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Aufgepasst, Netflix! Vimeo liefert Kiffer, Nerds & eine Dragqueen

Die Serie "Oscar's Hotel for Fantastical Creatures" ist eine der Klick-Raketen auf Vimeo.

Die Serie "Oscar's Hotel for Fantastical Creatures" ist eine der Klick-Raketen auf Vimeo.

(Foto: Vimeo)

In der Glotze läuft immer nur das Gleiche, bei Youtube nervt die Werbung. Für all jene, denen bei konventioneller Unterhaltung die Augen zufallen, wartet die Plattform Vimeo mit neuen Formaten auf - allesamt abgedreht, manchmal unverschämt, meistens urkomisch.

Wer Vimeo kennt, denkt bei dem Portal vielleicht an einen weniger kommerziellen Youtube-Abklatsch - ein Ort für Abschlussarbeiten von Grafikstudenten und Musikvideos von Bands, die niemals jemand kennen wird. Das stimmt natürlich irgendwie: Es handelt sich um ein Video-Portal, das sich seit Jahren konsequent abseits des Mainstreams aufstellt. Aber es stimmt eben nicht ganz, denn wenn für Vimeo jetzt alles gut läuft, wird sich das Unternehmen eine Position im Bereich Video on Demand erkämpfen.

"Die jungen Kreativen sind das Fundament unseres Unternehmens", erklärt Sam Toles, Head of Global Content and Distribution, im Gespräch mit n-tv.de. Und obwohl Vimeo immer weiter wächst, versucht man im Unternehmen kantig zu bleiben. Das zeigen schon die Inhalte.

Gerade ist die erste Eigenproduktion des Unternehmens online gegangen: "Rolodex of Hate". Bianca Del Rio, Gewinnerin der sechsten Staffel von "RuPaul's Drag Race", spart bei ihrer Stand-up-Comedy nicht an "Fuck Yous", verlacht asiatische Mini-Penisse und beschreibt sinnesanregend Ärgerlichkeiten im Zusammenhang mit analen Ausflügen. Massentauglich ist das nicht.

Walmart ist nicht Bloomingdale's

Sam Toles will Vimeo ganz weit nach vorne bringen.

Sam Toles will Vimeo ganz weit nach vorne bringen.

(Foto: Vimeo)

Ungewöhnlich ist auch, dass sich Vimeo einer Abo-Lösung wie etwa bei Netflix, Amazon Video & Co verweigert. Wer bei Vimeo einkauft, zahlt nur für das, was er wirklich sehen möchte. Dass die konsumierte Menge Bewegtbild da schon mal etwas teurer werden kann als ein Zehner im Monat, scheint die Zuschauer nicht abzuschrecken. Sie sind oft treue Fans. Deswegen lassen sie wie Vimeo Kreativen freie Hand, wenn es darum geht, die Konditionen fürs Streaming festzulegen. Manche Videos kann man kaufen, manche nur leihen, entweder nur in einem bestimmten Land oder überall auf der Welt.

Wer sein Video bei Vimeo platziert, umgeht den ganzen Werbezirkus. Und er kann sich sicher sein, dass kein Mitstreiter gegen Geld Inhalte besser auf der Webseite platziert bekommt. "Sponsored" - das gibt es bei Vimeo nicht.­ "Es gibt nun einmal Walmart und Bloomingdale's", sagt Toles, ganz US-Amerikaner, angesprochen auf Vimeos Verhältnis zu Youtube. "Beides sind Geschäfte, aber das Erlebnis beim Einkaufen ist einfach ein anderes."

Pizza-Bote statt Gras-Dealer?

Vimeo hat ein liebevolles Verhältnis zu denen, die die Videos liefern - jedenfalls kann Toles das mit viel Enthusiasmus glaubhaft machen. Nur 10 Prozent der Einnahmen aus Bezahlinhalten behält das Unternehmen. Zum Vergleich: Bei Youtube sind es 45 Prozent.

So wundert es kaum noch, dass die Idee, eigene Formate zu produzieren, gar nicht von Vimeo kam. Vor zwei Jahren etwa hatte das Unternehmen gerade damit begonnen, exklusiven Content anzubieten. Mal eine Doku hier, eine Miniserie da - alles eingekauft. "High Maintenance", Ben Sinclair und Katja Blichfelds Show über einen Gras-Dealer in New York, war bereits ein viel gelobter Hit. Ein amerikanischer Sender wollte das Format übernehmen. Allerdings passte den Werbekunden die Kiffer-Kultur nicht - und so sollte der Drogenlieferant besser Pizza verteilen. Langer Rede kurzer Sinn, die Macher lehnten dankend ab und schickten stattdessen ihren Agenten, um bei Vimeo anzuklopfen. Dort ließ man sich zur Finanzspritze breitschlagen und der erste Schritt in Richtung Eigenproduktionen war gegangen.

Verkleidete Youtuber auf Vimeo

Dass Toles heute lieber die Augen rollt, statt den Umzug von "High Maintenance" zum Sender HBO zu kommentieren, sei ihm verziehen. Er versucht, es seinen einstigen Partnern zu gönnen. Wenn da so etwas wie ein Stirnrunzeln in seinem Gesicht zu erkennen ist, dann nur, weil er sich als Fan eines Nischenprodukts um den Fortbestand von dessen kultiger Identität sorgt.

"Wir sehen diese Plattform tatsächlich als einen Ort an, an dem sich jemand, der noch zu Schulzeiten anfängt, einfach ein paar Videos hochzuladen, mit Hilfe von Vimeo weiterentwickeln kann", sagt Toles. Das heißt auch, dass man manches Talent ziehen lassen muss. Andererseits bedient sich auch Vimeo prominenter Gesichter anderer Plattformen. Hinter der abgedrehten Kostüm-Show "Oscar's Hotel for Fantastical Creatures" stecken lauter bekannte Youtube-Stars wie Chris Kendall, Felix Kjellberg aka PewDiePie, Grace Helbig oder Hannah Hart.

Auf die typischen Dramen und Politthriller verzichtet Vimeo. Fragt man Toles, gibt es von denen ohnehin schon genug. Lieber setzt er auf abgedrehte Persönlichkeiten, die überraschende Inhalte liefern und eine loyale - und damit auch zahlungswillige - Fangemeinde anziehen. Toles' Liebling ist "Con Man", eine Serie über den nüchternen Messealltag von Science-Fiction-Veteranen. Vimeo soll für Gegenkultur stehen, für Coolness und neue Ideen. "Ich liebe Netflix, ich liebe HBO", so Toles. "Aber wenn diese Plattformen etwas anfassen, verliert es oft seinen Charme."

Quelle: ntv.de

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