Die Frauen und der große Unterschied "Wie in Zement gegossen"
08.03.2011, 01:02 Uhr
Idylle aus den 1950ern: Der Mann am Steuer, die Mutter auf dem Beifahrersitz.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Zum 100. Internationalen Frauentag sind Männer und Frauen noch immer nicht wirklich gleichgestellt. Dies kritisiert Henny Engels, Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, im Gespräch mit n-tv.de. Deutlich zeige sich dies auf dem Arbeitsmarkt, wo Frauen immer noch viel zu selten in Führungspositionen säßen und auch deutlich weniger verdienten. "23 oder 24 Prozent Entgeldunterschied ist nicht von Pappe", so Engels. Sie fordert ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft. Unternehmen zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu bringen, sei "eher etwas aus der Kabarettabteilung". Engels kritisiert aber auch die konservativen Parteien, die "wie zementiert" am Ehegattensplitting festhielten.
n-tv.de: Der jährt sich zum 100. Mal. Ist er überhaupt noch nötig?
Henny Engels: Er ist nötig, weil der Artikel drei im Grundgesetz "Frauen und Männer sind gleichberechtigt" leider nicht dazu geführt hat, dass sie wirklich gleichgestellt sind. Insofern ist es gut, Tage zu haben, wo nochmal die Aufmerksamkeit auf diese Fragestellung fokussiert wird.
Wo sehen Sie denn die größten Defizite bei der Gleichstellung?

Noch immer kommen Frauen nicht ganz so hoch wie ihre männlichen Kollegen.
(Foto: dpa)
Zum einen auf dem Arbeitsmarkt. Frauen haben nach wie vor schlechtere Karrierechancen als Männer. Sie arbeiten überwiegend in Teilzeit, weil ihnen nach traditionellem Rollenverständnis nach wie vor die Familien– und Hausarbeit zugewiesen wird. Aber auch, weil zahlreiche Gesetzesregelungen dieses Modell stützen, zum Beispiel die Besteuerung von Eheleuten. Hier wird die Frau im Grunde dazu eingeladen, als Zuverdienerin tätig zu sein. Das ist das eine.
Und das andere?
Es fehlen die Rahmenbedingungen im Bereich der Kinderbetreuung, so dass Frauen, selbst wenn sie wollen, nicht immer voll arbeiten können. Hinzu kommt: Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer: 23 oder 24 Prozent Entgeldunterschied ist nicht von Pappe. Auch gibt es immer noch kaum Frauen in Aufsichtsräten oder Führungsposition in Wissenschaft und Lehre. Es sind wirklich viele Bereiche, wo Frauen nicht gleichgestellt sind.
Kanzlerin forderte erst kürzlich die Wirtschaft dazu auf, mehr Top-Positionen mit Frauen zu besetzen. Reicht das aus?
Nein. Die Privatwirtschaft braucht ein Gleichstellungsgesetz und auch eine gesetzliche Quote. Die Bilanzierungen zeigen deutlich, dass da im Moment nicht viel geschieht und freiwillige Vereinbarungen zu wenig führen. Unternehmen zu einer freiwilligen Selbstverpflichtung zu bringen, ist eher etwas aus der Kabarettabteilung. Es gibt auch in anderen Bereichen wenig Neigung, freiwilligen Verpflichtungen nachzukommen. Doch nur wenn es um die Frauenquote und Frauenpolitik geht, sagt man: "Man darf die Wirtschaft nicht zwingen."
Und wie sieht es mit Frauen in Top-Positionen in Behörden aus?
Im Öffentlichen Dienst ist die Lage der Frauen besser. Hier gibt es seit den 90er Jahren ein Gleichstellungsgesetz. Aber auch in den Top-Positionen finden Sie Frauen selten. Dabei ist die Demokratie so lange unvollendet, wie Frauen und Männer tatsächlich nicht die gleichen Chancen haben - und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Aber in der Theorie sind die Chancen doch gegeben …
In der Theorie ja, aber die Praxis ist leider anders. Viele sagen natürlich: Das ist eine private Vereinbarung zwischen Männern und Frauen in einer Beziehung, wie sie es mit der Kinderbetreuung regeln. Wir glauben, dass sich in der Bundesrepublik nach wie vor die traditionellen Rollenstereotype gut halten, wie in Zement gegossen da stehen.
Woran zeigt sich das?

Henny Engels ist Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats. Dieser vereint mehr als 50 Frauenverbände und Gruppen, von Businessfrauen bis hin zu den Frauengruppen der Parteien.
Bei der Einführung der Elternzeit gibt es ja die zwei zusätzlichen Monate, die zunächst PartnerInnenmonate, dann Partnermonate und mittlerweile Vätermonate heißen. Das Signal ist eindeutig: Politik und Gesellschaft gehen davon aus, dass selbstverständlich Frauen zugunsten der Kinder aussteigen. Das hat ökonomisch sicher auch gute Gründe bei Familien mit mittlerem Einkommen, aber hier wären Wirtschaft und Politik gefordert, Abhilfe zu schaffen. Und das Nächste rollt ja auf uns zu, wenn zunehmend Menschen pflegebedürftig werden. Da zeigt die Erfahrung jetzt schon , wer da die Auszeit nimmt. Die Männer mit tödlicher Sicherheit nicht.
Länder wie Frankreich oder Skandinavien sind in der Gleichstellung von Frauen wesentlich weiter. Was machen sie anders als Deutschland?
Hier sind die Rollenstereotype besser überwunden worden als in der Bundesrepublik. Sie haben zum Beispiel eine Quote. Sie haben eine sehr viel bessere Infrastruktur, Kindergärten, Kindertageseinrichtungen, und sie haben insbesondere ein anderes gesellschaftliches Klima, eine andere Kultur. Das hier inzwischen zwar auch nicht mehr so oft verwendete Wort "Rabenmutter" gibt es nur in der deutschen Sprache, und wenn es in anderen Ländern verwendet wird, wird es in der deutschen Fassung übernommen.
Warum hält es sich das eigene gesellschaftliche Klima in Deutschland so hartnäckig?
Wenn ich die Frage beantworten könnte, wäre ich Nobelpreisträgerin (lacht)… Es liegt mit Sicherheit auch an einigen gesetzlichen Regelungen. Wenn zum Beispiel die konservativen Parteien wie zementiert an der Beibehaltung des Ehegattensplittings festhalten, dann hat es natürlich finanzielle Konsequenzen. Doch die viel weitreichendere Folge ist, dass hier ein Signal gesendet wird: Der Mann als Familienernährer - das ist das Leitbild. Ich glaube, es gibt kein europäisches Land, das so lange gebraucht hat, um Frauen in ehelichen Partnerschaften die Freiheiten zu schaffen, die ihnen als erwachsene Menschen zustehen.
Aber liegt es nicht auch an den Frauen selbst, dass sie oft freiwillig auf Karriere verzichten?
Natürlich sind Frauen da mitbeteiligt. Es mag aber auch sein, dass es eine Erwartungserwartung gibt nach dem Motto: "Was erwarte ich, dass die Gesellschaft von mir erwartet?" Viele Frauen wollen sicher gerne selbst bei den Kindern bleiben, wenn diese klein sind. Andererseits können sie sich auch sicher sein, dass die Gesellschaft es von ihnen erwartet. Umgekehrt stehen Männer der Erwartung gegenüber, dass - egal in welchem Beruf sie arbeiten - die Arbeit das Zentrale in ihrem Leben zu sein hat. Hausmänner genießen ja auch keinen besonders guten Ruf in diesem Land.
Liegt der Grundstein für dieses Rollenverständnis nicht schon in der Erziehung?

Schon die Rechenaufgaben sind nicht immer gleich.
(Foto: picture alliance / dpa)
Ja klar, sowohl in der häuslichen als aber auch in der schulischen. Wenn es in den 3. und 4. Klassen ein Rechenbuch für Mädchen und eins für Jungen gibt, dann werden deutliche Signale ausgesandt. Und in den Textaufgaben im Mathematikunterricht kauft immer noch der Vater das Auto und die Mutter die Gurken. Da wird etwas zugrunde gelegt, was sich später auswirkt. Gewiss, es gibt Veränderungen bei jungen Frauen - nur ist es für sie ganz schwer, in den Bedingungen, die sie vorfinden, ihren eigenen Wünschen entsprechend zu leben.
Was wünschen Sie sich für das nächste große Jubiläum, den 150. Frauentag?
Man wird ja bescheiden. Die Soziologin Christa Wicherich hat einmal ausgerechnet, dass wenn es so weitergeht wie bisher, wir bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern noch 450 Jahre brauchen. Ich hoffe doch, dass es nicht so lange dauert. Dass wir auch nicht mehr 50 Jahre warten müssen, sondern nur 10 oder 20 Jahre, bis wir die Quote in den Aufsichtsräten haben und die Rahmenbedingungen, damit Männer und Frauen wirklich frei entscheiden können, wie viel sie arbeiten wollen. Dass Frauen Löhne und Entgelte verdienen, die tatsächlich existenzsichernd sind.
Mit Henny Engels sprach Gudula Hörr
Quelle: ntv.de