De Maizière braucht dringend Ideen Bundeswehr auf Wackelkurs
07.03.2011, 22:02 Uhr
Droht der Reform ein Untergang?
(Foto: dpa)
Ein "bestelltes Haus" versprach Freiherr zu Guttenberg seinem Amtsnachfolger de Maizière. Doch davon ist wenig zu sehen. Visionen alleine, das weiß der neue Verteidigungsminister, füllen keine personellen Lücken und machen aus schlechtem Material kein gutes. Handfeste Pläne müssen her. Und eine Bestandsaufnahme.
Nichts überstürzen - das ist das erste und wohl wichtigste Signal, das der neue Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in die Truppe sendet. Die Bundeswehrreform werde zwar "konsequent" fortgesetzt, so der Minister während einer Videokonferenz mit den Bundeswehrkommandeuren in den Einsatzgebieten. Aber: Eine Reform der Streitkräfte könne es erst nach einer "grundlegenden Lagebeurteilung" geben. "Klar ist aber schon jetzt, dass wir uns dauerhaft auf eine Bundeswehr im Einsatz einstellen müssen." Der Minister deutete zudem an, dass er in Kürze in die Einsatzgebiete reisen werde. "Bis bald vor Ort", verabschiedet er sich schließlich.
Hundert Tage Schonzeit, wie sonst üblich, werden dem neuen Mann im Amt sicher nicht gewährt. Zu sehr blickt Deutschland dafür seit Wochen auf die Zukunft seiner Soldaten. Am Donnerstag wird de Maizière seinen Vorgänger mit einem Großen Zapfenstreich auf dem Paradeplatz des Bendlerblocks verabschieden. Damit ist die Ära von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Verteidigungsressort endgültig vorbei. Der neue Minister muss danach zumindest in einigen Bereichen relativ bald Nägel mit Köpfen machen.
Guttenberg hinterlässt de Maizière nämlich kein "bestelltes Haus" - wie er in seiner Rücktrittsrede sagte -, sondern ein wackliges Reformgerüst. Drei Pflöcke hat er allerdings relativ fest eingerammt: Aussetzung der Wehrpflicht, Sparvolumen von 8,3 Milliarden Euro bis 2014 und Truppenstärke bis zu 185.000 Soldaten. Diese drei Vorgaben sind bereits vom Kabinett beschlossen worden. Das Problem: Zwei davon passen inzwischen nicht mehr zusammen.
Entscheidung muss her
Das Sparvolumen von 8,3 Milliarden Euro lässt sich nicht realisieren, wenn die Truppe von 235.000 nur auf 185.000 Soldaten verkleinert wird. Guttenberg hatte 163.500 Soldaten als Untergrenze für die Truppenstärke genannt. Das wäre billiger geworden. Die Koalition wollte es aber anders. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat kurz vor Guttenbergs Rücktritt Kompromissbereitschaft erkennen lassen und eine Streckung des Spardiktats um ein Jahr angeboten. Die FDP will da nicht mitmachen. Bis nächste Woche muss geklärt werden, was aus dem Sparbonus für das Verteidigungsressort wird. Dann entscheidet das Kabinett über den Etatrahmen.
Der dritte Guttenbergsche Reformpfeiler, die Aussetzung der Wehrpflicht, ist im Unterschied zu den anderen beiden unverrückbar. Am 3. Januar wurden die letzten jungen Männer gegen ihren Willen zum Dienst an der Waffe verpflichtet. Das Rad der Geschichte lässt sich jetzt nicht mehr zurückdrehen, obwohl der eine oder andere in der militärischen Führung, aber auch in der Union, das wohl gerne tun würde.
Die Folgen sind bereits spürbar. Am 1. März traten 1255 Freiwillige ihren Dienst an, für den 1. April haben sich erst 900 Männer gemeldet. Das ist viel zu wenig, um auf die Zielgröße von 12.000 Soldaten im Jahr zu kommen. "Das zeigt uns, dass uns die Freiwilligen nicht automatisch zufliegen", sagt ein Ministeriumssprecher. Das zeigt auch das Ergebnis einer Brief-Aktion. Von 160.000 angeschriebenen jungen Männern konnten sich jüngst nur 7000 überhaupt einen Dienst in der Armee vorstellen.
Ein Grund für die Probleme bei der Freiwilligenwerbung ist, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, bevor das Gesetz darüber in Kraft getreten ist. Erst ab 1. Juli sollen die Vergünstigungen für den neuen Freiwilligendienst gelten. Während ein Wehrdienstleistender heute nur 378 Euro im Monat verdient, sollen es künftig für den 12- bis 23-monatigen Freiwilligendienst 777 bis 1100 Euro sein. Hinzu kommen weitere Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Versorgung oder Sozialversicherungsbeiträge.
Bei den Zeitsoldaten läuft die Rekrutierung unterdessen besser. 42 Prozent des Bedarfs seien für dieses Jahr schon gedeckt, heißt es im Ministerium. Trotzdem hat der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, bereits Alarm geschlagen. "Im Übergang zur neuen Struktur werden wir große Lücken im Personalkörper hinnehmen müssen, die uns langjährig begleiten und nicht auszugleichen sein werden", heißt es in einem Brandbrief von Freers an den Generalinspekteur.
Die Nachwuchswerbung wird also wohl eine der ersten Aufgaben sein, die de Maizière angehen muss. Inspiration könnte er im Ausland finden, wo es zahlreiche Berufsarmeen gibt. Die USA arbeiten vornehmlich mit finanziellen Anreizen. In Schweden werben die Streitkräfte seit Abschaffung der Wehrpflicht unter anderem mit actiongeladenen Internetvideos und Kinospots im James-Bond-Stil: Marinesoldaten liefern sich dort eine wilde und elegant gefilmte Verfolgungsjagd mit schwarzhäutigen Piraten in Schnellbooten. Und Österreich hat seiner Armee den Slogan "Alles andere ist Alltag" verordnet.
Ein Papier mit Ideen
Zu den Unterlagen, die Guttenberg seinem Nachfolger hinterlassen hat, zählt immerhin ein 37-seitiges Papier vom 7. Februar mit 82 Maßnahmen, die die Bundeswehr attraktiver machen könnten - von besseren materiellen Leistungen bis zu einem attraktiveren Ausbildungsangebot. Zu einer Entscheidung über eine Umsetzung ist Guttenberg allerdings nicht mehr gekommen. Mit Folgen.
"Die militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr sind durch die vergangenen Monate und zahllosen Ankündigungen von zu Guttenberg verunsichert genug", brachte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour auf den Punkt, was auch zahlreiche Unions-Vertreter inzwischen denken.
Die führenden Koalitionäre beeilen sich gerade deswegen, ihrem neuen Mann im Verteidigungsministerium zur Seite zu springen, wenn es darum geht, Zweifel an der Reform gar nicht erst aufkommen zu lassen. "Die Eckpunkte der Reform stehen nicht infrage" sagt Fraktionschef Volker Kauder. Und für die FDP stellt Generalsekretär Christian Lindner klar: "Jetzt dürfen keine Zweifel genährt werden, die Aussetzung der Wehrpflicht stünde wieder zur Disposition."
Die SPD erwartet, dass nach Guttenbergs Abgang die Reformpläne "vom Kopf auf die Füße" gestellt werden. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dazu: "Wir wollen eine Bundeswehr, die breit in der Bevölkerung verankert ist." Daher müsse de Maizière auch das Gespräch mit der Opposition suchen.
Quelle: ntv.de, jmü/dpa/rts