Stefan Riße Von Japanern und Franzosen
22.10.2010, 10:17 UhrWann immer die eine Fraktion der Wirtschaftsexperten auf die mit der Ausweitung der Staatschulden einhergehende Inflationsgefahr hinweist, hält ihr die andere Fraktion das Beispiel Japan entgegen. Dieses liefere schließlich den Beweis dafür, dass die Ausdehnung von Staatsschulden und Geldmenge nicht automatisch zu mehr Inflation führe.
Dieses Argument ist in der Tat schwer bis gar nicht zu entkräften. Trotz einer seit Jahren stattfindenden Ausweitung von Staatsverschuldung und Geldmenge sowie Leitzinsen von Null oder nahe Null Prozent, bewegt sich die japanische Wirtschaft ständig in oder am Rande der Deflation. Dies ist der Grund für die immer neuen Konjunkturpakete, die seitens der Regierung in Tokio aufgelegt werden. Zu einem selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung ist es dennoch bis heute nicht gekommen.
Droht nun den westlichen Industrieländern ein ähnliches Szenario? Die Inflationsgefahren verneinende Fraktion meint: Ja. Auslöser der japanischen Krise, die 1990 ihren Lauf nahme, sei schließlich auch eine geplatzte Immobilienblase gewesen, sowie wir es nun in den USA aber auch einigen europäischen Ländern erlebt hätten.
Ist die Inflationsgefahr also nur ein Hirngespinst einiger Experten, meine Person eingeschlossen? Dem reinen ökonomischen Datenkranz zufolge: Ja. Doch hier stößt die wissenschaftliche Ökonomie an ihre Grenzen, weil sie kulturelle Unterschiede und Faktoren wie Mentalität und Psychologie nicht berücksichtigen kann. Und deshalb taugt das japanische Beispiel eben auch nur bedingt als Blaupause für Europa und die USA. Nirgendwo ist dies derzeit besser zu beobachten als auf den Straßen in Paris. Weil die Sarkozy-Regierung das Rentenalter von 60 auf 62 Jahre anheben will, sind die Studenten auf der Straße, fliegen Steine, brennen Autos, und blockieren von Gewerkschaften aufgestachelte LKW-Fahrer Straßen und Tanklager. Ganze Teile der französischen Wirtschaft waren in den vergangenen Tagen faktisch lahm gelegt. So etwas wäre selbst hierzulande kaum denkbar, in Japan hingegen unvorstellbar. Und das hat keinerlei ökonomische, sondern rein kulturelle Gründe. Die Franzosen sind das Volk der Revolutionäre, und wenn ihnen etwas nicht passt, dann sind sie auf der Straße. Hat sich der einstige Sturm auf die Bastille letztendlich doch als Erfolg erwiesen.
Der Japaner hingen hat sein Schwert, das er jedoch nicht gegen andere erhebt, sondern – wenn heute zumeist zwar nur im übertragenen Sinn – sich selbst durch den Leib schiebt, wenn Leid und Scham zu unerträglich werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Japaner demonstriert nicht. Er erträgt in Demut und rechnet sein Unglück in erster Linie sich selbst zu. Deshalb konnte die japanische Wirtschaft auch jahrelange diesen zermürbenden Prozess durchlaufen. Das wird in Europa und auch in den USA aber nicht gehen. Regierungen, die diese Politik verfolgen, werden abgewählt werden, bevor ihre Sparmaßnahmen zur Gesundung der Wirtschaft führen können. Der jüngst reformierte Stabilitätspakt wird sich als stumpfes Schwert erweisen. Wenn das Problem der Arbeitslosigkeit in einigen Ländern weiter zunimmt, wird man auch in Europa wieder auf die Notenpresse setzen, wie dies in den USA schon längst Gang und Gebe ist. Dass dies nicht automatisch zu mehr Inflation führt, beweist das Beispiel Japan zwar, doch der Umkehrschluss, dass es keinesfalls zu Inflation führt, ist nicht zulässig. Es darf nicht vergessen werden, dass die vergangenen zwei Jahrzehnte, in denen sich Japan immer wieder in der Rezession befand, Jahre waren, in denen Rohstoffpreise nicht gestiegen, sondern eher gefallen sind. Bedingt durch die Globalisierung und die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer, gab es zudem permanenten Druck auf die Löhne. Ein sonst wichtiger Inflationsfaktor wirkte insofern eher deflationär. Dies hat sich zum Teil aber schon geändert, in Bezug auf die Rohstoffpreise, wie auch auf die Löhne, die in China zuletzt mächtig gestiegen sind.
Und am Ende hilft bei der Beantwortung der Frage auch der gesunde Menschenverstand. Denn wenn immer mehr Schulden und mehr Geldmenge nicht zu Inflation führen, dann sollte man das Geld einfach aus Helikoptern herab regnen lassen, wie es einst US-Notenbankchef Ben Bernanke vorschlug. Wirtschaftliche Probleme würden dann der Vergangenheit angehören. Spätestens hier wird klar, dass es so einfach eben doch nicht gehen kann.
Stefan Riße ist Deutschlandchef und Chefstratege von CMC Markets. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv. Sein aktuelles Buch "Die Inflation kommt", war in den Bestsellerlisten 2010 ganz oben.
Quelle: ntv.de