TTIP-Verhandlungen Geheim ist gut
03.05.2016, 07:54 Uhr
(Foto: REUTERS)
Die Aufregung über die Dokumente zu den TTIP-Gesprächen ist absurd. Der Demokratie wäre auch mit geheimen Verhandlungen Genüge getan.
Skandal! Die USA stellen bei den Verhandlungen zum Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP Forderungen im Interesse ihrer Industrie! Perfiderweise verlangen die Amis ausgerechnet für die Handelserleichterungen, die den Europäern am liebsten wären, besonders viel Entgegenkommen. Im Gegenzug etwa für eine sehr weitgehende Öffnung des US-Marktes für europäische Autos will man in Washington besseren Marktzugang für die US-amerikanische Agrarindustrie und ihr Genfood. Erpressung!, rufen empörte deutsche Politiker, Umwelt- und Verbraucherschützer. Die USA setzten Europa die Pistole auf die Brust, heißt es. So ein Blödsinn.
Was nun öffentlich geworden ist, ist eine Momentaufnahme eines Feilschens in inzwischen 13 Runden um einen Kompromiss bei einem komplexen Thema zwischen zwei Verhandlungspartnern. Jede Seite nennt ihre Maximalforderungen und versucht, sich selbst möglichst wenig zu bewegen. Das ist kein Skandal, sondern der natürliche Ablauf von Verhandlungen: Tarifverhandlungen, Koalitionsverhandlungen sowie Kaufverhandlungen für Gebrauchtwagen und - Berichten zufolge - Kamele laufen nach diesem Muster ab.
Die nun heiß diskutierten Verhandlungspositionen der USA zu Themen wie Lebensmittel, Schiedsgerichte und regulatorische Zusammenarbeit sind für Europa problematisch bis völlig inakzeptabel. Doch dass Washington diese Wünsche nachdrücklich äußert und dass diese Verhandlungen geheim ablaufen, ist kein Skandal und schon gar nicht undemokratisch, wie oft behauptet wird. Entscheidend für ein demokratisches Abkommen ist, dass der Vertragsentwurf am Ende öffentlich debattiert und von den gewählten Parlamenten ratifiziert wird.
Die USA und die EU sind gleich starke und gleichberechtigte Handels- und Verhandlungspartner. Anders als dutzende Entwicklungsländer, die von der EU mit deren Wirtschaftsmacht tatsächlich gezwungen wurden, sogenannte Wirtschaftspartnerschaften zu unterschreiben, die vor allem europäischen Interessen dienen, sind die Europäer keineswegs abhängiger von den USA als umgekehrt. Begriffe wie "Erpressung" sind im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Forderungen bei TTIP absurd.
Anders als vielfach behauptet, haben keineswegs nur Wirtschaftslobbyisten Einfluss auf den Fortgang der Verhandlungen. Die derzeitige öffentliche Debatte, die Positionen von Verbraucher- und Umweltschützern spielen auch bei vertraulichen Verhandlungen eine entscheidende Rolle. Die Unterhändler haben kein Interesse, am Ende ein Papier vorzulegen, das unter dem Druck der Öffentlichkeit von den zuständigen Parlamentariern auf der einen oder anderen Seite zurückgewiesen würde.
Das Ergebnis ist entscheidend
Um unseren Unterhändlern deutlich zu machen, wo die Grenzen für Kompromisse liegen, nützt der Einblick in die nun veröffentlichten Dokumente nichts. Sie enthalten lediglich aktuelle, taktische Forderungen im Verhandlungspoker und kaum Hinweise auf mögliche Kompromisslinien. Zumal das entscheidende Finale des Feilschens noch gar nicht begonnen hat.
Die nun ablaufende öffentliche Diskussion über den Verhandlungsstand hat im Vergleich zu einer Debatte über ein fertiges Abkommen inklusive - geheim ausgehandelter - schmerzhafter Kompromisse keinen Vorteil. Im Gegenteil: Alle Politiker erklären nun öffentlich, was sie alles auf keinen Fall akzeptieren würden. Die Sicht auf mögliche Kompromisse wird eher vernebelt. Ohne solche wird es aber auch keine massiven Exporterleichterungen für unsere Unternehmen geben.
Es gibt gute Gründe, einige der amerikanischen Forderungen zurückzuweisen. Um etwa die Einfuhr von US-Genfood nach Europa zu blockieren, ist es aber nicht hilfreich, dass die Öffentlichkeit bei jeder Verhandlungsrunde mit am Tisch sitzt und Verbraucher- und Umweltschützer den europäischen Unterhändlern auf dem Schoß. Wenn uns als besorgte Mehrheit in Deutschland dieser Punkt wichtig ist, müssen wir das unseren Abgeordneten in Brüssel und Berlin klarmachen, die am Ende den Deal absegnen oder verwerfen müssen.
Wenn die Parlamentarier diese Position übernehmen, hat das Auswirkungen auf die Verhandlungsführung. Dass dieses System funktioniert, zeigt zum Beispiel, dass die EU-Kommission ihre Position bei den umstrittenen Schiedsgerichten angepasst hat, sobald klar war, dass ein Beharren auf dem ursprünglichen Modell die Ratifizierung des Gesamtpakets gefährden würde.
Dass nun aus den Greenpeace-Papieren hervorgeht, die USA seien auf den neuen EU-Vorschlag zum Thema Schiedsgerichte nicht eingegangen, zeigt nur, wie wenig sinnvoll es ist, über jeden Zwischenstand des Gefeilsches öffentlich zu diskutieren. Dass die Amerikaner zunächst kühl auf die EU-Position reagiert haben und wahrscheinlich für ein eventuelles Einlenken in diesem Punkt Gegenleistungen fordern werden, liegt in der Natur von Verhandlungen. Zum Skandal taugt das wohl kaum.
Quelle: ntv.de