Wenige Verdachtsfälle bekannt Können Corona-Impfungen Long Covid verursachen?
23.02.2022, 12:18 Uhr
In Deutschland wurden bereits über 169 Millionen Impfdosen verabreicht.
(Foto: Moritz Frankenberg/dpa/Archivbil)
Das Paul-Ehrlich-Institut plant nach Meldungen über rätselhafte Symptome nach Corona-Impfungen eine Untersuchung. Doch Studien zeigen bereits: Impfungen schützen auch vor Long Covid.
Mehr als vier Milliarden Menschen weltweit wurden in den vergangenen 14 Monaten gegen Sars-CoV-2 geimpft. Zahlreiche Behörden überwachen die Sicherheit. Ist es denkbar, dass immer noch seltene Nebenwirkungen unter dem Radar der Erfassung laufen? Über viele Monate ging der "Stern"-Wissenschaftsreporter Bernhard Albrecht dieser Frage nach. Das Ergebnis dieser Recherchen erscheint am Donnerstag als Titelgeschichte im Wochenmagazin "Stern".
"Wir dürfen die kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema nicht länger den Impfskeptikern überlassen", so Albrecht, der selbst studierter Mediziner ist. Zu viele Anekdoten seien im Umlauf. Auch den "Stern" erreichen Briefe, E-Mails und Anrufe von Menschen, die durch Erzählungen aus dem Bekanntenkreis beunruhigt sind. Für Albrecht war der Fall einer Kollegin der Auslöser für weitere Nachforschungen. Sie berichtete ihm von anhaltenden Taubheitsgefühlen in den Fingerkuppen und am linken Fuß, die kurz nach der Impfung aufgetreten waren. Im Aufklärungsbogen fehlte ein Hinweis auf dieses Symptom als mögliche Nebenwirkung. "Ich wurde sofort aufmerksam, weil ich früher als Arzt in der Neurologie gearbeitet habe", so Albrecht. In den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) gibt es bis heute keine Hinweise zu Taubheitsgefühlen und anderen Missempfindungen.
Taubheitsgefühle und Sehstörungen
Im Laufe seiner Recherchen stieß Albrecht auf Menschen, die nach Covid-Impfungen seit vielen Monaten unter neurologischen Nebenwirkungen leiden. Die 30-jährige Biologie-Studentin Jana Ruhrländer erlebte wenige Tage nach dem ersten Piks im Juli 2021 Taubheitsgefühle und Sehstörungen, schlaganfallartige Symptome und Muskelschwäche, sie war ständig durstig und musste viel Wasser lassen. Heute noch sei sie chronisch müde, könne sich nicht konzentrieren und ihr Herz beginne zu rasen, sobald sie sich vom Stuhl erhebe, sagt sie.
In Ruhrländers Blut zirkulieren mehrere Autoantikörper - also Antikörper, die sich gegen körpereigenes, gesundes Gewebe richten und von Forschenden in Zusammenhang mit Long Covid gebracht werden. Kann also Long Covid nicht nur durch die Erkrankung, sondern auch durch die Impfung ausgelöst werden? Auch aus den USA und Südafrika melden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ähnliche Fälle, insgesamt etwa 50, wie die Fachzeitschrift Science kürzlich berichtete. Dem PEI wurden ebenfalls Fälle gemeldet. Man habe "mit entsprechenden Planungen für eine methodisch robuste Untersuchung begonnen", so heißt es in der Stellungnahme für den "Stern".
Was die Sache kompliziert macht: Long Covid ist schwammig definiert, kann zu einer Vielzahl von Beschwerden führen und nicht selten finden Ärzte keine körperlichen Befunde. Auch legt eine neue Studie aus Israel nahe, dass Geimpfte nach einer Infektion deutlich seltener von Long-Covid-Symptomen geplagt werden als Ungeimpfte. Der Neuroimmunologe Harald Prüß von der Charité sagt: "Das Risiko, nach der Impfung Long Covid zu entwickeln, ist wahrscheinlich verschwindend gering im Vergleich zur Krankheit."
Infektion gefährlicher als Impfung
"Stern"-Reporter Albrecht zieht ein ernüchterndes Fazit seiner Recherchen: "Gerade in Deutschland ist die Erfassung von Nebenwirkungen mangelhaft. Einiges läuft unter dem Radar. Leidtragende sind diejenigen, deren Symptome nicht im Beipackzettel auftauchen. Sie werden von Ärztinnen oder Ärzten rasch in die Psychoecke geschoben." Trotzdem zeige der Vergleich zwischen möglichen Nebenwirkungen der Impfung und Komplikationen der Krankheit eindeutig, dass eine Sars-CoV2-Infektion weitaus gefährlicher ist als die Impfung.

Die Versorgungsämter entscheiden individuell, ob Schädigungen tatsächlich auf das Vakzin zurückzuführen sind. Bisher gab es 1372 Anträge insgesamt, 1242 davon sind bisher nicht entschieden. Nach dem Infektionsschutzgesetz hat Anspruch auf Entschädigung, wer durch eine ärztlich empfohlene Impfung Schäden erleidet. Mehrere Anträge können sich auf eine Person beziehen, die Entscheidung nimmt Zeit in Anspruch.
(Foto: Stern)
Das veranschaulichen eindrucksvolle Infografiken, die von den bekannten Wissenschaftsjournalisten Joachim Budde und Edda Grabar aufwendig recherchiert und von Bettina Müller umgesetzt wurden. Nur ein Beispiel: Unter einer Million Covid-Erkrankten erleiden 1250 mehr ein akutes Nierenversagen als in einer gesunden Vergleichsgruppe. Hingegen gab es für Geimpfte kein erhöhtes Risiko für Nierenversagen. Schon das zeigt: Impfungen schützen ohne jeden Zweifel vor den schweren Folgen der Infektionen.
Weitere Ergebnisse der "Stern"-Recherchen zu Nebenwirkungen einer Corona-Impfung lesen Sie bei sternPlus unter www.stern.de/nebenwirkungen.
Quelle: ntv.de, stern