finanzmarktturbulenzen mit ihrer bisher größten Senkung des Leitzinses reagiert. Wie die Bank of Korea mitteilte, nahm sie den Schlüsselzins um 75 Basispunkte von 5,0 auf 4,25 Prozent zurück. Der Geldmarktausschuss sei zu dem Urteil gekommen, dass der Schritt notwendig geworden sei, um "der Möglichkeit einer scharfen Kontraktion der Realwirtschaft sicher gegenzusteuern". Präsident Lee Myung Bank kündigte in einer Rede vor dem Parlament in Seoul Steuergeschenke, die Erhöhung staatlicher Ausgaben im nächsten Jahr und weitere Deregulierungsmaßnahmen an, um die Konjunktur anzutreiben und das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen.
Als Folge der globalen Finanzkrise sei es auf den einheimischen Märkten zu großen Schwankungen des Wechselkurses und der Aktienpreise sowie einer teilweisen Verknappung auf den Kreditmärkten gekommen, begründete die Zentralbank die Senkung des Leitzinses. Der Zinssatz ist entscheidend für die Kosten der Kredite zwischen den Banken. Auf mittlere Sicht soll der sinkende Zins dazu beitragen, die Finanzierungskosten koreanischer Unternehmen zu reduzieren, die derzeit Probleme haben, sich ausreichend Kredite zu verschaffen. "Die Möglichkeiten, sich im Ausland zu refinanzieren, ist komplett weggefallen", warnte der Geschäftsführer der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer, Jürgen Wöhler. Weitere Zinssenkungen werden in Seoul nicht ausgeschlossen.
Börse bleibt unruhig
Die Maßnahme der Notenbank wurde von Marktbeobachtern begrüßt, die Aktienbörse in Seoul konnte sie nur bedingt beruhigen. Zwar konnte die steile Talfahrt der vergangenen Tage gestoppt werden. Der Leitindex Kospi stieg jedoch nur leicht um 0,82 Prozent auf 946,45 Punkte. Im Handelsverlauf wurde zeitweilig die ebenso psychologisch wichtige Schwelle von 900 Punkten durchbrochen. Der Kospi war allein in der vergangenen Woche um 20 Prozent eingebrochen, seit dem Höchststand vor drei Jahren fiel der Index um mehr als die Hälfte.
Die Landeswährung büßte bisher in diesem Jahr mehr als ein Drittel ihres Werts gegenüber dem Dollar ein. Auch am Montag verlor der Won weiteren Boden gegenüber dem Greenback. Im dritten Quartal verzeichnete Südkorea zudem angesichts rückläufiger Exporte das schwächste Wachstum seit vier Jahren. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs um 0,6 Prozent zum Vorquartal und im Jahresvergleich um 3,9 Prozent.
Angst vor neuer Asienkrise
Seinen Landsleuten versuchte Staatschef Lee erneut zu versichern, dass Südkorea vor einer neuen Finanzkrise gewappnet sei, wie sie das Land vor rund zehn Jahren erfasst habe. Die Regierung sei entschlossen, den Markt mit unbeschränkter Liquidität zu versorgen, bis er sich beruhigt habe. Die Regierung hatte bereits zuvor Kreditbürgschaften, Kapitalspritzen für die Banken und ein Konjunkturprogramm für die lahmende Bauindustrie im Volumen von 135 Mrd. Dollar (etwa 107 Mrd. Euro) beschlossen. Ein Pfund, mit dem Südkorea dabei besonders wuchern kann, sind die Devisenreserven von fast 240 Mrd. Dollar.
Die Angst vor einer Wiederholung der Erfahrungen, die Asiens viertstärkste Volkswirtschaft im Zuge der Asienkrise gemacht hatte, sitzt bei Koreanern jedoch besonders tief. Knapp 1,5 Millionen Menschen hatten damals als Folge der Krise ihren Job verloren. Etwa 58.000 Unternehmen gingen pleite. Die Annahme eines Beistandskredits des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 58 Mrd. Dollar wurde als nationale Schmach empfunden. Auch die jüngste Zinssenkung der Zentralbank spiegele die Befürchtungen wider, dass das "Land wieder Opfer einer transnationalen Krise" ähnlich den Zuständen 1997- 98 werde, kommentierte die Zeitung "The Korea Times". Südkorea erwarten nach Einschätzung Wöhlers schwierige Zeiten. Dies sei aber auch "ein guter Zeitpunkt für deutsche Firmenengagements".
Quelle: ntv.de