Person der Woche Ein Papst des Frühlings
22.04.2014, 10:38 Uhr
Papst Franziskus erobert über Ostern wieder die Herzen von Millionen - mit seiner entwaffnenden Bescheidenheit und Offenheit. Sein Stil wird die Kirche verändern. In Rom macht nun das Wort vom "Kirchenfrühling" die Runde.
Dieser Papst überrascht. Statt der üblichen Ostergrüße in Dutzenden Sprachen wünscht er nur fröhlich ein "gutes Mittagessen". Und statt traditionell mit Priestern Gründonnerstag zu begehen, vollzieht Franziskus seine Demutsgeste an zwölf Behinderten - darunter (was für ein Signal!) einem Muslim aus Libyen. Er wäscht ihnen die Füße und küsst sie. Damit erinnert er an die Geste Jesu beim letzten Abendmahl. "Wir müssen einander dienen", sagt der Pontifex in seiner kurzen Predigt. Diener in Liebe zu sein sei ein Erbe Jesu, jeder solle in seinem Herzen an die anderen denken. Und für sich bescheiden sein.
Das Bescheidene lebt er mit gutem Beispiel vor. Er trägt das Brustkreuz aus Eisen anstatt aus Edelmetall, sein Ring ist nicht mehr aus Gold und schwarze Alltagslatschen ersetzen päpstlich-rote Schuhe. Große Dienstwagen sind abgeschafft, schillernde Gewänder und diamantenbesetzte Kelche auch. Aller Prunk ist im fremd, die Glitzer-Welt des Vatikans weicht der Ordens-Askese. Sein Name des Armutspredigers ist Programm. Franziskus lebt nicht einmal im Apostolischen Palast, wo seit dem Hochmittelalter alle Päpste wohnen. Ihm ist das zwei Nummern zu groß. Er wohnt lieber im Gästehaus des Vatikan auf kleinem Raum.
Die vielen kleinen Gesten der Bescheidenheit prägen inzwischen sein Gesamtbild und machen ihn weltweit beliebt. Franziskus ist in nur einem Jahr zu einer globalen Popfigur der Entsagung geworden. Seine Unmittelbarkeit und Herzlichkeit wirken so empathisch, dass selbst giftige Kirchenhasser ihm Respekt zollen. Dieser Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien ist nicht nur der erste Lateinamerikaner und der erste Jesuit in diesem Amt. Er ist eben auch der erste Franziskus. Und also lautet sein Programm: Ich möchte eine lebhafte, unmittelbare Kirche, die die Theorie der Nächstenliebe mit der Praxis eint.
Keine neue Ikone der Linken
Und weil er immer wieder an die Armen erinnert und an die geschundene Natur, wird er von Sozial- und Ökobewegten sowie Linken schon als ihre neue Ikone gefeiert. Doch sie täuschen sich. Die eigentliche Revolution dieses Papstes wird nicht in einer neuen sozialen oder ökologischen Perspektive der Kirche liegen. Die war schon immer zentraler Baustein christlicher Aktion.
Franziskus könnte die katholische Kirche dagegen spirituell stärker verändern als man ahnt. Er revitalisiert das, was Kirche im innersten ausmacht: das Herz. Während Papst Johannes Paul II. das Prinzip Seele verkörperte, Papst Benedikt dann ein Pontifikat des Verstandes lebte, so ist Franziskus der Papst der Herzen. Ein Papst, der spontan ist, auf die Menschen zugeht, sie umarmt und fröhlich mit der Begeisterung seines Glaubens ansteckt.
Dass er nebenbei ein paar alte Zöpfe der zeremoniösen Amtskirche abschneidet, wird in protestantischen Kreisen gelobt, in orthodoxen Zirkeln dagegen wird das eher kritisch beäugt - doch entscheidend ist das nicht. Hinter den formalen Lockerungsübungen steht etwas Größeres, die Wieder-Öffnung der Kirche zu ihrer "frohen Botschaft". Da die einhergeht mit Teilhabe, Transparenz und Toleranz entfaltet es eine revolutionäre Kraft. Darum kursieren neuerdings Revolutionsmetaphern im Vatikan: "Papastroika", "Franzische-Revolution" und "Römischer Frühling".
"Liebe Brüder, los!"
Tatsächlich darf man nicht übersehen: Franziskus spielte kurz nach seiner Wahl mit dem Gedanken, sich Johannes XXIV. zu nennen, in Erinnerung an Johannes XXIII., den Reformpapst des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das heißt, er hat tatsächlich eine reformatorische Mission. Ihm geht es nicht um Links-Rechts-Fragen der Sozialpolitik, ihm geht es auch nicht um zarte Liberalisierungen nach der neo-konservativen Phase der Kirche. Er will die umfassende Redefinition von Kirche als eine Bewegung des Herzens. So rief Franziskus das Kardinalskollegium im Apostolischen Palast mit einem entwaffnenden "Liebe Brüder, los!" zur brüderlichen, geeinten Verkündigung des Evangeliums auf: "Die christliche Wahrheit ist anziehend und gewinnend, denn sie antwortet auf die tiefen Bedürfnisse des menschlichen Daseins."
Insofern ist das Asketische, Offensive und Fröhliche dieses Papstes kein Politikum - es ist ein Theologikum. Er stellt ganz bewusst den Volksaltar wieder in der Sixtinischen Kapelle auf und feiert die Messe zur Gemeinde gewandt, er spricht und scherzt hernach mit Messbesuchern. Er ruft schon mal per Telefon Briefschreiber an, besucht Obdachlose und umarmt minutenlang einen unheilbar an Neurofibromatose leidenden Mann.
Franziskus kürzt zugleich Zahlungen und Apanagen an Funktionäre, er entlässt den korruptionsverdächtigen Leiter der Güterverwaltung und reformiert die Vatikanbank radikal. Außerdem beendet er die wuchernde Vergabe päpstlicher Ehrentitel. Zudem kündigt er die Ernennung eines "Generalrevisors" an, der die Rechnungsprüfung des Wirtschaftsrates durchzuführen habe.
Heftiger Klartext
Das alles folgt einem Plan, denn Franziskus kritisiert mit einer atemraubenden Offenheit "kirchliche Selbstbezogenheit" und "theologischen Narzissmus". Die Kirche habe vor allem das Evangelium zu verkündigen. Die Evangelisierung verlange "apostolischen Eifer" und "kühne Redefreiheit". Er fordert, dass die Kirche "aus sich selbst herausgeht" bis an die "Grenzen menschlicher Existenz": "die des Mysteriums der Sünde, des Schmerzes, der Ungerechtigkeit, der Ignoranz, der fehlenden religiösen Praxis, des Denkens und jeglichen Elends". Eine egozentrische Kirche beanspruche "Jesus für ihr Eigenleben und lässt ihn nicht nach außen treten". Eine Kirche, die glaube, dass sie schon das eigentliche Licht sei, höre auf, "das Geheimnis des Lichts" zu sein und lebe nur noch, "um die einen oder anderen zu beweihräuchern". Das ist ziemlich heftiger Klartext, für einen Papst geradezu programmatisch zur Revolution von oben.
Franziskus meint es also Ernst mit dem Neubeginn. Er redet darüber so offen wie der historische Franz von Assisi. Die Gläubigen wollten Hirten, keine "Funktionäre oder Staatskleriker". Das neue Kirchenjahr dürfte für die Katholiken noch einiges an Überraschungen bieten. Denn Franziskus will Fenster und Türen aufreißen und die Kurie durchlüften. Er betrachtet das Zölibat nicht als Glaubensartikel, sondern als untergeordnete Norm. Auch Fragen der Sexualmoral würden überbewertet. Er will die Rolle der Frauen in der Kirche stärken und einen fröhlich-offensiven Katholizismus in die Welt tragen, Nächstenliebe nicht nur denkbar sondern fühlbar machen. Theorie und Praxis sollen wieder eins werden. Der Frühling hat gerade erst begonnen.
Quelle: ntv.de