Nachruf auf Christa Wolf Authentisch bis zur Schmerzgrenze
01.12.2011, 18:33 Uhr"Der geteilte Himmel" oder "Kassandra": Christa Wolfs Bücher gehören zur DDR-Literatur. Ob ihr Werk über ihre Rolle als Chronistin der DDR und der deutschen Teilung Bestand hat, muss sich nun, nach ihrem Tod, erst noch erweisen.
Noch vor zwei Jahren, in den Würdigungen zu ihrem 80. Geburtstag fehlte in kaum einem Text die Bemerkung, dass Christa Wolf immer wieder für den Literatur-Nobelpreis im Gespräch war. Andererseits war auch häufiger zu lesen, dass ihr Werk komplett überschätzt sei.
Aus der DDR-Literatur sind Romane und Erzählungen wie "Nachdenken über Christa T.", "Kindheitsmuster", "Kein Ort. Nirgends", "Kassandra", "Medea. Stimmen" oder "Der geteilte Himmel" nicht wegzudenken. Doch wie bei vielen Künstlern der DDR drängte sich auch bei Wolf die Frage auf, was ihr Werk wert wäre in einer größeren als der kleinen und engen DDR-Welt.
Zwischen den Stühlen
Schon bei "Der geteilte Himmel" von 1963 gerät sie in Konflikt mit den Kulturoffiziellen der DDR, die das Leben in der DDR zu lückenhaft dargestellt sehen. So sind "unsere Menschen" nicht. Aber das ist natürlich ein ideologisches Urteil. Was folgt, ist ein jahrelanger Balanceakt zwischen Wolfs Verbundenheit mit der DDR und der kritischen Sicht auf den "real existierenden Sozialismus". Sie taugte nicht zur Staatsdichterin, aber auch nicht zur Dissidentin.
Sie wurde drei Jahre lang als IM geführt und jahrzehntelang von der Stasi überwacht. 40 Jahre lang war sie SED-Mitglied, initiierte aber 1976 den Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann mit. Doch die Frage: Bleiben oder gehen? beantwortete sie immer wieder mit Bleiben. Anders als viele Kollegen blieb sie von Repressionen verschont, konnte reisen.
Und mehr noch: In einem Land, in dem das Papier für jede Buchveröffentlichung geplant werden musste, konnte Wolf regelmäßig publizieren. Auch wenn hinter den Kulissen um viele Sätze gerungen wurde. Von den Auflagen blieb sogar noch etwas für den freien Verkauf übrig, während andere Autoren nur als "Bückware" zu bekommen waren.
Nicht süffig, aber mutig
Ihre "subjektive Authentizität" wurde von vielen als ein Abtauchen in eine Innerlichkeit bewertet, die literarische Qualität ihrer formulierten inneren Emigration muss sich vielleicht erst noch beweisen. Werden die Konflikte ihrer Figuren die Menschen noch erreichen? Wird ihre Sprache sie noch bewegen? Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN, Johano Strasser meint, dass sich Wolfs Texte nicht gerade durch "Süffigkeit" auszeichneten. Ihr Leser hat Wolf bisher dennoch gefunden, und so wird es wohl eine allgemeingültige Antwort kaum geben.
Der Vorwurf, sie habe ihre Stimme gegen das Regime nicht laut genug erhoben, ist mit den Jahren leiser geworden. Zu deutlich war, dass sie sich an der so zwiespältig geliebten Heimat auch wundgerieben hatte. Am Ende hat sogar Marcel Reich-Ranicki sein hartes Urteil revidiert. "Sie war eine mutige Schriftstellerin, die die zentralen Fragen ihrer Zeit und ihrer Problematik ausdrücklich behandelt hat", sagte er nach Wolfs Tod.
Sie hat sich das Schreiben nicht leicht gemacht, hat sich ihrer Geschichte ausgesetzt, von ihrer jugendlichen Faszination für den Nationalsozialismus bis hin zu ihrem Glauben an eine bessere Gesellschaft. Das ist nicht immer einfach zu lesen, das mag man ablehnen, dafür hat sie vielleicht nicht den Nobelpreis verdient, aber Anerkennung nötigt es schon ab.
Quelle: ntv.de