Unterhaltung

"Tatort" aus Bremen Wenn der Vater mit dem Sohne

Wir werden sie wohl vermissen: Lürsen und Stedefreund.

Wir werden sie wohl vermissen: Lürsen und Stedefreund.

(Foto: dpa)

Ein Vater mit pathologischer Harmoniesucht, eine sterbenskranke Mutter und Sohn mit tödlichem Autotick - kaum haben Inga Lürsen und Nils Stedefreund ihren Abschied angekündigt, schütteln sie einen ihrer extremsten Fälle aus dem Ärmel.

Spätestens seit "No Country for Old Men" weiß man: Die Leute mit den schrägsten Scheiteln haben den größten Triller unterm nicht vorhandenen Pony. Der neue "Tatort" aus dem Bremer Revier macht da - Achtung, Spoiler! - keine Ausnahme, das wird, ohne zuviel zu verraten, nicht nur früh angedeutet, sondern im ersten Drittel des Films ohnehin enthüllt.

"Nachtsicht" heißt der 30. gemeinsame Fall von Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) und der versucht gar nicht erst, sich als klassische Whodunit-Schimäre zu tarnen, vielmehr verbauen die Autoren, Stefanie Veith und der kürzliche verstorbene Matthias Tuchmann, ihren Plot zu einer extremen Familien-Saga voller Psychosen und Fieberwahn, alter Wunden und neuer Verbrechen, Harmoniesucht und Mordlust.

Alles beginnt mit einem jungen Mann, der nachts von einem Auto überfahren wird. Lürsen und Stedefreund wissen schnell, dass es sich nicht etwa um einen Unfall, sondern um ein Verbrechen handelt, auch wenn von einem möglichen Motiv jede Spur fehlt. Stattdessen findet sich ein Handy am Tatort. Es gehört dem Ex-Junkie Friedland (Moritz Führmann). Der hat zwar ein Alibi, aber dass da etwas ganz arg nicht stimmt in der Familie des verschrobenen Typs mit dem schicken Scheitel, der sein Brot als Autolackierer verdient, das wird rasch offenkundig. Es dauert nicht lang, da gibt es den nächsten Toten.

Bremen und der angekündigte Abschied 2019: Es scheint, als ginge jetzt alles um Längen entspannter, gleichzeitig spannender zu an der Weser. Dabei entwickelt sich der Fall um die zu Tode gefahrenen jungen Männer zu einem derart extremen Schauspiel, dass selbst Kollege Katzmann aus der Patho das kalte, Verzeihung, Kotzen bekommt. Und wenn Gerichtsmediziner schon speien, dann muss einiges im Argen liegen.

Blutige Zähne in Nierenschalen

Dabei sind es nicht einmal die expliziten Szenen, die diesen Fall - mit seinem eleganten, von Tocotronics "Ich öffne mich" unterlegten Autoshampoo-Intro von Beginn an anders als die anderen - so ungewöhnlich macht. Vielmehr leisten sich die Autoren den Luxus,  hier eine Familien-Aufstellung im Kreuzpunkt von David Lynch und Stephen King zu zelebrieren, haben keine Scheu vor überdrehten Keller-Räumen und elektromotorigen Mord-Mobilen, vor Horrorvisionen in Nachtsicht-Optik und blutigen Zähnen in Nierenschalen.

Dramaturgisch gekonnt, wie hier der Fokus von Friedland junior über die todkranke Mutter Leonie Friedland (Angela Roy) hin zum Übervater, dem von Rainer Bock kongenial gespielten, zwischen Alltagsirrsinn und psychotischer Kalamität irrlichternden Friedland senior verschoben wird.

Zu Gunsten von grausligem Gänsehaut-Entertainment ist so etwas wie Realismus oder gar Identifikationspotential diesmal nur äußerst sparsam dosiert, genau darin aber liegt die Stärke dieses "Tatorts". Die konsequente Auserzählung des wahnhaften Schicksals einer zerstörten Familie weiß ihr Tempo genau zu dosieren und bleibt sich in seiner überdrehten Nähe zum Pulp treu bis zum Schluss.

Quelle: ntv.de

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