Kolumnen

Inside Wall Street Was fressen eigentlich Bullen?

(Foto: REUTERS)

Was ein richtiger Börsenbulle ist, der findet selbst in schwindelerregenden Höhen genug Futter, um an immer neue Rekordstände zu glauben. Dass die Wall Street sich schon lange von der Konjunktur verabschiedet hat, wird dem Allesfresser deshalb auch erst aufstoßen, wenn es zu spät ist.

Die Blue Chips notieren seit letzter Woche stabil über der 15.000-Punkte-Marke - in solchen Höhen ist normalerweise dünne Luft. Doch schwindlig wird hier niemandem. Im Gegenteil: Die Bullen wollen weiter rauf, neue Höhen erobern, terra incognita. Die Nahrung scheint ihnen auf dem steilen Weg nach oben nicht auszugehen – das mag daran liegen, dass diese Bullen alles fressen, was irgendwie gut riecht.

Tatsächlich gibt es für die Optimisten an der Wall Street zur Zeit ein veritables Buffet guter Nachrichten, aus dem sie sich jeden Morgen aufs Neue ein köstliches Mahl zusammenstellen können. Dabei mag der Hauptgang immer der gleiche sein: News von der Notenbank. Dass die den Markt mit ihrer Niedrigzinspolitik fast im Alleingang stützt, ist weithin bekannt. Die Banken leihen sich Geld zum Nulltarif, aber sie verleihen es nicht weiter. Viel lieber investieren sie es gewinnbringend am Aktienmarkt. Mit Erfolg. Solange die Fed ihren aktuellen Kurs weiterfährt, ist die Rallye an der Wall Street nicht in Gefahr.

Und es wird auch noch eine Zeit lang dauern, bis die Fed umsteuert. Zur Zeit hält man das Ruder ja nicht einmal in der Hand. Vielmehr schippert der Kahn der Notenbank per Autopilot, und das wird er auch noch tun, bis die Arbeitslosenquote unter 6,5 Prozent gefallen ist. Das wird noch mindestens ein Jahr dauern, obwohl sich seit geraumer Zeit am Arbeitsmarkt eine Erholung abzeichnet. Ob es die (zugegebenermaßen volatilen) wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung sind oder die etwas zuverlässigere Zahl der neuen Stellen im monatlichen Report aus Washington: Meist wird ein positiver Trend bestätigt. Das sind gute Nachrichten für die Wall Street, solange der Trend nicht zu gut wird.

Europas Schuldenkrise gut verdaut

Was liegt noch auf dem Bullen-Buffet? Außer dem von der Fed servierten Hauptgang liegen da Häppchen europäischer Küche. Will heißen: Ein Blick über den großen Teich lässt Anleger in New York nicht mehr zittern. Der ärgste Teil der Eurokrise scheint ausgestanden zu sein. Italien, Griechenland, Zypern ... davon hat man seit Wochen nicht gehört. Und obwohl einige Zyniker in der Euro-Schwäche ein Stück potenzieller Dollar-Stärke sahen, geben doch die meisten Experten im Finanzviertel New Yorks zu, dass ein Euro in der Krise für den globalen Handel keine Vorteile haben und letztlich auch den USA schaden würde.

Auch für die Freunde der klassischen Aktienbewertung ist auf dem Bullen-Buffet gesorgt. Ein Blick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis im marktbreiten S&P-500-Index zeigt etwa, dass trotz der phänomenalen Rallye der letzten Jahre die einzelnen Werte gar nicht so absurd bewertet sind, wie man vielleicht fürchtet. Für den gesamten Index liegt das KGV bei rund 18 – keineswegs historisch, denn seit 1990 war eigentlich konstant ein Wert zwischen 20 und 25 zu messen.

Man sieht: Auch für den hungrigsten Bullen gibt es in den Rekordhöhen des Dow noch genug zu essen. Zumal auch die Beilagen nicht ausgehen. Eine Spur grenzenloser Optimismus wird von Analysten gerne dargereicht, die etwa Waren Buffet zitieren, "niemals gegen Amerika" zu wetten. Oder darf's ein Löffelchen vom Immobilienmarkt sein? Auch der stabilisiert sich langsam, aber sicher und macht optimistischen Anlegern Laune.

Schwere Kost strapaziert empfindliche Mägen

Auf dem Dessertbuffet liegen schließlich die kleinen Nachrichten, die tagtäglich auf das Börsenparkett kommen. Mal ist es ein überraschender Profit für Tesla, eine erfolgreicher Merger oder der Index der mittelständischen Unternehmen, deren Aussichten für das laufende Jahr sich gegenüber der letzten Lesung deutlich verbessert haben.

Fazit: Die Bullen an der Wall Street verhungern nicht. Sie fressen, sie werden dick ... aber gesund ist ihre Diät nicht. Allesfresser brauchen einen starken Magen. Anleger müssen erst einmal wegstecken, dass sich die Wall Street komplett von der Konjunktur verabschiedet hat, dass die Blue Chips nicht widerspiegeln, wie es im Land aussieht. Wer darüber nicht hinwegkommt, der hat in den letzten Jahren eine Menge Geld verloren und wird wohl auch noch weiter verlieren – dafür wird er wohl von den Bauchschmerzen verschont bleiben, wenn den Bullen eines Tages das Buffet der letzten Jahre aufstößt.

Quelle: ntv.de

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