Voller Zugang zu allen Daten Vertrauen schaffen zwischen Arzt und Patient
22.04.2016, 19:13 Uhr
Das Arzt-Patienten-Verhältnis trägt sogar zur Gesundung bei.
(Foto: imago/Westend61)
Sie sind die Götter in Weiß und haben ihre eigene Sprache. Das schafft Distanz zwischen Ärzten und ihren Patienten. Um diese abzubauen, braucht es nur eins: keine Geheimnisse mehr.
Ob Mammakarzinom oder Rhinitis: Diagnosen und Befunde können Patienten ratlos zurücklassen. Wenn der behandelte Arzt versäumt, Krankheitsbild und angesetzte Therapie verständlich zu erklären, macht sich nur noch Ratlosigkeit breit. Das schafft alles andere als Vertrauen. Um diese als wichtige Grundlage zwischen Arzt und Patient entstehen zu lassen, haben Forscher der Universität Witten/Herdecke (UW/H) und der Harvard University in Boston (USA) untersucht, wie es sich auswirkt, wenn Patienten den vollen Zugriff auf ihre medizinischen Befunde und die Notizen des behandelnden Arztes erhalten.
Bisher, so haben Untersuchungen ergeben, hat ungefähr die Hälfte aller Patienten nicht verstanden, was ihr Arzt mit ihnen besprochen hatte. Mit dem Offenlegen aller Daten für den Patienten, dem sogenannten OpenNotes-Projekt, hat sich das verändert. "Durch das OpenNotes-Projekt hat sich das Verständnis für das Besprochene radikal verbessert. Dadurch, dass die Patienten alles noch einmal nachlesen und auch die Notizen der Ärzte online einsehen können, haben sie die Möglichkeit, sich noch intensiver mit dem Thema zu beschäftigen, etwas noch einmal nachzulesen oder mit Angehörigen und Bekannten darüber zu sprechen", erläutert Professor Tobias Esch, der an der UW/H Integrierte Gesundheitsversorgung und -förderung lehrt.
Dem Projekt, das in den USA ins Leben gerufen wurde, standen viele Ärzte zunächst skeptisch gegenüber. Doch nachdem es mit 120.000 Patienten angelaufen war, überraschten die Ergebnisse nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Ärzte. Die Beziehung zwischen Arzt und Patient hatte sich durch OpenNotes deutlich verbessert. Derzeit beteiligen sich rund acht Millionen Menschen daran. "In zwei Jahren möchten wir 50 Millionen Leute erreichen", hofft Esch.
Sogar Fehler werden aufgedeckt
Mehr als 77 Prozent der befragten Studienteilnehmer gaben an, durch OpenNotes mehr Kontrolle über ihre Behandlung zu haben als zuvor. Mehr als 60 Prozent konnten durch das Programm ihre Medikation korrekt oder besser dosieren. Fast alle Befragten fanden mindestens einmal einen Irrtum oder ein Missverständnis in den Unterlagen, die sie dank der freien Zugänglichkeit schnell korrigieren lassen konnten. Einige Patienten gaben zudem zu, Informationen zum Schutz ihrer Privatsphäre gegenüber dem Arzt zunächst zurückgehalten zu haben, bis ihnen durch die Einsicht in die Unterlagen klargeworden sei, dass sie zur Behandlung wichtig seien.
"Letztlich ist dieser transparente Ansatz ein Gewinn für beide Seiten", resümiert Esch. Die Patienten haben durch den Zugang zu allen Daten mehr Vertrauen, nehmen ihre Medikamente wie verschrieben, erinnern sich besser an das Besprochene und arbeiten aktiv an ihrer Gesundung mit. Und auch die Ärzte haben besser informierte und vorbereitete Patienten. Und zu guter Letzt profitiert auch das Gesundheitssystem. "Wenn besser kommuniziert und die Dosierung der Medikamente eingehalten wird, medizinische Fehler vermieden werden und der Arzt seine Zeit effizienter nutzen kann, reduziert das am Ende auch die Kosten der Behandlung", betont Esch.
Quelle: ntv.de, jaz