Insel in Bewegung Grönland wandert - und schrumpft zugleich
21.10.2025, 18:30 Uhr Artikel anhören
Derzeit schrumpft Grönland noch. Angesichts der beschleunigten Eisschmelze könnte sich das aber bald ändern.
(Foto: IMAGO/Zoonar)
Gestaucht, gedehnt und seitwärts verschoben: Grönland bewegt sich jährlich um eine Daumenbreite nach Nordwesten - und verformt sich dabei auf überraschend komplexe Weise, wie ein Forschungsteam mithilfe von GPS-Daten jetzt feststellt. Ein Grund dafür liegt noch in der letzten Eiszeit.
Grönland driftet laut neuen Analysen jedes Jahr rund zwei Zentimeter nach Nordwesten - und verändert dabei die Form. Teile der Insel werden gestaucht, andere gedehnt, wie eine neue Studie feststellt. Ursache sind sowohl die Nachwirkungen der letzten Eiszeit als auch die heutigen Folgen des Klimawandels, wie ein Forschungsteam der Technischen Universität Dänemarks (DTU) im Fachjournal "Journal of Geophysical Research: Solid Earth" berichtet.
"Bisher gab es keine präzisen Messungen darüber, wie Grönland sich horizontal verschiebt", sagt Studienleiter Danjal Longfors Berg von der Technischen Universität Dänemarks in Lyngby. "Jetzt können wir die Bewegungen der Insel erstmals präzise bestimmen - und sie zeigen ein viel komplexeres Bild, als wir erwartet hatten."
Nachwirkungen der Eiszeit und schmelzendes Eis
Für ihre Untersuchung werteten Berg und sein Team Daten von 58 GPS-Messstationen entlang der grönländischen Küste aus. Mit zusätzlichen Vergleichsdaten aus Nordamerika und geodynamischen Modellen rekonstruierten sie, wie sich die Insel seit dem Ende der letzten Eiszeit bewegt hat - und wie sie sich heute verändert.
Das Ergebnis: Grönland wandert kontinuierlich nach Nordwesten, mit einer Geschwindigkeit von rund zwei Zentimetern pro Jahr. Diese Bewegung ist nicht direkt eine Folge der aktuellen Eisschmelze, sondern geht vor allem auf eine geologische "Fernwirkung" zurück: die Hebung Nordamerikas nach dem Abschmelzen des gewaltigen Laurentidischen Eisschilds.
"Nordamerika hebt sich seit Jahrtausenden langsam an, weil die Eislast der letzten Eiszeit verschwunden ist", erklärt Berg. "Dabei werden die äußeren Bereiche der Kontinentalplatte in Richtung der Mitte gezogen - und Grönland liegt auf dieser Platte. Dadurch bewegt sich die Insel gewissermaßen mit."
Bedeutung für Navigation und Klimaforschung
Neben dieser großräumigen Drift registrierten die Forschenden auch lokale Spannungen in der Erdkruste: In manchen Regionen zieht sich Grönland zusammen, in anderen dehnt es sich aus.
"Wir haben Gebiete entdeckt, in denen die Erdkruste gestaucht wird - das war überraschend", so Berg. In Regionen, in denen die Nachwirkungen der Eiszeit dominieren, zieht sich die Erdkruste demnach weiter zusammen. In anderen dagegen wirke sich die aktuelle Eisschmelze stärker aus: Wenn die schweren Gletscher schmelzen, verlagert sich laut dem Forschungsteam die Masse von den Zentren an die Küsten. Dort entsteht eine nach außen gerichtete Zugkraft - die Kruste wird gedehnt.
Unterm Strich schrumpft Grönland derzeit leicht, so das Fazit der Forschenden. "Momentan überwiegen die isostatischen Effekte der letzten Eiszeit", sagt Berg. "Aber das könnte sich in den kommenden Jahrzehnten ändern, wenn die Eisschmelze weiter zunimmt."
Die neuen Daten sind laut den Forschenden nicht nur für die Geologie relevant, sondern auch für praktische Anwendungen. Bewegungen des Untergrunds beeinflussten langfristig Vermessungsdaten, Navigationssysteme und Satellitengeodäsie. "Wenn sich das Land verschiebt, verschieben sich auch unsere Referenzpunkte", erklärt Berg. "Für präzise Kartierungen oder GPS-Systeme ist es daher entscheidend, diese Bewegungen genau zu kennen." Darüber hinaus helfen die Ergebnisse der Studie zufolge, die Wechselwirkungen zwischen Klima und Erdkruste besser zu verstehen - ein Forschungsfeld, das angesichts der rasant schmelzenden Eisschilde immer wichtiger wird.
Quelle: ntv.de, hny