Preise sinken Tokio ruft Deflation aus
20.11.2009, 07:29 UhrJetzt ist es offiziell: Japan steckt nach Auffassung der Regierung erstmals seit dreieinhalb Jahren wieder in einer Phase dauerhaft fallender Preise. Die Konsumenten halten trotz des sinkende Preisniveaus ihr Geld zusammen. Für die Unternehmensgewinne und Arbeitsplätze ist das bedrohlich.
Er sei zu der Erkenntnis gekommen, dass sich das Land in einer Deflation befinde, sagte der stellvertretende Regierungschef Naoto Kan nach einer Kabinettssitzung. Er sei sehr besorgt, sagte auch Finanzminister Hirohisa Fujii. "Wir sind uns der ernsten Risiken bewusst", wurde Fuji zitiert. Weiter fallende Preise könnten die von der weltweiten Rezession mitgenommene Wirtschaft des Landes zusätzlich belasteten, erklärte die Regierung in ihrem Monatsbericht.
Sie forderte die Bank of Japan (BoJ) dazu auf, "angemessene" Gegenmaßnahmen zu treffen, was den Streit zwischen Regierung und Notenbank weiter anheizte. Die BoJ setzte sich gegen den politischen Druck umgehend zur Wehr. "Grund für den dauerhaften Preisverfall ist die mangelnde Nachfrage", sagte Notenbankchef Masaaki Shirakawa. Er werde alles tun, um Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. "Aber wenn die Nachfrage an sich schwach ist, werden die Preise nicht steigen, nur weil genügend Liquidität bereitgestellt wird."
"Geldpolitik ist der Lebenssaft"
Finanzminister Hirohisa Fuji forderte die BoJ dazu auf, ihren Leitzins niedrig zu halten, um mit billigem Geld die Nachfrage von Unternehmen und Verbrauchern anzukurbeln. "Die Geldpolitik ist entscheidend. Sie ist so etwas wie der Lebenssaft einer Volkswirtschaft", sagte Fuji. "Deshalb möchte ich, dass die BoJ angemessen reagiert." Geschäftsbanken können sich bei der BoJ fast zum Nulltarif Geld leihen. Die Notenbank beließ ihren Leitzins am Freitag bei 0,1 Prozent, in der Euro-Zone beträgt er 1,0 Prozent. Die BoJ kündigte zugleich an, ihre Politik des billigen Geldes auch fortzusetzen.
Trotz der Niedrigzinspolitik waren an den Märkten die Zinsen für Anleihen spürbar gestiegen. Grund dafür ist die enorme Staatsverschuldung Japans. Sie ist doppelt so hoch wie die jährliche Wirtschaftsleistung - keine andere Industrienation ist derart verschuldet. Investoren verlangen deshalb einen Risikoaufschlag. Dadurch müssen auch Unternehmen für ihre Anleihen höhere Zinsen zahlen, was Investitionen verteuert.
BoJ soll Anleihen aufkaufen
Experten erwarten, dass die Regierung den Druck auf die Notenbanken erhöhen wird, stärker als bisher Staats- und Unternehmensanleihen aufzukaufen und so den Zinsanstieg zu bremsen. "Mit dem Ausrufen einer Deflation versucht die Regierung die Notenbank davon zu überzeugen, dass sie etwas tun muss", sagte der Chefvolkswirt des Forschungsinstituts Norinchukin, Takeshi Minami. Die BoJ kauft jährlich für etwa 163 Mrd. Euro Staatsanleihen auf.
Dank steigender Exporte hatte sich die japanische Wirtschaft zuletzt von der schwersten Rezession der Nachkriegszeit erholt. Vor allem in Asien - dem wichtigsten Exportmarkt - zog die Nachfrage an. Der private Konsum blieb dagegen schwach, auch wegen der vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit. Die japanische Wirtschaft hatte im dritten Quartal mit 1,2 Prozent das stärkste Wachstum seit mehr als zwei Jahren geschafft. Dazu trug auch das milliardenschwere Konjunkturprogramm bei, das die Regierung nun noch einmal aufstocken will.
Preisverfall fatal für die Wirtschaft
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet kein schnelles Ende der Deflation. Nach ihren Prognosen werden die Verbraucherpreise in diesem Jahr um 1,2 Prozent, 2010 um 0,9 Prozent und 2011 noch einmal um 0,5 Prozent fallen. Was Verbraucher freut, hat für die Wirtschaft verheerende Folgen: Umsatz und Gewinne der Unternehmen brechen ein, Investitionen werden zurückgestellt, Stellen abgebaut. Verbraucher scheuen dann erst recht größere Anschaffungen, wodurch sich der Preisverfall beschleunigt. Japan steckte zuletzt von 2001 bis 2006 in einer Deflation.
Zuletzt hatte sich die zweitgrößte Volkswirtschaft zwischen März 2001 und Juni 2006 in einer Phase dauerhaft fallender Preise befunden. Mit fiskalpolitischen Maßnahmen wie höheren öffentlichen Ausgaben allein sei der Trend fallender Preise nicht umzukehren, sagte Fuji. Impulse müssten vielmehr vom Privatsektor aus kommen.
Quelle: ntv.de, ddi/dpa/rts