1250fach erhöhte Werte im Meer vor Fukushima Verstrahltes Wasser steht meterhoch
26.03.2011, 21:44 Uhr
Das Licht in Block 2 funktioniert wieder.
(Foto: AP)
Das Atomwrack Fukushima verseucht zunehmend die Umwelt. Die radioaktive Belastung des Pazifiks an der Küste des beschädigten Kraftwerks erreicht einen Höchstwert. Wegen drohender Beschädigung durch Salzkrusten werden die Reaktoren jetzt mit Süß- statt mit Meereswasser gekühlt. In den Erdbebengebieten behindert Schnee die Bergungsarbeiten.
Der Gehalt des strahlenden Isotops Jod-131 im Meer nahe der Atom-Ruine Fukushima 1 hat den zulässigen Grenzwert um das 1250-fache überschritten. Das teilte die Reaktorsicherheitsbehörde (NISA) mit. Zuvor wiesen die 330 Meter südlich der Anlage entnommenen Proben lediglich eine 100 Mal so hohe Strahlenbelastung aus. AKW-Betreiber Tepco räumte ein, dass mit großer Wahrscheinlichkeit radioaktives Wasser aus dem Atomkraftwerk ins Meer geflossen sei.
Die Verseuchung im Pazifik kommt vermutlich daher, dass radioaktives Wasser aus dem Atomwrack ins Meer geflossen ist, wie der japanische AKW-Betreiber Tepco einräumte. Die stark belasteten Wasserproben wurden 330 Meter südlich des Kraftwerks entnommen, das vor mehr als zwei Wochen durch ein Erdbeben und einen Tsunami stark beschädigt worden war. Bisher war im Meerwasser eine 100-fach über dem Grenzwert liegende Strahlenbelastung gemessen worden. Viele Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Konzentration der radioaktiven Substanzen im Meer schnell verdünnt, so dass derzeit keine größere Gefahr für Mensch und Umwelt bestehe. Die Konzentration müsste deutlich höher sein, um von Algen oder Meerestieren aufgenommen zu werden. Zudem betrage die Halbwertszeit von Jod 131 lediglich acht Tage.
Licht in drei Reaktoren
Die Lage im Atomwrack selbst hat sich nach Aussagen eines Regierungssprechers derweil nicht weiter verschlechtert. Es sei derzeit aber nicht möglich, genau zu sagen, wann die Atomkrise vorbei sei, sagte Kabinettssekretär Yukio Edano. Es gab wenigstens einen kleinen Fortschritt: Im Kontrollraum von Reaktor 2 brannte wieder Licht. Damit ist nun in drei Kontrollräumen das Licht wiederhergestellt. Nur im Block 4 gibt es noch kein Licht.
Die Helfer im AKW arbeiten derzeit an zwei Fronten. Einerseits versuchen sie, das radioaktiv verseuchte Wasser aus den Reaktorgebäuden wegzuschaffen. In den Reaktorblöcken 1 bis 4 war zuvor radioaktives Wasser mit teilweise 10.000fach erhöhter Strahlung ausgetreten, das entweder aus dem Reaktorkern oder aus dem Abklingbecken für abgebrannte Kernbrennstäbe stammt. Das verstrahle Wasser in Block 1 des Atomkraftwerks Fukushima enthält hohe Mengen von Cäsium 137, wie es auch nach der vor nahezu 25 Jahren in großen Mengen in die Umwelt gelangt ist. Die japanische Reaktorsicherheitsbehörde (NISA) veröffentlichte eine Analyse dieses Wassers, wobei acht radioaktive Substanzen festgestellt wurden. An der Spitze der Aktivität steht Cäsium 137 mit 1,8 Millionen Becquerel.
Nach der Aufnahme in den Körper kann Cäsium-137 anstelle des chemisch ähnlichen Elements Kalzium in die Knochen eingebaut werden. Damit würde diese Strahlenquelle die Betroffenen über lange Zeit gefährden, denn erst nach etwa 30 Jahren ist die Hälfte der radioaktiven Atome zerfallen. Im Meer verdünnt sich die Konzentration radioaktiver Substanzen nach Angaben von Experten schnell. Daher droht noch keine unmittelbare Gefahr für Pflanzen und Tiere.
Nach dem Abpumpen sollen die Arbeiten zur Verkabelung der Kühlsysteme fortsetzt werden. Vermutet wird, dass mindestens einer der Reaktormäntel beschädigt ist, was die Angst vor einer Kernschmelze weiter schürte.
Zweiter Schwerpunkt bleibt die Kühlung der Reaktorblöcke 1 bis 3 mit Wasser von außen. Dies soll die drohende Überhitzung stoppen. Wegen der hohen Strahlenbelastung geschah dies nach einem Bericht des Fernsehsenders NHK aus größerer Entfernung als bisher. Zur Kühlung wird inzwischen vermehrt Süßwasser statt Salzwasser eingesetzt. Experten befürchten, dass verdampfendes Meerwasser Salzkrusten zurücklässt, die sich etwa zwischen den heißen Brennstäben festsetzen. Dies würde den Fluss des kühlenden Wassers behindern. Vor allem in den USA hatten sich Experten besorgt über eine Verkrustung der Kernbrennstäbe mit Salz geäußert.
Wasser bis zu 1,50 Meter hoch
Das verstrahlte Wasser am Boden von Räumen in der Nähe des Reaktorbehälters stand in Block 3 nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Kyodo 1,50 Meter hoch. In Block 2 waren es 1 Meter, in Block 4 0,80 Meter und in Block 1 wurden 40 Zentimeter gemessen.
Es sei sehr wichtig, das Wasser aus den Turbinengehäusen zu entfernen, bevor die radioaktive Verstrahlung noch weiter steige, teilte die Atomaufsicht mit. Man arbeite daran, das Wasser sicher zu bergen und dabei nicht die Umwelt zu verschmutzen. Temperatur und Druck hätten sich in allen Reaktoren stabilisiert.
Nach Einschätzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sind noch viele Vorarbeiten nötig, bevor Ingenieure die vermuteten Lecks in den Reaktoren untersuchen und eventuell abdichten können. Der IAEA-Sicherheitssprecher Denis Flory erklärte, zunächst müssten die Reaktoren weiter gekühlt werden, um überhaupt erst eine Umgebung zu schaffen, in der Menschen innerhalb des Reaktors arbeiten und den Schaden beurteilen könnten. "In dieser Phase sind wir noch lange nicht", sagte Flory.
Ministerium erhöht Grenzwerte
Seit Beginn der Krise im Atomkraftwerk wurden 17 Arbeiter verstrahlt. Dabei wurden nur diejenigen Unfälle berücksichtigt, bei denen eine Radioaktivität von mehr als 100 Millisievert gemessen wurde - dies entspricht der maximalen Belastung für AKW-Arbeiter über ein ganzes Jahr hinweg.
Allerdings hatte das Arbeitsministerium diesen Grenzwert für Arbeiter in Fukushima auf 250 Millisievert heraufgesetzt. Bei einem Unfall im Turbinengebäude von Block 3 bekamen zwei Arbeiter ohne Schutzstiefel unterhalb ihrer Knöchel eine Strahlenbelastung von 2 bis 6 Sievert (2000 bis 6000 Millisievert) ab.
Die Umweltorganisation Greenpeace hat bereits gefordert, die AKW-Havarie auf die einzuordnen. Das wäre Stufe 7 der Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES). Aus der Atomanlage seien schon jetzt entsprechend große Mengen an Radioaktivität entwichen, teilte Greenpeace mit. Die japanischen Behörden sprechen bisher nur von Stufe 5. Andere Atom-Experten meinten aber auch bereits, der Super-GAU sei schon da.
Greenpeace führt Messungen durch
Greenpeace begann damit, in der Umgebung des Atomkraftwerks Fukushima Eins eigene Stahlenmessungen vorzunehmen. Seit dem Beginn der Krise vor zwei Wochen hätten die Behörden offenbar ständig sowohl die Risiken als auch das Ausmaß radioaktiver Verseuchung unterschätzt, erklärte die Umweltorganisation. Mit den eigenen Messungen solle eine Alternative zu den häufig "widersprüchlichen" Angaben der Behörden geschaffen werden, hieß es.
Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt behinderten währenddessen die Aufräumarbeiten im Katastrophengebiet im Nordosten der japanischen Hauptinsel Honshu. "Es ist so kalt, dass wir nichts machen können", sagte ein Überlebender dem Fernsehsender NHK, der zusammen mit seiner Frau in sein beschädigtes Haus zurückkehrte.
Die Bereitstellung von Behelfsunterkünften für die Opfer der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe lief an. Die mit am schwersten getroffene Stadt Rikuzentakata in der Provinz Iwate begann als erste Gemeinde, Anträge für solche Häuser entgegenzunehmen.
Dramatische Lage im Katastrophengebiet
In Japan ist aber nicht nur die Lage an der Atomruine, sondern auch die Lage der direkten Erdbebenopfer immer noch dramatisch. Schneefall und Temperaturen um den Gefrierpunkt behinderten am Samstag die Aufräumarbeiten im Katastrophengebiet im Nordosten der Hauptinsel Honshu. "Es ist so kalt, dass wir nichts machen können", sagte ein Überlebender dem Fernsehsender NHK. Er war mit seiner Frau in sein beschädigtes Haus zurückkehrt.
Langsam läuft aber die Bereitstellung von Behelfsunterkünften an. Das sind einfache Häuser aus Holz, die individuell genutzt werden können. Die stark verwüstete Stadt Rikuzentakata in der Provinz Iwate nahm am Samstag als erste Gemeinde Anträge für solche Häuser entgegen.
Besorgt äußerte sich die EU-Kommissarin für Humanitäre Hilfe, Kristalina Georgiewa. Die Menschen in der Katastrophenregion benötigten schnellere Informationen zur radioaktiven Verseuchung ihrer direkten Umgebung, sagte sie nach einem Besuch in der Region. Viele wüssten nicht, wie es in ihrer jeweiligen Gegend speziell aussehe.
Bei dem Erdbeben der Stärke 9,0 und dem dadurch ausgelösten Tsunami am 11. März kamen nach offiziellen Angaben mindestens 10.489 Menschen ums Leben. 16.621 galten immer noch als vermisst, wie es am Samstagabend um 21.00 Uhr Ortszeit hieß.
Der Tsunami hat eine Fläche von rund 470 Quadratkilometern entlang der Küste überflutet, wie die japanische Geodaten-Firma Pasco berichtete. Sie hatte entsprechende Satellitendaten ausgewertet.
Der Wind weht auch in den nächsten Tagen günstig für die Millionen-Metropole Tokio. Radioaktive Partikel aus den Unglücksreaktoren werden aufs Meer getragen, sagte der Deutsche Wetterdienst (DWD) am Samstag in Offenbach voraus. Nur der Küstenstreifen nördlich des Kraftwerks werde vermutlich am Dienstag geringe Mengen radioaktiven Materials abbekommen.
Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP