Warten auf das Strafmaß Der Fall Pistorius geht weiter
12.09.2014, 16:15 UhrNach dem Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung wird die Strafe für Oscar Pistorius am 13. Oktober verkündet. Muss er dann gleich ins Gefängnis, hat er Anspruch auf eine behindertengerechte Zelle und ist der Fall nun überhaupt erledigt?
Am Ende fiel das Urteil einstimmig: Als Oscar Pistorius im Februar 2013 in der Nacht zum Valentinstag vier Schüsse durch die geschlossene Toilettentür auf seine damalige Lebenspartnerin abfeuerte, handelte er fahrlässig, so die Entscheidung von Richterin Thokozile Masipa. Weder Mord noch Totschlag sahen Masipa und ihre Beisitzer Themba Mazibuko und Janet Henzen-du Toit als erwiesen an. In Südafrika gibt es keine Geschworenen-Gerichte, die Richterin sprach sich bei ihrem Urteil mit ihren beiden Beisitzern ab. Nur wenn beide zu einem anderen Schluss gekommen wären als Masipa, hätten sie die Richterin überstimmen können.
"Jeder vernünftige Mensch in seiner Lage mit derselben Behinderung hätte die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass wer auch immer sich hinter der Tür aufhielt, von den Schüssen tödlich getroffen werden könnte", begründete Masipa ihre Entscheidung. Der Angeklagte habe die entsprechenden Konsequenzen aber nicht gezogen. Auch in einem von drei Nebenanklagepunkten wurde Pistorius wegen des fahrlässigen Schusswaffengebrauchs in einem Restaurant schuldig gesprochen.
Sofort hinter Gitter?
Nachdem Masipa zwei Tage lang ihr Urteil verlesen hatte, immer wieder unterbrochen von Pausen, wurde die drängendste Frage sofort gestellt. Muss Pistorius nun sofort in Haft? Seine Kautionsvereinbarung galt nur bis zur Verkündung des Urteils. Deshalb war es auch kaum verwunderlich, dass Staatsanwalt Gerrie Nel sofort mehrere Argumente ins Feld führte, warum er Pistorius schon jetzt gern im Gefängnis sähe. Da sei zum einen die Tatsache, dass Pistorius über kein eigenes Haus mehr verfüge, weil er dieses mittlerweile verkauft habe. Gegen eine Verlängerung der Kautionsregelung spreche auch Pistorius' früheres Verhalten, sagte Nel. Als Beispiel führte er einen Zwischenfall in einem Nachtclub an, der sich während des Verfahrens ereignet habe. Dabei soll Pistorius gegenüber einem anderen Gast aggressiv geworden sein.
Pistorius-Anwalt Barry Roux bestätigte den Verkauf des Hauses. Allerdings habe dies lediglich den Grund gehabt, dass der Sportler mit dem Verkaufserlös habe seine Anwälte bezahlen müssen. In den vergangenen 18 Monaten habe sein Mandant bei seinem Onkel gewohnt, erklärte Roux dem Gericht, und alle Auflagen erfüllt. Am Ende entschied Masipa, es bestehe keine Fluchtgefahr, Pistorius bleibe deshalb bis zur Verkündung des Strafmaßes frei.
Milde Strafe möglich
Auch die Frage, bis wann sie darüber entscheiden will, welche Strafe sie für Pistorius' Taten für angemessen hält, beantwortete Masipa. Am 13. Oktober werde sie das Strafmaß verkünden. Damit erfüllt Masipa die Erwartung, dass sie spätestens vier bis sechs Wochen nach dem Urteil bekannt gibt, wie lange Pistorius ins Gefängnis muss. Genau ist nicht festgelegt, innerhalb welcher Frist dies erfolgen muss. Südafrikas Gesetze sehen keine Mindeststrafe bei fahrlässiger Tötung vor. Im schlimmsten Fall drohen Pistorius mehrere Jahre Gefängnis, der Ausnahmesportler könnte aber auch mit einer Geldstrafe oder gemeinnütziger Arbeit davonkommen.
Bis Mitte Oktober haben Freunde und Familie von Pistorius Zeit, beim Gericht um Milde zu bitten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung erhalten gleichzeitig Gelegenheit, dem Gericht Stellungnahmen von Psychiatern und Sozialarbeitern zu präsentieren. Diese Einschätzungen sollen deutlich machen, wie sich das jeweilige Strafmaß auf Pistorius auswirken würde.
Behindertengerechte Unterbringung
Sollte Pistorius zu einer Haftstrafe verurteilt werden, würde er sofort nach deren Bekanntgabe in ein Gefängnis gebracht, so südafrikanische Rechtsexperten. Weil er wegen seiner Unterschenkelamputation behindert ist, hätte er dabei Anspruch auf eine besondere Behandlung. Wie die südafrikanische Justizvollzugsbehörde "auf mehrfache Nachfrage" mitteilte, haben die Gefängnisse die Möglichkeit zur behindertengerechten Unterbringung von Häftlingen.
Binnen sechs Stunden nach Einlieferung des neuen Gefangenen müssen demnach neben seinen Bedürfnissen auch die Gefahren bewertet werden, die ihm in den von Gewalt geprägten Gefängnissen des Landes drohen. "Straftäter haben das Recht, ihre Haftstrafe unter menschenwürdigen Bedingungen" abzusitzen, heißt es in der Erklärung. Dies schließe "regelmäßigen Sport, angemessene Unterbringung, Ernährung, Lesestoff sowie ärztliche Behandlung" mit ein.
Berufung nur für die Verteidigung
Aus der Haft heraus müsste Pistorius dann erneut einen Antrag stellen, um auf Kaution freizukommen, bis ein mögliches Berufungsverfahren abgeschlossen ist. Jedoch kann lediglich die Verteidigung in Berufung gehen. Die Staatsanwaltschaft hat nur die Möglichkeit, wegen möglicher Verfahrensfehler in Revision zu gehen. Für sie ist die Möglichkeit einer Berufung im südafrikanischen Prozessrecht nicht vorgesehen.
Ob sich die Staatsanwaltschaft am Ende mit dem Urteil zufriedengibt, ist offenbar noch nicht entschieden. Ein Sprecher der Anklage äußerte sich "enttäuscht" über Masipas Urteil, jedoch wolle man über weitere Schritte erst dann entscheiden, wenn das Strafmaß bekannt sei.
Pistorius hat bisher nicht erkennen lassen, ob er das Urteil annehmen wird. Für den südafrikanischen Anwalt Keith Gess ist der Ausgang des Verfahrens "das Beste, auf das Pistorius hoffen konnte". Wenn er Glück hat, könnte der Sportler nach wenigen Jahren wieder in Freiheit sein - oder gar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, meinen Experten. Andere südafrikanische Juristen glauben nicht, dass Pistorius freiwillig ins Gefängnis gehen werde. Sie rechnen damit, dass der Sportler alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen werde, das Verfassungsgericht eingeschlossen.
In einer ersten Reaktion der Pistorius-Familie dankte der Onkel von Oscar Pistorius Richterin Masipa dafür, den früheren Sportstar nicht wegen Mordes verurteilt zu haben. "Das hat eine große Last von unseren Schultern genommen", sagte Arnold Pistorius nach der Urteilsverkündung. "Das wird Reeva nicht zurückbringen, aber unsere Gedanken sind bei ihrer Familie und ihren Freunden."
Quelle: ntv.de