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Fachleute antworten Weitere Booster-Impfungen gut fürs Immunsystem?

Was zusätzliche Boosterimpfungen nützen, ist wissenschaftlich noch nicht ausdiskutiert.

Was zusätzliche Boosterimpfungen nützen, ist wissenschaftlich noch nicht ausdiskutiert.

(Foto: imago images/Wolfgang Maria Weber)

Ab welchem Alter ist eine vierte Impfung ratsam? Sind weitere Booster auch für Jüngere gut oder ermüden sie das Immunsystem sogar? Wissenschaftlich sind diese Fragen noch nicht eindeutig geklärt, wie Einschätzungen von vier Fachleuten zeigen. US-Zahlen geben Hinweise zu einer möglichen Altersgrenze.

Die Kommunikation der zuständigen Stellen zur Frage, wer eine zweite Booster-Impfung erhalten sollte, ist mehr als unglücklich. Während die Ständige Impfkommission (STIKO) bisher lediglich über 70-Jährigen und Vorerkrankten zur vierten Dosis rät, empfiehlt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch unter 60-Jährigen die zweite Auffrischung. Die europäische Arzneimittelagentur EMA und die EU-Gesundheitsbehörde ECDC liegen dazwischen, sie plädieren für eine vierte Dosis ab 60 Jahren.

Das sieht nach willkürlich gesetzten Altersgrenzen aus, doch die zum Teil harsche Kritik an den Verantwortlichen ist nicht ganz gerechtfertigt. Denn auch in der Wissenschaft herrscht offenbar noch kein Konsens darüber, wie genau sich Auffrischimpfungen auf das Immunsystem auswirken und ob sie bei jüngeren Menschen überhaupt eine positive Wirkung haben. Das zeigen Statements, die vier Fachleute dem Science Media Center gegeben haben. Allerdings wird auch in diesen Einschätzungen die Rolle von Impfdurchbrüchen bestenfalls indirekt einbezogen.

"Quantitative und qualitative Verbesserung"

Eine recht eindeutige Meinung zum Boostern hat Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Universitätsspital Zürich. "Auffrischimpfungen gegen Sars-CoV-2 führen zu einer quantitativen und qualitativen Verbesserung des Immungedächtnisses gegen das Virus", sagt er. "Ersteres zeigt sich zum Beispiel im Anstieg von Sars-CoV-2-spezifischen Antikörperwerten nach der Impfung. Diese wiederum führt zu einer Wiederherstellung hoher Antikörperwerte im Blut und an den Schleimhäuten, wo das Virus eindringt, da die Antikörpermengen an diesen Orten mit der Zeit abnehmen." Die qualitative Verbesserung zeige sich anhand der breiter werdenden Immunantwort gegen Sars-CoV-2, was auch einen besseren Schutz gegen neue Varianten mit sich bringe.

Andreas Thiel, Leiter der Arbeitsgruppe Regenerative Immunologie und Altern am Berlin Institute of Health der Berliner Charité, betrachtet erst die vierte Dosis als tatsächlichen Booster. "Die bisherige dritte Impfung sollte als ganz normale letzte Impfung eines Grundschematas angesehen werden", sagt er. "Viele Studien - auch unsere eigenen - zeigen ganz deutlich, dass die dritte Impfung auch bei Jüngeren ein Muss ist, um länger anhaltende Antikörpertiter zu induzieren. In Studien aus Israel und Großbritannien wird hier auch im großen Maßstab eine Wirkung auf die schweren Verläufe insbesondere bei Älteren demonstriert."

"Drei Dosen meistens genug"

Andreas Radbruch, Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ), hält eine vierte Impfung und weitere Auffrischungen grundsätzlich für wenig sinnvoll. "Das immunologische Gedächtnis steigert seine langfristige Antikörperproduktion nach jeder neuen Provokation so lange, bis es sich an dieses Antigen in dieser Dosis auf diesem Wege gewöhnt hat", sagt er. Es sei dann "satt".

Werde der Impfstoff systemisch verabreicht, fingen die Antikörper das Antigen ab, bevor es eine erneute Immunreaktion auslösen könne. Studien wiesen darauf hin, dass Geimpfte, die bereits nach drei Dosen eine gute Immunität hätten, auf die vierte gar nicht mehr ansprächen.

Der Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod sei bereits nach der zweiten Impfung bei 90 und nach der dritten bei 94 Prozent langfristig und auch gegen Omikron gegeben, so Radbruch. Wenn, dann ergäbe eine vierte Impfung nur bei Älteren Sinn. Und da könne man diskutieren, ob ab 60 oder 70 oder 80 Jahren.

Letztendlich müsse man unabhängig vom Alter betrachten, wie eine Person auf die ersten drei Impfungen reagiert habe, sagt er. Aus immunologischer Sicht wäre es verantwortungsbewusst, Risikopatienten, die nicht reagiert hätten, serologisch zu erfassen und sie passiv prophylaktisch mit Antikörperpräparaten zu schützen.

"Viel hilft viel gilt nicht"

Christian Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen und Mitglied der Ständigen Impfkommission, sieht dies ähnlich. "Die Covid-19-Impfung dient einzig und allein dazu, schwere Sars-CoV-2-Infektionen, Hospitalisierung und Tod infolge von Covid-19 zu verhindern", sagt er. "Bei immunkompetenten Personen ohne Vorerkrankungen wird dieses Ziel bei den momentan zirkulierenden Virusvarianten durch drei Impfungen erreicht. Weitere Impfungen bringen bei dieser Personengruppe derzeit keinen Zusatznutzen."

"Anders sieht es bei immunkompromittierten Personen – zum Beispiel betagte Menschen und Menschen mit Tumorleiden oder Transplantaten – aus, die gegebenenfalls nach drei Impfungen gar keinen ausreichenden Schutz aufbauen. Hier ist eine vierte Impfung in jedem Fall ratsam, wie bereits von der STIKO im Januar 2022 empfohlen."

Um eine Sättigung des Immunsystems zu vermeiden, weist Bogdan darauf hin, dass Booster-Impfungen in einem deutlichen Abstand zur zweiten Impfung stattfinden sollten, im Idealfall nicht früher als nach sechs Monaten. Impfe man in eine noch laufende vorangegangene Immunantwort hinein, sei dieser Effekt stark abgeschwächt, da dadurch produzierte Antigene rasch abgefangen würden. "Die Devise, viel hilft viel, gilt beim Impfen eben nicht."

"Sättigung nur theoretisches Problem"

Onur Boyman hält eine mögliche Sättigung des Immunsystems für sehr theoretisch und nicht der klinischen Erfahrung entsprechend. "Die Behauptungen, dass durch mehr Booster-Impfungen das Immunsystem 'gesättigt' würde oder dass mehr oder weniger Booster-Impfungen besser oder schlechter sind, sind so nicht korrekt", sagt er. Diese Aspekte müssen individuell angeschaut werden, was bedeutet, dass Menschen, die zum Beispiel aufgrund ihres hohen Alters oder einer Immunschwäche ein erhöhtes Risiko tragen, eine schwere Covid-19-Erkrankung zu entwickeln, von häufigeren Booster-Impfungen profitieren können."

Andreas Thiel sieht in einer möglichen Sättigung des Immunsystems überhaupt kein Problem: "Bei abfallendem Immunschutz wird das Immungedächtnis durch eine Auffrischungsimpfung reaktiviert. Ist noch ausreichend Schutz vorhanden, nimmt diese Aktivierung entsprechend ab."

Immunologische Risiken wiederholter Booster seien bisher nicht bekannt, so Thiel. Pockenimpfungen seien zum Beispiel in den USA oder Deutschland bei Mitarbeitern von Hochsicherheitslaboren zum Teil jährlich vorgeschrieben. "Es gibt hier keine negativen Effekte."

"Autoimmunerkrankungen nicht ausgeschlossen"

Andreas Radbruch widerspricht dieser These. Wiederholte nutzlose Booster hätten mehrere Risiken, selbst wenn das Antikörper-produzierende adaptive Immunsystem gar nicht mehr anspringe, gibt er zu Bedenken. "Während der Nutzen der vierten Impfung überschaubar ist, reagierten 80 Prozent der Geimpften mit lokalen Nebenwirkungen und 40 Prozent mit systemischen Nebenwirkungen", was zumindest unangenehm sei, sagt er.

Problematischer sei, dass Unverträglichkeiten gegen zukünftige, ähnlich aufgebaute Impfstoffe entstehen könnten. Zu prüfen sei außerdem, ob nicht doch auch Autoimmunerkrankungen entstehen könnte, sagt Radbruch. Er hält es außerdem nicht für ausgeschlossen, dass übermäßiges Boostern zu einer sogenannten Originalantigen-Sünde (Original Antigenic Sin) führen könnte. Es gäbe erste Hinweise darauf, dass eine starke Immunität gegen eine bestimmte Variante des Virus das Immunsystem so präge, dass es schlecht gegen eine neue Variante reagiere. Dieser Effekt könne eventuell auch durch zu viel "blindes" Boostern eintreten, sagt er.

"Zweiter Booster wird grundsätzlich gut vertragen"

Diese CDC-Grafik zeigt, dass Booster bei über 50-Jährigen grundsätzlich wirken.

Diese CDC-Grafik zeigt, dass Booster bei über 50-Jährigen grundsätzlich wirken.

(Foto: CDC)

"Zur Frage des möglichen Schadens von zusätzlichen, klinisch nicht indizierten Impfungen gibt es bisher für die Sars-CoV-2-Impfstoffe keine umfassenden immunologischen Untersuchungen", sagt Christian Bogdan. "Grundsätzlich wird eine zweite Booster-Impfung, also eine vierte Impfung gut vertragen, was die lokalen oder auch systemischen normalen Impfreaktionen anbelangt. Die immunologische Wirkung repetitiver mRNA-Impfungen wird derzeit intensiv beforscht."

-> Die ausführlichen Statements der Wissenschaftler mit Quellenangaben kann man beim SMC nachlesen.

US-Zahlen belegen Booster-Wirkung für über 65-Jährige

Diese CDC-Grafik zeigt, dass von allen Impfungen inklusive Booster vor allem über 65-Jährige profitieren.

Diese CDC-Grafik zeigt, dass von allen Impfungen inklusive Booster vor allem über 65-Jährige profitieren.

(Foto: CDC)

Viele Fragen sind also noch offen. Dass Booster-Impfungen grundsätzlich den Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod erhöhen, belegen aber Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC. Im Mai lag demnach in den USA das Risiko, an Covid-19 zu sterben, bei ungeimpften über 50-Jährigen etwa 24 Mal höher als bei Gleichaltrigen, die einmal geboostert waren. Menschen mit einer vierten Dosis hatten im Vergleich zu dieser Gruppe nochmal ein rund viermal niedrigeres Risiko.

Eine grundsätzliche Empfehlung für einen zweiten Booster ab 50 Jahren kann daraus aber nicht abgeleitet werden, da theoretisch nur über 60- oder 70-Jährige dreifach Geimpfte gestorben sein könnten und keine Jüngeren. Wechselt man zur CDC-Statistik nach Altersgruppen, ist dies offenbar auch der Fall.

Starker Schutz bereits durch zwei Impfungen

Denn hier sieht man, dass die Inzidenz auch bei den Ungeimpften 50- bis 64-Jährigen am 22. Mai nur 0,81 betrug. Bei den über 65-Jährigen betrug sie dagegen bei ungeschützten Personen 9,14 und bei Grundimmunisierten beziehungsweise einmal Geboosterten 1,38 und 1,03. Vierfach Geimpfte wurden in dieser Statistik nicht berücksichtigt.

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Die Auswirkung auf die Inzidenz ist durch den zweiten Booster allgemein eher gering. Bei den Ungeimpften lag sie am 22. Mai, bei über 50-jährigen ungeimpften Infizierten, bei 5,49 Todesfällen pro 100.000 Einwohner. Bei einmal Geboosterten waren es nur 0,72, bei vierfach Geimpften 0,23. Auch eine Grundimmunisierung mit zwei Dosen zeigte dagegen schon eine große Wirkung, bei dieser Gruppe lag die Inzidenz bei 0,92.

Der geringe Unterschied dürfte vor allem an der Ausbreitung der milderen Omikron-Variante liegen. Denn im Winter war der Abstand noch deutlich höher. Am 2. Juni starben pro 100.000 Einwohner 23,29 Ungeimpfte; 3,03 Grundimmunisierte und 1,16 Geboosterte.

Quelle: ntv.de

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