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Neue Elektroden-Therapie Gelähmte können wieder stehen und gehen

Universitätsspital Lausanne, nach 5 Monaten Reha: Ein Patient mit kompletter Rückenmarksverletzung kann gehen.

Universitätsspital Lausanne, nach 5 Monaten Reha: Ein Patient mit kompletter Rückenmarksverletzung kann gehen.

(Foto: Jimmy Ravier/NeuroRestore/dpa)

Für einen nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmten Italiener wird "ein Traum wahr": Dank einer in der Schweiz entwickelten neuen Therapie kann er nun Treppen steigen und mit einem Rollator 500 Meter laufen. Das funktioniert mit Elektroden in einer implantierten Folie, sogenannten Elektrodenarrays.

Eine experimentelle Therapie verhilft Querschnittsgelähmten schon nach kurzem Training wieder zu neuer Beweglichkeit. Sie können stehen und sogar wieder kurze Strecken gehen. Zu verdanken ist das einer implantierten Folie mit 16 Elektroden, die kleine elektrische Impulse an Nervenbahnen abgibt, die zu Motorneuronen in der Wirbelsäule führen. Die Patienten konnten bereits am ersten Tag nach der Aktivierung des sogenannten Elektrodenarrays erste Schritte auf einem Laufband machen. Jocelyne Bloch und Grégoire Courtine von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) in Lausanne (Schweiz) und ihr Team stellen ihre Ergebnisse im Fachmagazin "Nature Medicine" vor.

Die Methode der Rückenmarkstimulation durch elektrische Impulse wird seit Längerem in der Behandlung von chronischen Schmerzen angewendet. Bloch und Courtine haben vor einigen Jahren erkannt, dass eine solche Stimulation auch Querschnittsgelähmten helfen kann, einen Teil der Beweglichkeit ihrer Beine wiederzuerlangen. Dass dies grundsätzlich funktioniert, haben sie bereits 2018 an Patienten gezeigt, die ihre Beine oder Füße noch minimal bewegen konnten. Jetzt konnten sie ihre Methode verbessern und an Patienten ohne Restbeweglichkeit erfolgreich testen.

Durchbruch dank neuer Elektrodenarrays

Nach monatelangem Training kann Michel Roccati nun am Rollator ein paar hundert Meter laufen.

Nach monatelangem Training kann Michel Roccati nun am Rollator ein paar hundert Meter laufen.

(Foto: Jimmy Ravier/.NeuroRestore/dpa)

"Unser Durchbruch sind hier die längeren und breiteren implantierten Elektrodenarrays, bei denen die Elektroden so angeordnet sind, dass sie genau den Spinalnervenwurzeln entsprechen", wird Bloch in einer EPFL-Mitteilung zitiert. Dies gebe den Medizinern eine präzise Kontrolle über die Neuronen, die bestimmte Muskeln regulieren. Um dieses Elektrodenarray zu entwickeln, analysierten Bloch, Courtine und Kollegen 27 Wirbelsäulen und erstellten Computermodelle. Sie stellten fest, dass die Lage der Nervenbahnen, die zu den motorischen Zentren im Rückenmark führen, sich von Mensch zu Mensch unterscheidet.

Schließlich fanden sie ein Arrangement der 16 Elektroden, mit dem erheblich besser als bisher die entscheidenden Nervenbahnen für jede Art der Bewegung durch elektrische Impulse erreicht werden können. Die Elektroden auf der Folie sind mit einem Impulsgeber verbunden, der wiederum drahtlos über einen Tabletcomputer angesteuert werden kann.

"Die Patienten können die gewünschte Aktivität auf dem Tablet auswählen und die entsprechenden Protokolle werden an den Schrittmacher im Bauchraum weitergeleitet", sagt Courtine. Dabei werde das Rückenmark aktiviert, wie es das Gehirn natürlicherweise tun würde. Neben dem Stehen und Gehen sollen so etwa auch Schwimmen und Liegerad fahren möglich sein.

"Ein Traum wurde wahr!"

"Die ersten Schritte waren unglaublich - ein Traum wurde wahr!", berichtet Michel Roccati, ein Italiener, der nach einem Motorradunfall querschnittsgelähmt war. Nach monatelangem Training kann er jetzt mit einem Rollator 500 Meter am Stück laufen und Treppen hoch- und heruntersteigen.

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Zwei weitere Patienten haben in noch laufenden klinischen Versuchen ebenfalls einen Teil der Beweglichkeit ihrer Beine und ihres Rumpfes wiedererlangt, sie können jedoch keine Treppen bewältigen. Für jeden von ihnen haben die Forscher ein individuelles Programm zur Nervenstimulation geschrieben.

"Die Forschungsergebnisse sind beeindruckend", gab Norbert Weidner vom Universitätsklinikum Heidelberg eine Einschätzung zur Studie. Dennoch ist er skeptisch, dass die Therapie in absehbarer Zeit im klinischen Alltag angewendet werden kann. Aus der Studie gehe beispielsweise nicht hervor, wie die drei Patienten ausgewählt wurden. Deshalb ist es für Weidner fraglich, ob die Ergebnisse auf größere Patientengruppen übertragen werden könnten. Andererseits könne die Technologie in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden. Ähnlich sieht es Rainer Abel vom Klinikum Bayreuth, der zudem betont: "Ich freue mich, dass dieses Projekt weitergeht und die Kollegen offenbar auch die Ressourcen dafür haben."

Quelle: ntv.de, abe/dpa

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