Untersuchung bei Zebrafischen Soziale Isolation im Gehirn sichtbar
05.12.2020, 10:13 Uhr
Die Expressionsniveaus des Neuropeptids Pth2 im Zebrafischhirn spiegeln die Anwesenheit und Dichte von anderen Fischen in der Umgebung wieder.
(Foto: Max-Planck-Institut für Hirnforschung / J. Kuhl)
Soziale Isolation geht auch an Tieren nicht spurlos vorbei. Wie diese im Gehirn wirkt, untersuchen Forschende an Zebrafischen. Sie entdecken dabei einen Botenstoff, der für die Regulierung des sozialen Gehirns verantwortlich sein könnte.
Weil man bisher wenig darüber weiß, was die Isolation von der sozialen Umwelt bei Menschen und Tieren auslöst, haben Forschende einen Blick in die Gehirne von Zebrafischen geworfen. Das Team um Professorin Erin Schuman vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung wollte wissen, ob und wie neuronale Gene auf dramatische Veränderungen in der sozialen Umgebung reagieren. Dabei entdeckten die Forschenden die Aktivierung eines sogenannten Neuropeptids, das mit Pth2 bezeichnet wird, schreibt das Institut in einer Mitteilung. Der bisher wenig erforschte Botenstoff spielt eine wichtige Rolle beim Erfassen von sozialer Umwelt. Zebrafische, die in der Natur in Schwärmen leben, können den Forschenden zufolge die Anwesenheit von anderen Zebrafischen über spezifische mechanische Reize und Wasserbewegungen spüren. Das aktiviere das Gehirnhormon.
Für ihre Untersuchung wurden Zebrafische in Isolation oder zusammen mit Artgenossen über verschiedene Entwicklungszeiträume hinweg gehalten. Dann wurden die neuronalen Gene und die Aktivität dieser mithilfe von sogenannter RNA-Sequenzierung gemessen. "Wir fanden eine Handvoll Gene, deren Expression bei Fischen, die in sozialer Isolation aufgezogen wurden, konsequent verändert waren. Eines davon kodiert das Nebenschilddrüsenhormon 2 (Pth2), ein relativ unbekanntes Peptid im Gehirn. Überraschenderweise spiegelte die Expression von Pth2 nicht nur die Anwesenheit anderer Zebrafische, sondern auch deren Populationsdichte wider. Als Zebrafische isoliert wurden, verschwand Pth2 im Gehirn, aber das Expressionsniveau stieg - wie ein Thermometerstand - an, wenn sich andere Fische in demselben Becken befanden", erläutert Lukas Anneser.
Ist der Isolationseffekt umkehrbar?
In einem zweiten Schritt wollten die Forscher nun wissen, ob sich die Auswirkungen sozialer Isolation bei den Tieren wieder umkehren lassen. Zuerst isolierte Fische wurden später in ein soziales Umfeld gebracht. Die Forscher sahen, dass eine 30-minütige Anwesenheit von Artgenossen ausreicht, um die Werte von Pth2 wieder ansteigen zu lassen. "Nach zwölf Stunden im Becken mit den Artgenossen waren die Pth2-Werte nicht mehr von denen zu unterscheiden, die wir bei sozial aufgezogenen Tieren beobachteten", so Anneser. Diese deutliche und schnelle Regulation sei unerwartet und deute auf eine starke Verbindung zwischen der Genexpression und dem sozialen Umfeld hin.
Die Forschenden stellten sich deshalb die Aufgabe, die Zusammenhänge zwischen der Wahrnehmung von Artgenossen und der Veränderungen von Pth2 bei Zebrafischen zu verstehen. Klar ist bereits, dass Bewegungen über die Seitenlinie, einem besonderen Sinnesorgan der Fische, wahrgenommen werden. Aus diesem Grund wurden bei einigen Tieren die dafür verantwortlichen Zellen aus der Seitenlinie entfernt. Das hatte bei den zuvor isolierten Tieren zur Folge, dass der Anstieg des Neurohormons verhindert wurde. "Wir konnten demonstrieren, dass die sensorische Modalität, die die Pth2-Expression steuert, nicht das Sehen, Schmecken oder Riechen war, sondern die Wahrnehmung mechanischer Reize - Zebrafische 'fühlten' tatsächlich die Schwimmbewegungen der sie umgebenden Artgenossen", erklärt Professor Schuman.
Nachgeahmte Schwimmbewegungen zeigen Wirkung
So wie wir Menschen berührungsempfindlich sind, scheinen Zebrafische besonders auf die Schwimmbewegungen anderer Fische zu reagieren. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Wasserbewegungen, die durch das Schwimmverhalten von Artgenossen im Becken verursacht werden, Veränderungen der Pth2-Expression hervorrufen. "Zebrafisch-Larven schwimmen auf eine besondere Weise, wobei sich schnelle Flossenschläge und kurze Gleitphasen abwechseln. Wir ahmten die resultierenden Wasserbewegungen nach, indem wir einen Motor darauf programmierten, Fischbewegungen zu simulieren", erklärt Anneser die Vorgehensweise. "Interessanterweise führten auch die künstlichen Bewegungen bei zuvor isolierten Fischen zu einer Erhöhung des Pth2-Expressionslevels, fast genauso wie bei echten Artgenossen."
"Unsere Daten geben Hinweise auf eine überraschende Rolle für das relativ unerforschte Neuropeptid Pth2 - es erfasst die Populationsdichte des sozialen Umfeldes eines Tieres und reagiert auf Veränderungen dieser Umgebung. Es ist klar, dass die Anwesenheit von Artgenossen dramatische Auswirkungen auf den Zugang eines Tieres zu Ressourcen und letztlich auf sein Überleben haben kann. Daher ist es wahrscheinlich, dass dieses Neurohormon das 'soziale Gehirn' und Verhaltensnetzwerke reguliert", schlussfolgert Schuman. Die Ergebnisse der Forschergruppe wurden bei "Nature" veröffentlicht.
Der Zebrafisch ist ein geeigneter Modellorganismus zur Untersuchung von Erkrankungen des Menschen. Als Wirbeltier besitzt er viele Gene, die bei Säugetieren und damit auch beim Menschen dieselben oder ähnliche Funktionen haben. Rund 70 Prozent der Zebrafisch-Gene kommen in ähnlicher Form auch beim Menschen vor. Über 80 Prozent der bislang bekannten Gene, die beim Menschen Krankheiten auslösen können, gibt es auch in den Tieren. Der Zebrafisch wird deshalb auch oftmals in der Grundlagenforschung eingesetzt.
Quelle: ntv.de