"Promising Young Woman" im Kino Eine vielversprechende Frau nimmt Rache
19.08.2021, 19:24 Uhr
Eine vielversprechende junge Frau: Cassie (Carey Mulligan)
(Foto: imago images/ZUMA Press)
Es ist kein Wunder, dass die britische Schauspielerin Emerald Fennell mit "Promising Young Woman" einen Oscar für das beste Drehbuch gewonnen hat. In dem Film kämpft Cassie mit den Folgen einer Vergewaltigung. Ein brillanter Rachethriller mit viel, viel schwarzem Humor.
Jede Woche geht Cassandra "Cassie" Thomas (Carey Mulligan) alleine in einen Club. Dann betrinkt sich die attraktive Mittdreißigerin hemmungslos, bis sie so gut wie bewusstlos mit verwischtem Make-up in einer Ecke kauert und nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Und jede Woche kommt ein vermeintlich netter, besorgter Mann um die Ecke, um ihr zu helfen. Obwohl sich Cassie allein kaum auf den Beinen halten geschweige denn ins Taxi steigen kann, versuchen die Männer, die "leichte Beute" abzuschleppen - oder besser gesagt, über sie herzufallen. In diesen Momenten beginnt Cassies Rache. Denn in Wahrheit ist sie stocknüchtern und hat nur darauf gewartet, dass die Männer ihr wahres Gesicht zeigen, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen.
Dass sich Cassie Hunderte Male (wie die Strichlisten in ihrem Notizbuch beweisen) in brenzlige Situationen begibt und auf Rache aus ist, hat einen tragischen Hintergrund. Ihre beste Freundin Nina wurde zu Unizeiten in einem ähnlichen Zustand von einem Kommilitonen vergewaltigt. Weil der Fall unter den Teppich gekehrt wurde, obwohl sämtliche Freunde und Dozenten, ja sogar die Dekanin von dem Missbrauch wussten, konnte Nina - als "Schlampe" diskreditiert - ihr Trauma nie überwinden und nahm sich das Leben. Der Täter wiederum hat eine beachtliche Karriere als Arzt hingelegt und genießt höchstes Ansehen.
Regisseurin Emerald Fennell hat in "Promising Young Woman" eine für viele Frauen allzu reale Situation aufgegriffen und daraus eine einzigartige Geschichte über die Auswirkungen einer Tragödie gemacht: Niemand will sich mehr erinnern und nur eine Person ist bereit, zu tun, was ihrer Meinung nach nötig ist, um so etwas wie Gerechtigkeit zu erlangen. Diese Person ist in diesem Fall die Antiheldin Cassie, die ihre vielversprechende Zukunft als Ärztin aufgegeben hat, um bei ihren Eltern zu wohnen, sich tagsüber als Kellnerin in einem Café zu langweilen und nachts das zu rächen, was ihrer besten Freundin genommen wurde. Dabei knöpft sie sich sämtliche Menschen in ihrem Umfeld vor, die die Missbrauchskultur aufrechterhalten und die Täter beschützen. Erst als sie auf einen alten College-Freund Ryan (Bo Burnham) trifft, beginnt sie alles zu überdenken. Ist es Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen und nach vorne zu blicken?
"Aber nicht alle Männer sind so …"
"Promising Young Woman" ist eine schwere Kost, die wütend und nachdenklich macht, jedoch mit einer ordentlichen Portion schwarzem Humor. Eine brillante, scharfsinnige und skrupellose Gesellschaftskritik, ohne aber zu viel zu erklären oder dabei belehrend zu wirken. Auch die Vergewaltigung wird in den knapp zwei Stunden weder in verstörenden Rückblenden noch durch Erzählungen detailliert wiedergegeben. Damit setzt der Film ein wichtiges Zeichen: Es braucht keine krassen Details, um Emotionen zu manipulieren oder um zu verstehen, dass sexuelle Übergriffe verwerflich sind.
Sicherlich wird der Film dem ein oder anderen Zuschauer, der mürrisch "Aber nicht alle Männer sind so ..." vor sich hinbrummt, als ein Männer diskriminierender Film vorkommen, da praktisch alle Kerle, mit denen Cassie zu tun hat, als Vergewaltiger, Mitläufer oder andere Widerlinge dargestellt werden. Aber das ist nun mal der Prämisse geschuldet, in der Cassie ganz bewusst eine Situation fingiert, die eben solche Menschen anlockt. Auch dass die Rollen dieser Antagonisten bewusst durch attraktive und sympathische Schauspieler wie "O.C. California"-Dreamboy Adam Brody oder Comedy-Darsteller Christopher "McLovin" Mintz-Plasse besetzt wurden, wird so manchem Zuschauer sicherlich übel aufstoßen. Doch zeigt Fennell damit, wie leicht diese Menschen es haben, sich hinter ihrem Lächeln, ihrer Popularität und ihrem Erfolg zu verstecken.
Oscar für das beste Drehbuch
Carey Mulligan, die man sonst eher als süße, unaufdringliche Nebendarstellerin in Filmen wie "Stolz und Vorurteil" (2005), "Drive" (2011) und "The Great Gatsby" (2013) sieht, überrascht als unsympathische, sarkastische, aber Blümchenkleider und geflochtene Zöpfe tragende Rächerin jedoch am meisten mit ihrem unglaublichen Talent. Dass sie trotz ihrer Nominierungen weder für einen Oscar noch für einen Golden Globe oder einen British Academy Film Award als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde, ist kaum zu glauben.
Neben den starken Bildern auf einer neonfarbigen, rosa-pinken Kulisse sind es vor allem die cleveren, charmanten, lustigen Dialoge, die "Promising Young Woman" zu dem Meisterwerk machen, das es ist. Kein Wunder, dass die britische Schauspielerin Emerald Fennell, die man als junge Camilla Parker Bowles in der Netflix-Hitserie "The Crown" kennt, für ihr Regiedebüt einen Oscar für das beste Drehbuch gewonnen hat.
Aber auch der Soundtrack, darunter eine schaurige Instrumentalversion von Britney Spears' "Toxic" und Juice Angels "Angel of the Morning", sind, genau wie der Film, eine perfekte Mischung verschiedener Richtungen. Denn ganz einordnen lässt sich "Promising Young Woman" nicht. Er ist zu süß, um nur ein Thriller zu sein, zu düster für eine Rom-Com, zu humorvoll für Mystery. Vielmehr geht es genreübergreifend um weibliche Wut - allerdings ohne bloße Vergeltung à la "Kill Bill" oder "John Wick", die mit körperlicher Gewalt durchgeführt wird. Welches Mittel sie dafür benutzt, lässt sich von ihrem Vornamen ableiten: Cassandra steht in der griechischen Mythologie für die Frau, die die Männer um den Finger wickelt.
"Promising Young Woman" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de