Pannen, Pech und schlechte Umfragen "Steinbrück hatte kein Drehbuch"
21.06.2013, 12:10 Uhr
Mann mit Pech-und-Pannen-Image: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
(Foto: picture alliance / dpa)
Pannen, Pech und schlechte Umfragen: Was ist bloß mit Peer Steinbrück los? Im Interview mit n-tv.de erklärt Wahlkampf-Insider Frank Stauss die Fehler der SPD-Kampagne. Aber für ihn ist das Rennen um das Kanzleramt noch offen. "Merkel ist nicht unschlagbar", sagt Stauss und verweist auf Winston Churchill.
n-tv.de: Herr Stauss, Sie sind Werber und Wahlkämpfer. In Ihrem Buch "Höllenritt Wahlkampf" schreiben Sie: "Ein fantastischer Beruf. Ich liebe ihn und ich hasse ihn." Was genau lieben Sie, was hassen Sie?
Frank Stauss: Das hängt oft zusammen. Das Faszinierende ist, dass man auf diesen einen Stichtag hinarbeitet. Millionen gehen wählen und im Vorfeld hat das ganze Orchester der Kommunikation gespielt, von klassischer Werbung über PR, das Zusammenspiel von Kandidat und Partei, die Infostände. Abends um 18 Uhr ist Schluss, da hat man gewonnen oder verloren. Und was ich daran hasse, ist eigentlich genau dasselbe. Es gibt kein Uurück mehr. Bei einer Kampagne, die nicht in Tritt kommt, bekommt man keine Auszeit und kann sagen: Lassen Sie uns mal noch zwei Wochen dranhängen. Deshalb läuft man auf diesen Eisberg zu und weiß: Das wird nichts mehr. Anstrengend sind Wahlkämpfe übrigens auch: Die Arbeitszeiten werden länger, die Nächte kürzer, die Ernährung schlechter.
Frank Stauss begleitete die Wahlkampf-Kampagnen für verschiedene SPD-Politiker. Als Student arbeitete er 1992 im "National Speakers Bureau" der Kampagne für Bill Clinton und Al Gore.
(Foto: Bernhard Huber)
Wann wussten Sie: Ich werde Wahlkämpfer?
Was viele abschreckt, zum Beispiel die ganzen Plakate auf einer Straße, das fand ich immer toll. Ich weiß noch, wie ich als 14-Jähriger auf dem Rücksitz gesessen und meine Eltern bedrängt habe, dass sie sich Helmut Schmidt aufs Auto pappen. Aber das wollten sie nicht. Dann habe ich den Aufkleber einfach von innen an die Rückscheibe gedrückt und mich über jede Lichthupe gefreut. Ich bin 1982 beim Misstrauensvotum gegen Schmidt in die SPD eingetreten, dann haben mich meine Eltern gleich wieder ausgetreten, weil ich noch minderjährig war. Dann bin ich zwei Jahre später wieder rein (lacht).
Sie haben für Kraft, Scholz, Steinmeier, Schröder, Scharping und Wowereit Wahlkampf gemacht, also immer für die SPD. Warum eigentlich nicht in diesem Jahr?
Die SPD hat die Ausschreibung 2011 gemacht, lange bevor bekannt war, wer Kandidat wird. Zu der Zeit haben wir drei andere Wahlkämpfe gemacht, Hamburg, Rheinland Pfalz und Berlin. Mehr konnten wir nicht leisten, deshalb haben wir abgesagt und die SPD hat sich für andere entschieden. Aber ganz ehrlich: Es tut uns auch mal ganz gut, eine Runde auszusetzen. Meiner Gesundheit ist es sicherlich förderlich. Das ist schon ein Adrenalin-Kick. Andere machen Bungee-Jumping, ich mache Wahlkämpfe.
Was sind die größten Fehler, die man in Wahlkämpfen machen kann?
Es sind immer die Anfangsfehler. Entscheidend ist, dass man sich, gerade wenn es auf eine Kandidatur zuläuft, zwei Tage zusammensetzt und über die Richtung der Kampagne spricht. Der Kandidat muss mit all dem zu 100 Prozent einverstanden sein. Er, die Partei und das Programm müssen eine Einheit bilden. Wenn alle an einem Strang ziehen, kann einen alle Unwägbarkeit, die im Wahlkampf auf einen zukommt, nicht vom Weg abbringen. Wenn das nicht klar definiert ist, fängt man an zu schlingern, sobald der erste Gegenwind kommt. Es ist ganz wichtig, von Anfang an einen festen Standpunkt einzunehmen, auf den man immer zurückkehren kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Im Wahlkampf 2009 war überhaupt nichts klar. Es gab keine Machtoption, es gab keine glaubwürdige Koalitionskonstellation, die mehrheitsfähig gewesen wäre. Man hat gegen eine CDU Wahlkampf gemacht, mit der man gleichzeitig regiert hat, und gegen eine FDP, mit der man in einer Ampel regieren wollte. Dazu war der Zustand der SPD schlimm. Frank-Walter Steinmeier ist ein guter Mann, in der Kampa waren die gleichen wie 2005, wir waren die gleiche Agentur, die die Kampagne gemacht hat – und trotzdem hat es einfach nicht funktioniert.
Zwei Alphatiere, ein Kanzlerkandidat: Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Bei Steinbrück läuft es diesmal nicht besser.
Die Vorfeldarbeit hat gefehlt. Über ein halbes Jahr war klar, Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück - einer von den dreien wird's. Dann wäre es die Aufgabe der Kampagnenleitung gewesen, für alle drei unterschiedliche Drehbücher zu entwerfen. 1998 war man auf beide möglichen Fälle – Schröder oder Lafontaine – vorbereitet. Den Eindruck hatte man diesmal nicht. Steinbrück hatte kein Drehbuch.
Ein Beispiel?
Steinbrücks Honorar-Geschichte war ja keine Überraschung, Dass dieser Vorwurf kommt, war klar. Die Antworten hätten also längst vorbereitet sein müssen. Die ersten 14 Tage waren nur Aufarbeitung alter Geschichten. Anschließend folgten zwei bis drei nicht sonderlich große Patzer, die in der Summe mit dem Stolperstart dazu führten, dass er ein Pech-und-Pannen-Image bekommen hat. Die Aussagen, zum Beispiel über Berlusconi, hätten nie eine solche Aufmerksamkeit bekommen, wenn nicht vorher schon so viel schiefgelaufen wäre.
Die SPD steht in den Umfragen bei 22 Prozent. Was würden Sie Steinbrück raten?
Man darf nicht wie das Kaninchen auf die Schlange auf die Umfragen starren. Ich habe schon mehrfach erlebt, dass es sich erst in den letzten drei Wochen bewegt hat. 2005 gab es so eine dramatische Wählerverschiebung im Bund, aber auch bei Hannelore Kraft 2010 in NRW. Die Merkel-Strategie ist: Einlullen bis zum Wahltag, möglichst ohne Aufreger. Die Leute bei dem lassen, wo sie heute sind. Steinbrücks Strategie kann daher nicht sein, aus dem vermeintlichen Fehlstart die Konsequenz zu ziehen, erst einmal Ruhe und Ordnung einkehren zu lassen. Die SPD ist jetzt am Zug. Sie muss Merkel auf den Feldern aus der Reserve locken, wo sie ihre Kompetenzen hat.
Wo wäre das genau?
Die Partei muss Wählerschaft und den Kandidaten mit seinen Stärken zusammenbringen. Steinbrück muss ein sozialpolitisches Portfolio vertreten, aber mit wirtschaftspolitischer Vernunft. Er muss klar machen: Die Voraussetzung für ein wirtschaftlich erfolgreiches Deutschland ist ein sozial ausgeglichenes und friedliches Deutschland. Dieser wirtschaftliche Erfolg, der speist sich aus guter Bildung, aus guten Löhnen und aus sozialem Frieden. Vieles, was dazugehört, ist von der SPD schon angelegt, aber die Themen kommen aus meiner Sicht noch zu sehr als Strohfeuer. Mal wird etwas gesetzt und dann wird es wieder fallengelassen. Die SPD gewinnt die Wahl nicht mit Tempolimit, sondern nur mit der Sozialen Marktwirtschaft.
Wie gefällt Ihnen die Strategie: Weg von den Marktplätzen, hin zu Hausbesuchen?
Steinbrück ist ein brillanter Redner und hochintelligenter Erzähler. Es hat ja auch einen Grund, warum in der Vergangenheit so viele Menschen zu seinen Reden gekommen sind. Das Format, in dem er sich am wohlsten fühlt und in dem er seine Stärken am besten ausspielen kann, ist größer als das Wohnzimmer. Wir erleben in beiden Kampagnen gerade den problematischen Versuch, persönliche Defizite zu korrigieren. Bei Merkel sieht man das in Interviews mit Frauenzeitschriften, die sie familiärer und zugänglicher darstellen sollen. Denn Merkel hat das Image der Distanzierten und Unemotionalen. Bei Steinbrücks versucht man es über Wohnzimmerbesuche, um ihn von der Macher-Manager-Seite zu den Leuten zu bringen. Manchmal macht der Versuch, die Schwächen auszubügeln, die Schwächen nur noch sichtbarer.
Wie würden Sie gegen die Kanzlerin Wahlkampf machen?
Es geht nur mit politischen Initiativen, denen sie nichts entgegenzusetzen hat, weil sie das letztendlich gar nicht interessiert. Zum Beispiel das Thema Mieten, die Entwicklung der Nebenkosten, die Umkehr der Maklergebühr. Jeder weiß, wie es ist, mit 30 Mann eine Wohnung zu besichtigen. Das sind simple Dinge, die gut ankommen, die man hochziehen muss. Merkel ist nicht unschlagbar. Mein Lieblingsbeispiel ist Winston Churchill, der unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg seine Wahl verloren hat. Und warum? Weil Labour den Leuten mit bezahlbaren Mieten, höheren Einkommen und sozialer Sicherheit gekommen ist. Da brachte Churchill auch der gewonnene Weltkrieg nichts mehr. Georg Bush hat nach dem gewonnen Irak-Krieg und trotz hoher Popularität die Wahl verloren, weil die Leuten vor den Arbeitsämtern standen und das Gefühl hatten, der kümmert sich nicht. Auch Merkels Kabinett bietet genügend Angriffsfläche. Da passiert nichts, da funktioniert nichts, sie bekämpfen sich sogar gegenseitig. Und wer stellt das Kabinett zusammen? Die Kanzlerin.
Wie sehr hat Sie Donnermeyers Rauswurf überrascht?
Das kam überraschend. Ich glaube, er wollte eine Zäsur machen und die letzten Monate mit neuem Dampf fahren. Die größten Probleme der Kampagne lagen am Anfang, da war Donnermeyer noch gar nicht an Bord. Deshalb kann ich die Vehemenz des Rauschmisses nicht nachvollziehen. Das ginge auch geräuschloser und leiser, deswegen lässt sich darauf schließen, dass da jemand Durchsetzungsfähigkeit demonstrieren wollte.
Geräuschlos wäre also klüger gewesen?
Ja, denn was haben wir für ein Ergebnis? Das Problem ist jetzt, dass der Fokus wieder auf die Probleme der Kampagne gelegt wird. Die Flanke der Union ist weit offen, aber der Angriff auf de Maiziere gerät ins Stocken, weil die SPD mal wieder nur mit sich selbst beschäftigt ist. In das Kampagnenteam bringt die Entscheidung Angst und Lähmung. Sie brauchen ja Leute, die das Gefühl haben, dass man sie nicht gleich schlachtet, wenn man mal einen Fehler macht.
Mit Frank Stauss sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de