
Viele Arbeitsstrukturen stammen noch aus dem vorigen Jahrhundert.
(Foto: picture alliance/dpa)
Das Gefühl, die Arbeit einfach nicht mehr schaffen zu können. Die Frage nach dem Sinn von Arbeit, viele Menschen kennen das. Auch Sara Weber, die schließlich kündigte und ein Buch darüber geschrieben hat, was sich in der Arbeitswelt ändern muss.
Noch vor wenigen Monaten dachten viele, dass Corona die Art zu arbeiten völlig verändern würde. Plötzlich war es für viel mehr Menschen möglich, von zu Hause aus zu arbeiten. Es wurde sogar Rücksicht auf Kinder oder zu pflegende Angehörige genommen. Berufsgruppen, die die Gesellschaft am Laufen halten, schienen Anerkennung zu bekommen, die ihnen lange verwehrt wurde. Mit dem gefühlten Ende der Pandemie ist davon kaum noch etwas übrig.
Geblieben ist ein nagendes Unbehagen, ob die 40-Stunden-Woche an einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort und das Rennen um noch mehr Umsatz heute wirklich immer noch Erwerbsarbeit definieren sollten. So ging es auch Sara Weber, die Redaktionsleiterin beim Karrierenetzwerk Linkedin war. 2021 kündigte sie, weil es einfach nicht mehr ging. "Weil ich ausgebrannt war", schreibt sie in ihrem Buch "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten" über diesen Moment. Weber weint, als sie kündigt und fragt sich gleichzeitig, warum es eigentlich keine Arbeitswelt gibt, die Menschlichkeit und Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.
"Wir sind in dieser Situation, in der sich die Krisen wirklich häufen. Aber die Arbeitswelt läuft weiter, als sei nichts passiert", erzählt Weber ntv.de. Bis vor wenigen Jahren wurde Burnout noch als individuelles Problem gesehen, das vor allem Menschen haben, die nicht gut genug organisiert oder zu perfektionistisch sind. Inzwischen schaffen viele keine Vollzeitstelle mehr, obwohl sie das Geld eigentlich bräuchten. Es scheint, als würde die Arbeit das ganze Leben auffressen, alle Lebensfreude, alle sozialen Kontakte, das Familienleben.
Keine Zeit mehr fürs Leben
Sicher habe Deutschland recht moderate Arbeitszeiten, das Versprechen von acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf erfülle sich trotzdem für viele schon lange nicht mehr. "Wenn Frauen und Mütter in Teilzeit erwerbstätig sind und dann quasi noch einen anderen Job obendrauf haben, nämlich die Sorgearbeit für Haushalt und Kinder, dann kommen sie tatsächlich trotzdem häufig auf elf Stunden am Tag. Auch bei Pendler*innen oder Schichtarbeiter*innen sind die Tage länger." Gleichzeitig hätten viele Menschen das Gefühl, sie können ihre Arbeit gar nicht mehr in der vorgegebenen Zeit schaffen. "Die Arbeit hat sich so verdichtet, dass man quasi immer hinterherrennt."
Weber beschreibt, welche unguten Entwicklungen in der Arbeitswelt von heute zusammenlaufen: Zu lange Arbeitszeiten, obwohl technologische Entwicklungen eigentlich Entlastung bringen könnten. Die fehlende Anerkennung von Arbeit, die Erwerbsarbeit überhaupt möglich macht, nicht nur die Care-Arbeit in der Familie, sondern die der Dienstleistungsindustrie, die übernimmt, was kaum jemand neben einer Vollzeitstelle bewältigen kann. Dazu gehören Putzkräfte ebenso wie Kindergärten oder Restaurants. Sie zeigt aber auch die komplexen Benachteiligungsmuster, denen sich bestimmte Gruppen immer noch gegenübersehen: Frauen, Behinderte, Personen of Color.
Auf der anderen Seite seien die Veränderungen unübersehbar, menschliche Arbeitskraft wird in einer Zeit des Fachkräftemangels wertvoller. Und die Klimakrise stellt ganze Erwerbsmodelle auf den Prüfstand, weil sie entweder maximal klimaschädlich sind oder Jobs beispielsweise nicht zur Bewältigung der Krise beitragen. Überhaupt stellt sich nicht nur Weber die Frage, inwieweit Arbeit überhaupt noch die damit verbundenen Versprechen von Erfolg, Wohlstand und Zufriedenheit erfüllen kann. Pandemie, Klimakrise und Krieg zusammen machen die eigene Gesundheit und Lebenszeit deutlich wertvoller.
Wind of change
Deshalb ist einer ihrer Veränderungsvorschläge auch die kollektive Verkürzung von Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. "In Studien sehen wir, dass dadurch der Stress sinkt, was ja schon eine richtig gute Sache ist, weil er sich negativ auf die Gesundheit auswirkt. Die Produktivität bleibt hingegen oft gleich." Weber sieht aber auch eine Chance, sich auf Kernaufgaben zu konzentrieren, statt Zeit mit Bullshit-Jobs zu vergeuden, wie der Autor David Graeber sie nannte. "Das sorgt dafür, dass wir Technologien sinnvoller einsetzen und auch, dass unnötige Aufgaben überdacht werden, von denen wir alle das Gefühl haben, sie machen uns nur noch mehr Arbeit statt weniger."
Einen weiteren Effekt sieht die Autorin in menschlichen Beziehungen. Studien zeigten, dass Männer mehr Care-Arbeit übernähmen, wenn in heterosexuellen Beziehungen beide Partner Teilzeit arbeiten. "Man sieht, wo man wirklich ansetzen könnte und damit Prozesse anstößt und in einem zweiten Schritt dann auch Resultate erzielt, die über die reine Arbeitszeit hinausgehen."
Folgt man Webers Argumenten, standen die Chancen lange nicht mehr so gut für Veränderungen. Viele Unternehmen sähen, dass sie keine Mitarbeitenden mehr finden. "Das wird sich noch weiter zuspitzen, dass dieser Wettbewerb untereinander angeheizt wird und Unternehmen nach Lösungen suchen, wie sie trotzdem noch gute Leute kriegen", glaubt Weber. Zumal nicht nur Generation Z, sondern vermutlich auch die nachfolgenden Generationen "keine Lust mehr haben werden, sich kaputtzuarbeiten".
Wer bekommt das Geld?
Ist Weber naiv? Sieht sie nicht, dass man in deutschen Großstädten schon heute von einem Vollzeiteinkommen kaum eine Wohnung bezahlen kann? Hat sie die Tarifkämpfe der letzten Jahre nicht verfolgt? "Wir können ja nicht einfach so weitermachen wie in den letzten Jahrzehnten, ohne etwas zu ändern", antwortet sie auf diese Fragen. Auch die Art zu wirtschaften müsse sich ändern. "Es geht nicht darum zu sagen, niemand soll mehr arbeiten und niemand soll mehr Umsatz machen. Aber es stellt sich die Frage, wer das Geld bekommt, wenn ein Unternehmen Umsätze macht." Derzeit gehe es meist an Shareholder, statt in Form von Geld oder Zeit an die Mitarbeiter.
"Wir müssen anders wirtschaften, wir müssen anders arbeiten und wir müssen auch anders über Gleichberechtigung nachdenken", betont Weber. Die 35-Jährige sieht bereits Entwicklungen und Veränderungen. Vieles von dem, was die Digitalstrategie jetzt aufgeschrieben hat, ist nicht besonders neu. Trotzdem schafft sie es, dem Thema eine neue Dringlichkeit zu geben und gleichzeitig Arbeitende zu ermutigen, ihre jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse kritisch zu betrachten. In den USA jedenfalls sei seit einiger Zeit ein Trend zu beobachten, für den sich inzwischen der Begriff "The Great Resignation" (Das große Kündigen) eingebürgert hat. Wer kann, verlässt Arbeitsumstände, die sich nicht gut anfühlen, weil sie zu langweilig oder zu anstrengend sind oder sich einfach nicht mit dem Alltag vereinbaren lassen.
Quelle: ntv.de