
Lässt den Puls vor Zorn hochschnellen: Rosamunde Pike als Marla Grayson
(Foto: picture alliance / Everett Collection)
Für ihre Rolle der kaltschnäuzigen Altenbetreuerin in der Sozialsatire "I Care a Lot" erhielt Rosamunde Pike gerade einen Golden Globe. Mit eingefrorenem Hochglanzlächeln legt sie als gesetzlicher Vormund die Abgründe eines korrupten Systems offen, mehr noch: Sie nutzt es schamlos aus.
Es ist dieses eingefrorene Lächeln, das einem kalt den Rücken runterläuft. Die eisigen Augen, die Kaltschnäuzigkeit. Marla Grayson ist nicht nur eine knallharte Geschäftsfrau. Marla Grayson ist, um es salopp zu sagen, eine "Boss-Bitch"- eine Femme fatale des Kapitalismus, die sich in einer von Männern dominierten Welt ihren ganz eigenen Platz erschaffen hat. Niemand sagt der kühlen Blonden, was sie zu tun hat, niemand stellt Fragen, Marla ist der Inbegriff der taffen, selbstbewussten Geschäftsfrau.
Marla, fantastisch gespielt von der britischen Schauspielerin Rosamunde Pike, kümmert sich um alte Menschen. Sie ist gesetzliche Betreuerin, direkt vom Gericht beauftragt. Dass viele ihrer "Schäfchen" alt und gebrechlich, aber keineswegs arm sind, nutzt sie schamlos aus. Hinter der nach außen so liebevollen Fürsorge für ältere Menschen steckt ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell, ein korrupter Apparat, den Marla sich zu eigen gemacht hat. Ärzte, Heimdirektoren, Angestellte und Kollegen - alle mischen mit und wollen ein Stück abhaben vom großen Kuchen.
Immer freitags präsentiert Ronny Rüsch "Oscars & Himbeeren", den Podcast rund ums Streamen. Jede Woche stellen der Filmexperte und seine Gäste sich die Frage: Was ist neu bei Netflix, TVNOW, Amazon Prime & Co.? Welcher Film erhitzt die Gemüter? Welche Serie wird jetzt schon gefeiert? Informativ. Unterhaltsam. Kompakt. In der ntv-App, bei Audio Now, Spotify und Apple Podcasts.
Und so geschieht es gleich zu Beginn von "I Care a Lot", dass Marla bei einer im Grunde recht rüstigen Seniorin auf der Schwelle ihres schönen Hauses steht und ihr offeriert, ihre Sachen zu packen, sie müsse jetzt ins Heim, wo man sich um sie kümmere. Dazu das gespielt einfühlsame Tätscheln der Schulter, die warmen, beruhigenden Worte, während die hilflose, von der Situation vollends überrumpelte alte Dame nichts tun kann, als sich zu fügen. Ihr Leben, so wie sie es bis jetzt gelebt hat, ist vorbei. Denn Marla Grayson kümmert sich von nun an. Sie sorgt für ein schönes Eckzimmer mit Morgensonne in der Altenresidenz, räumt gleichzeitig das Haus der ihr anvertrauten Lady aus und beraubt sie ihres gesamten Besitzes.
Der Horror in der Altenpflege
Schonungslos zeigt Regisseur und Drehbuchautor Jonathan Blakeson in seiner Satire den Horror der Altenpflege. Es ist ein korruptes, kaputtes System, das sich aus der Wehrlosigkeit seiner Schutzbefohlenen nährt. Pike, die für ihre Rolle mit einem Golden Globe prämiert wurde, spielt die eiskalte Geschäftsfrau, die sich ohne mit der Wimper zu zucken sogar mit der russischen Mafia anlegt, voller Hingabe und Perfektion. Wer mal im Film wieder ordentlich hassen möchte: Die von Pike erschaffene Marla Grayson bietet genügend Projektionsfläche.
Dabei bedient sich der Film verschiedener Erzähl-Elemente: Einerseits Drama, Gesellschaftskritik und Thriller, andererseits überwiegen - vor allem ab der zweiten Hälfte - komödiantische, skurrile und aberwitzige Szenen, ohne die "I Care a Lot" vermutlich nur schwer zu ertragen wäre. Denn die Kritik an einem zutiefst abzulehnenden Geschäftsgebaren, welches im Schutz von Gesetzen und Paragrafen auf dem Rücken alter Menschen Gewinne scheffelt und dabei moralisch vollends entgleist, kommt nicht einen Moment zu kurz.
Wie lange dauert es, bis einem der Puls ob dieser berechnenden "Löwin", wie Marla Grayson sich selber bezeichnet, hochsaust? Wohin will sich eine immer älter werdende Gesellschaft entwickeln, wenn sie nicht die schützt, die am meisten Schutz brauchen?
Die ausführliche Film-Kritik zu "I Care a Lot" von Ronny Rüsch und Axel Max sowie weitere Film und Serien-Highlights hören Sie im ntv-Podcast "Oscars & Himbeeren", wo sich jeden Freitag alles rund um Streaming-Dienste wie Netflix, TVNOW, Amazon Prime & Co. dreht.
Quelle: ntv.de