Deutschland? Nein, aber … Das sind die großen ESC-Favoriten 2024
07.05.2024, 15:41 Uhr Artikel anhören
Dürfte in Malmö gute Cancen haben: Angelina Mango aus Italien (M.).
(Foto: Corinne Cumming / EBU)
Beim Eurovision Song Contest in Malmö steht das erste Halbfinale bevor. Über die Favoriten in diesem Jahr wird unterdessen schon seit Wochen spekuliert. Wer hat das Zeug, sich die Gesangskrone 2024 aufzusetzen? Und wie ist das jetzt mit Isaak, "Always On The Run" und Deutschland?
Mit dem ersten Halbfinale am Dienstagabend strebt der 68. Eurovision Song Contest (ESC) seinem ersten Höhepunkt entgegen. Doch das Vorspiel zu der Show in Malmö ist längst in vollem Gange. Seit Wochen, wenn nicht sogar bereits seit Monaten, wird spekuliert und gefachsimpelt, wer das Rennen machen und sich am Ende die Gesangskrone aufsetzen könnte.
An Gradmessern für den potenziellen Erfolg oder Misserfolg der einzelnen Beiträge mangelt es wahrlich nicht. Gerne werden die Wettquoten bei verschiedenen Buchmachern zitiert, um zu prognostizieren, wer oder was beim ESC heiß oder scheiß ist. Mögliche Hinweise liefern auch die Google-Suchtrends nach den einzelnen Acts oder die Auswertung bestimmter Fan-Foren. Oder ist entscheidend, welche Lieder vorab bei Spotify am häufigsten gestreamt wurden? Fehlt eigentlich nur noch, dass die leider bereits verstorbene Orakel-Krake Paul der Fußball-WM 2010 noch einmal reanimiert und befragt wird.
Doch egal, welche Quelle man nun zurate zieht: Ein paar Länder, Interpreten und Songs tauchen nahezu durchgängig immer wieder auf. Demzufolge kristallisiert sich durchaus eine Handvoll an Favoriten heraus.
Italien: Angelina Mango - "La Noia"
Angelina Mango stammt aus einer Musikerfamilie, schaffte ihren eigenen Durchbruch aber mit der Teilnahme an einer italienischen Castingshow. Seither geht sie in ihrem Heimatland durch die Decke - mit ihren 23 Jahren hat sie etwa bereits vier Platinalben im Schrank stehen. Doch Mango hat noch ein weiteres Pfund, mit dem sie in der heutigen Zeit kräftig wuchern kann: eine massive Fanbase in sozialen Netzwerken wie Instagram und TikTok.
Rockten bereits Måneskin bei ihrem Sieg für Italien den ESC 2021 in Grund und Boden, hat auch Mangos Lied "La Noia" so gar nichts von einem italienischen Schmachtfetzen. Stattdessen rührt die Sängerin aus Rap und Cumbia-Rhythmen einen Popsong zusammen, bei dem es schwerfällt, nicht mitzuwippen. Übrigens: Die Zöpfe, die Mango im zugehörigen Musikvideo auch schon mal zum Trocknen aufhängt, sind nicht echt. Darüber sollte die Sängerin, die als Vertreterin des "Big 5"-Staates Italien automatisch für das ESC-Finale gesetzt ist, also schon mal nicht stolpern.
Im Text von "La Noia" sagt Mango allen Schnarchzapfen den Kampf an: "Ich feiere eine Party, denn das ist der einzige Weg, um die Langeweile zu stoppen", heißt es da. Gut möglich, dass das ESC-Publikum bei ihr hellwach wird.
Schweiz: Nemo - "The Code"
Nach Platz vier des ehemaligen "Deutschland sucht den Superstar"-Gewinners Luca Hänni 2019 und einem weiteren dritten Platz 2021 fand sich die Schweiz zuletzt beim ESC in der hinteren Tabellenhälfte wieder. Doch das dürfte sich in diesem Jahr definitiv ändern. Darauf, dass die Eidgenossen in Malmö sehr weit vorn landen dürften, deuten wirklich sämtliche Prognosen hin. Und das, obwohl oder gerade weil die Schweiz ein Gender-Ausrufezeichen setzt.
So charakterisiert sich Nemo mit dem Song "The Code" als nichtbinäre Person, die bei der Ansprache das geschlechtsneutrale "they/them" bevorzugt. Ganz exklusiv ist dies beim diesjährigen ESC allerdings nicht. Auch Irland schickt mit Bambie Thug einen nichtbinären Act ins Rennen. Im Musikvideo zu "The Code" wechselt Nemo die Klamotten beinahe so oft wie die Stimmlage. Da verweben sich Musical-Klänge, Rap und operettenhafter Gesang zu einer wilden Mixtur, die am Ende dennoch irgendwie äußerst stimmig daherkommt.
Nach der Veröffentlichung einer ersten EP 2015 ist Nemo im Musikzirkus nicht ganz neu. "Ich bin in die Hölle und zurück, um mich in die Spur zu bringen. Ich habe den Code geknackt", heißt es im ESC-Song aber wohl nicht mit Blick auf die Popstar-Karriere. Vielmehr geht es in Nemos Texten häufig um Themen wie Gender-Identität, mentale Gesundheit oder die Suche nach dem richtigen Platz im Leben.
Ukraine: Alyona Alyona & Jerry Heil - "Teresa & Maria"
Wird die Ukraine zu den Favoriten gezählt, mögen manche dahinter reflexartig einen Solidaritätsbonus für das von Russland überfallene Land vermuten. Doch derartig monokausal ist es im Falle des diesjährigen Beitrags von Alyona Alyona & Jerry Heil nicht. Vielmehr hat das ungleiche Duo mit "Teresa & Maria" einen Song im Repertoire, der rein musikalisch so heraussticht, dass er in Malmö weit vorn mitspielen könnte.
Auch hier werden wieder einmal zwei unterschiedliche Stile miteinander verwoben. Ein von einem schwermütigen Beat getragener Popsong trifft auf einen ausgedehnten Rap-Part, der sich hinter den Sprechgesang-Künsten von Kalush Orchestra, die 2022 den ESC-Sieg für die Ukraine holten, nicht zu verstecken braucht. Waren Alyona Alyona und Jerry Heil bislang jeweils für sich in ihrer Heimat erfolgreich, taten sie sich für "Teresa & Maria" erstmals zusammen.
Natürlich vermittelt das Lied gemäß den ESC-Regularien keine eindeutige politische Botschaft. Aber zwischen den Zeilen, in denen es nur vordergründig um Mutter Teresa und die Jesus-Mutter Maria geht, lässt sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs dann doch viel hineininterpretieren. Jerry Heil drückte es in einem Interview so aus: "Sie dienen als Symbole für Wohltätigkeit, Liebe, Vereinigung. Es geht darum, wie wichtig es ist, Gutes zu tun, um die Welt zu vereinen."
Kroatien und die Niederlande
Am Montag haben wir bereits einige der ESC-Beiträge in diesem Jahr vorgestellt, die nicht gerade von der Stange sind. Doch aus dem Raster zu fallen, heißt natürlich nicht, keine Siegchancen zu haben. Im Falle der diesjährigen Interpreten aus Kroatien und den Niederlanden bedeutet es sogar ganz genau das Gegenteil.
So ist der Rammstein-Sound im Zillertaler-Schürzenjäger-Look von Baby Lasagna aus Kroatien ein ganz heißer Anwärter auf die Gesangskrone. Es wäre keineswegs überraschend, wenn die ESC-Gemeinde am Ende geschlossen "Rim Tim Tagi Dim" anstimmen sollte.
Ebenso gute Chancen kann sich jedoch auch "Friesenjung" Joost Klein mit "Europapa" ausrechnen. Mit "Sha-la-li sha-la-la" haben es die Niederlande seinerzeit beim ESC nicht weit gebracht. Doch mit Joosts neuer Gaga-Hommage an die EU könnte es in Malmö durchaus was werden.
Und was ist mit Deutschland?
Isaak hat mit "Always On The Run" schon einmal geschafft, was vielen anderen deutschen ESC-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern vor ihm komplett verwehrt war: Er läuft im Radio rauf und runter. Ein Sieg in Malmö wäre zweifelsohne noch das ultimative Sahnehäubchen auf seinem Erfolg. Doch danach sieht es den Prognosen zufolge leider nicht aus.
Dennoch: Verzagen is' nicht. Und das braucht der deutsche Kandidat angesichts der Konkurrenz auch gar nicht. Tatsächlich kann der ESC 2024 in der Summe zu den eher schwächeren musikalischen Jahrgängen gezählt werden. Neben den Beiträgen, die herausstechen, wartet er auch mit viel Durchschnittsware, Theatralik und Klischees auf. Wie schon im Vorjahr gehen lediglich 37 Länder an den Start - zwangsläufig wird es so auch eine Reihe an schwächeren Beiträgen ins Finale schaffen.
Erstmals wird Deutschland als "Big 5"-Land seinen Song schon im Halbfinale komplett präsentieren. So lernt das ESC-Publikum bereits am Dienstagabend "Always On The Run" in voller Länge kennen. Das Bühnenbild wurde im Vergleich zum Vorentscheid von Grund auf umgekrempelt. Statt ein Feuerwerk an LEDs anzuzünden, wird die Hütte jetzt gleich mal richtig abgefackelt. Die Siegchancen in Malmö mögen nicht allzu hoch sein. Aber Hoffnung, dass Isaak das Tabellenende hinter sich lässt und Deutschland beim ESC aus dem Tal der Tränen führt, gibt es allemal.
Quelle: ntv.de