Panorama

Ex-Polizist über seinen Job "3 Mark 50 für die erste Leiche"

Ein Fall für Abenteuer-Typen: SEK bei der Übung.

Ein Fall für Abenteuer-Typen: SEK bei der Übung.

(Foto: picture alliance / dpa)

Korpsgeist, Geschlechterkampf, Adrenalin-Junkies: Die Welt der Polizei ist eine Welt für sich. Das weiß besonders Stefan Schubert. In seinem neuen Buch "Inside Polizei" plaudert der ehemalige Polizist aus dem Nähkästchen. n-tv.de spricht mit ihm über Vertuschung, Prügelei und Traumatisierung.

Stefan Schubert war Polizist bei der Bundespolizei und der Landespolizei NRW.

Stefan Schubert war Polizist bei der Bundespolizei und der Landespolizei NRW.

n-tv.de: Herr Schubert, Ihr Buch führt stellenweise weit weg vom Bild des Freund und Helfers, der stets fair und neutral seinen Dienst tut. Warum ist es Ihnen eigentlich wichtig, Interna aus dem Leben eines Polizisten preiszugeben?

Stefan Schubert: Mich reizt, die Polizei so darzustellen, wie sie wirklich ist. Den echten Alltag, eins zu eins. Nicht das, was Behörden- oder Polizeisprecher darüber sagen.

Sind Ihre Ex-Kollegen nicht sauer auf Sie, wenn Sie ständig aus dem Nähkästchen plaudern?

Nein, die haben mir die Geschichten ja bereitwillig erzählt. Auch, weil sie froh sind, wenn mal die echten Umstände von Einsätzen an die Öffentlichkeit kommen.

Die Polizeigewerkschaften zeichnen gerne das Bild des Polizisten, der technisch unterirdisch ausgerüstet ist, miserabel entlohnt und dazu noch vom Bürger dauernd beschimpft und attackiert wird. Wie sehen Sie das?

Es gibt den klassischen Begriff "der Polizist" ja gar nicht. Die Polizei ist eine große Organisation, die sich aus vielen, unterschiedlichen Menschen zusammensetzt – und das in einem föderalen Gewebe. In Bayern steht die Polizei sicher anders da als in Bremen.

Zunehmende Gewalt? Ja, sagt Schubert.

Zunehmende Gewalt? Ja, sagt Schubert.

(Foto: picture alliance / dpa)

Hat denn der Respekt gegenüber dem Polizisten nachgelassen?

Ja, auf jeden Fall. In bestimmten Stadtteilen kann nur noch mit zwei, drei Streifenwagen oder sogar nur noch mit einem Mannschaftswagen angerückt werden. Das war vor 10 bis 15 Jahren in der Form sicher noch nicht nötig.

Kämpfen Polizisten da schon für sich alleine, quasi nicht mehr "Wir für den Bürger", sondern eher "Wir gegen den Bürger"?

Der normale Bürger hat wenig mit der Polizei zu tun. Der hat mal einen Unfall oder einen Wohnungseinbruch, das war es schon. Der Kampf gegen die echten Straftäter, das ist eher ein einsamer Kampf.

Lässt der Staat seine Polizisten dabei im Stich?

Teilweise ja. Sie sollen funktionieren, keinen Ärger verursachen – und ansonsten noch die Klappe halten. Auf Dauer ist das sehr frustrierend.

Das bringt uns zum Stichwort des Korpsgeistes, der, wie Sie auch schreiben in Ihrem Buch, sogar in Vertuschung münden kann. Wie ausgeprägt ist dieses "Wir-Gefühl" bei der Polizei?

Der Korpsgeist ist immer noch stark ausgeprägt. Doch das ist nicht nur negativ. Der Korpsgeist schützt ja auch und hält zusammen. Polizisten nehmen ihn positiv wahr.

Aber der Korpsgeist schafft Intransparenz, das zeigen Sie ja selbst auf. Kann ich eigentlich als Presseorgan, also als Sprachrohr in die Öffentlichkeit, sicher sein, dass die Mitteilungen der Polizei immer der Wahrheit entsprechen?

Durch den Korpsgeist bleibt die Wahrheit bestimmt öfter auf der Strecke. Die Polizeibehörde möchte sich natürlich als gut funktionierende Einrichtung darstellen. Fehler einzugestehen war an der Stelle schon immer eine Schwierigkeit der Polizei. Da wird lieber alles geheim gehalten, bis es wirklich nicht mehr geht.

"Einsam": Der Kampf gegen echte Straftäter.

"Einsam": Der Kampf gegen echte Straftäter.

(Foto: picture alliance / dpa)

Und bei kleineren Geschehnissen aus dem Alltag, die für Betroffene erheblich sein können, aber eben kein Reporter und keine Kamera dabei ist, fallen dann da die kleineren bis mittleren Fehler der Polizei unter den Tisch?

Ja, so ist es natürlich.

Sie erörtern unter anderem auch das Thema Mann und Frau als Streifenwagenbesatzung. Hintergrund ist, dass eine weibliche Beamtin mit einer Gewaltsituation nicht klar kommt – und ihr Kollege dadurch in tödliche Gefahr gerät. Wie ausgeprägt ist das Geschlechter-Problem im Einsatz?

Das ist ein großes Problem. Anfangs gab es Einstellungsquoten von 30 Prozent von Frauen, inzwischen sind es 50 Prozent. Und das gibt halt Probleme. Man kann das auch gar nicht anders erwarten, denn es sind meistens junge Mädels aus gutem Hause, die in einer heilen Welt groß geworden sind. Dann machen sie eine polizeiliche Ausbildung und landen in einer Großstadt, wo es schwere Gewaltprobleme gibt. Für junge Polizisten ist das schon schwer – aber als Frau ist es nochmal deutlich härter.

Diese jungen Polizistinnen treffen aber immer noch auf eine Männerwelt, in der ihre Hinterteile zur ausgiebigen Bewertung freigegeben sind …

Wie in jeden Büro auch …

Aber im Büro klebt nicht so viel Testosteron in der Luft wie in einer Polizeiwache, oder?

Also, es gibt verschiedene Typen Polizisten. Menschen mit Wunsch nach Beamtentum sind dabei, manche wollen der Gerechtigkeit dienen. Aber sicher gibt es auch eine Menge Abenteurer, die sich für brenzlige Einsätze freiwillig melden und bei Demonstrationen in der ersten Reihe stehen wollen.

In den letzten Jahren hat es einige spektakuläre Suizid-Fälle von Polizistinnen gegeben. Wie erklären Sie sich das?

Selbstmord ist ein altes Problem bei der Polizei, es gibt schon ewig hohe Selbstmordraten. Wobei an offizielle Zahlen so gut wie nicht heranzukommen ist. Das ist die Besonderheit dieses Berufes, dass man in Situationen kommt, die man kaum oder gar nicht lösen und verarbeiten kann. Wenn sich jemand vor die U-Bahn wirft oder jemand sein Kind totschlägt, dann kommt man abends nach Hause und kann nicht einfach den Hebel umlegen. Wenn es dann noch private Probleme oder etwa eine Scheidung gibt, man aber als cool gelten will und sich lange nicht helfen lässt, dann bildet sich wohl diese Melange, aus der die hohe Suizid-Rate resultiert.

Sie schildern in Ihrer Geschichte zur Loveparade-Katastrophe, wie schnell Beamte im Einsatz schwer traumatisiert werden können. Gibt es bei der Polizei ein ausreichendes Hilfenetz nach solchen Situationen?

Das ist wohl deutlich besser geworden. Nachdem ich meine erste Leiche gesehen hatte, musste ich ein Formular ausfüllen und bekam damals 3,50 Mark Erschwerniszuschlag, das war's. Bei der Loveparade wurde aber viel Hilfe angeboten. Aus Vier-Augen-Gesprächen mit Vorgesetzten resultierte für viele therapeutische Hilfe. Und von den Alteingesessenen gab es deswegen auch keine dummen Sprüche.

Was sind die drei größten Probleme im Alltag der Polizisten?

Bürokratie. Die hohe Einsatzbelastung. Und dass man schnell alleine gelassen wird, wenn man mal einen Fehler gemacht hat.

Schubert_4c.jpg

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Mit Stefan Schubert sprach Jochen Müter

Quelle: ntv.de

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